Der Verlauf der Flutkatastrophe
Erlebnisbericht R. Schmitt
Marienthal
Dezember 2022
Rolf Schmitt
Rolf Schmitt, der „Kümmerer“ von Marienthal berichtet:
Am Nachmittag des 14. Juli 2021 ahnte in Marienthal noch niemand, was für ein verheerendes Hochwasser das Dorf erwarten würde. Als der Wasserpegel am 15. Juli fiel, waren von 37 Häusern 34 bis weit in den 1. Stock von der Flut betroffen und davon mussten vier abgerissen werden. Alle Wohngebäude bis auf eins dürfen an gleicher Stelle mit hochwasserangepasster Bauweise wieder aufgebaut werden. Sowohl die Eisenbahnbrücken als auch die Radwegbrücken wurden in der Flutnacht stark beschädigt und teilweise von der Flut mitgerissen. Die massivsten Schäden an den Gebäuden gab es in Richtung „Bunte Kuh“ und am Ortseingang von Dernau kommend. Die Bundesstraße an der „Bunten Kuh“ existierte nicht mehr, sodass Marienthal in Richtung Bad Neuenahr-Ahrweiler abgeschnitten war. Auch in Richtung Dernau war wegen der weggespülten Straße kein Durchkommen. Glücklicherweise gab es noch die Bunkerstraße, die am ehemaligen Regierungsbunker vorbei hoch in Richtung Grafschaft führt. Über diese Straße erreichten am späten Nachmittag des 15. Juli die ersten Einsatzkräfte das Dorf. Selbst am 15. Juli war die Bundesstraße noch oberschenkelhoch mit Wasser bedeckt und erst ab Mittag floss die Ahr in ihr altes Bett zurück. Nachbarn kamen auf die Straßen, andere Bewohner wurden vormittags mit einem Hubschrauber von ihren Dächern evakuiert.
Tragischerweise kamen durch die Flut fünf Marienthaler ums Leben, darunter eine dreiköpfige Familie bestehend aus Mutter, Vater und Sohn, die in ihrem Haus im Erdgeschoss vom Wasser eingeschlossen wurden und es aufgrund einer fehlenden Treppe nicht mehr verlassen konnten. Sie sind am späten Abend ertrunken. Ein bettlägeriger Senior wurde von seiner Ehefrau die Treppe hinauf bis über den ersten Stock in vermeintliche Sicherheit gebracht. Er ist dann aber noch in der Flutnacht an einer natürlichen Todesursache gestorben. Erst am 16. Juli konnte die Bundeswehr den Leichnam abtransportieren. Das fünfte Opfer war unser 96 Jahre alter Dorfsenior, der, nachdem er ins Seniorenheim evakuiert wurde, weil sein Haus unbewohnbar geworden war, Suizid beging. Einige Bewohnerinnen und Bewohner waren durch die Flut sehr stark belastet. Deshalb organisierten sich die Marienthaler zeitnah langfristige psychosoziale Unterstützung. Seelsorger und Psychologen kamen über ein Jahr lang jede Woche ins Dorf, um den Menschen Gespräche und Hilfe anzubieten. Wenn jemand ihre Unterstützung benötigt, kommen sie auch heute im Jahr 2023 noch nach Marienthal.
Unterstützt wurden die Marienthaler beim Wiederaufbau durch viele, insbesondere junge, freiwillige Helfer, sehr engagierte Einsatzteams der Feuerwehren und des THWs und äußerst hilfsbereite Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Deutschen Roten Kreuz, den Maltesern, den Johannitern und anderer Wohltätigkeitsorganisationen. Hier sind besonders die Feuerwehren der Verbandsgemeinde Monsheim, die Helfer aus dem Donau-Ries-Kreis und Rheingau-Hilft sowie die Lions Clubs aus Koblenz und Alzey, aber auch unsere Freunde aus Bebelsheim zu nennen. Langanhaltende, tiefe Freundschaften sind aus dieser Zeit entstanden. Nach der Flut mussten sich die Einwohner zunächst neue Unterkünfte suchen. Zirka ein Drittel der Einwohnerinnen und Einwohner wurde außerhalb in Ferienwohnungen, Mietwohnungen oder bei Freunden untergebracht. Etwa ein Drittel konnte in den zweiten, noch bewohnbaren Etagen ihrer Häuser verbleiben. Ein Drittel zog im Herbst 2021 in Wohncontainer, die im Dorf verteilt wurden, sodass jeder, der bleiben wollte, auch bleiben durfte.
Das größte und wichtigste Leuchtturmprojekt war der Bau unserer Dorfwärme. Pünktlich zum 2. November 2022, und damit vor dem zweiten Winter, haben wir es geschafft, unser Dorfwärmenetz in Betrieb zu nehmen, sodass es in allen sanierten Gebäuden warm ist, und die Marienthaler in ihre Häuser zurückkehren konnten. Den Startknopf zur neuen Dorfwärme drückte Ministerpräsidentin Malu Dreyer im Beisein zahlreicher Gäste höchst persönlich. 90 Prozent der Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner sind nun an ein CO₂-neutrales, zentrales Heiznetzwerk angeschlossen. Betreiber der Dorfwärme ist die Eifel-Energie-Genossenschaft, eine Bürgergenossenschaft aus Wiesbaum in der Eifel. Im Mai 2023 wurde schließlich auf den Dächern des Heizkraftwerks und der umliegenden Gebäude eine 160 qm große Solartherme in Betrieb genommen, wodurch wir bis zu 25 Prozent der Heizenergie über die Sonne gewinnen können. Das von Geldern der EU und des Bundes geförderte Leuchtturmprojekt Dorfwärme zeigt, wie das Ahrtal zukunftsgerichtet und klimaneutral aufgebaut werden kann. Gleichzeitig haben wir es geschafft, die gesamte Infrastruktur zu erneuern. Neben den Dorfwärmeleitungen wurden die Glasfaserleitungen, die Stromleitungen, die Wasserleitungen und die Leitungen für die Straßenbeleuchtung mit einer Grabenöffnung in die Erde gebracht.
Parallel zum Aufbau des Heizhauses bekam das Freundschaftshaus seinen Platz im Dorf. Helfer aus dem Donau-Ries-Kreis, insbesondere Jörg Wörle und Uli Wenger, brachten die Idee eines Dorfhauses bei ihrem Landrat Stefan Rößle vor und dieser stellte sich spontan als Schirmherr zur Verfügung. In einem gemeinschaftlichen Ausbildungsprojekt der Zimmereifachschule Nördlingen und drei großer Zimmereien aus dem Donau-Ries-Kreis, wurde das Gebäude in Holzblockbauweise vorgefertigt und im August 2022 auf der vom Hochwasserhilfeverein Marienthal finanzierten Bodenplatte in der neuen Dorfmitte von Günter Enßlin und seinen Auszubildenden aufgebaut. Durch die Unterstützung von Spendern aus ganz Deutschland wurde der Innenausbau durchgeführt und am 14.Oktober 2023 feierten die Marienthaler mit den Unterstützern, Spendern und Erbauern die Einweihung ihres Freundschaftshauses. Im Jahr 2024 soll es mit dem Ausbau des Dorfplatzes weitergehen. Hier sind die Planungen abgeschlossen und im kommenden Jahr werden ein Spielbach, ein Spielplatz, Sitzgelegenheiten, Kletterwände, Rebengänge und ein Gedenkstein den in Donau-Ries-Platz umbenannten Dorfplatz zieren. Im Rahmen dieser Maßnahme erfolgt auch der Ausbau der Bundesstraße, die Installation einer Mittelinsel mit Querungshilfe, einer Linksabbiegerspur in die Klosterstraße und der Bau einer neuen Bushaltestelle.
Auch das Thema Bahnhaltestelle Marienthal wollen die Marienthaler vorantreiben. Mit dieser Haltestelle soll eine Lenkung der Touristenströme, weg vom Auto, hin zur Bahn erreicht werden.
Alle genannten Maßnahmen dienen dazu, den Ort attraktiv für junge Familien zu machen und zukunftsgerecht auszugestalten, damit wir unserem Slogan „Marienthal, kleines Dorf mit großem Herzen" gerecht werden.