Der Verlauf der Flutkatastrophe
Erlebnisbericht S. Müller
Kirmutscheid
Januar 2022
Siegfried Müller
Siegfried Müller, Ortsbürgermeister von Pomster, berichtet:
Das Ereignis
Im Juli 2021 lösten Starkregen und Unwetter eine Hochwasserkatastrophe in weiten Teilen von Rheinland-Pfalz aus. Bereits ein bis zwei Tage früher warnte der Rundfunk vor Starkregen, aber die Ausmaße dieser unwetterartigen Regenfälle waren vor Ort niemandem bewusst. Bereits früh am Vormittag des 14. Juli schossen die Wassermassen von den umliegenden landwirtschaftlichen Flächen, Straßen und Wegen ungebremst durch die Ortschaften der Höhenlagen und ergossen sich anschließend in die Täler. Binnen kurzer Zeit stieg das Wasser aus der Kanalisation auf und flutete tieferliegende Straßen und Wege. Wasserläufe entstanden an Stellen, an denen noch nie welche beobachtet wurden und strömten in Keller und Gebäude. Talsenken füllten sich mit Wasser und Rinnsale wurden zu reißenden Bächen.
Der Pegel Kirmutscheid war seit Anfang Juli in Folge häufiger Regenfälle oftmals angestiegen, sank jedoch meist wieder am Folgetag. Am 14 Juli wurde aber ein rasanter Anstieg auf die höchstmögliche Messmarke von 43,2 dm aufgezeichnet. Wegen der Ausbreitung des Gewässers im Bereich des Pegels auf über 80 Meter hatte diese Zahl jedoch keine Aussagekraft mehr; sie hätte noch wesentlich höher liegen müssen. Festzuhalten bleibt aber, dass der Wasserstand des Trierbachs in Höhe Kirmutscheid, also 200 Meter oberhalb des Pegels, nach Recherche der Gemeinde Pomster fast sechs Meter höher als normal war.
Durch einen zu geringen Durchfluss unter drei Brückenbauwerken der L 10 sowie der B 258 entstand ein Rückstau, der den Ortsteil Kirmutscheid flutete, jedoch die Wasserabgabe in die nachfolgenden Orte verzögerte. Die Straßendämme und Brückenbauwerke der B 258 sowie der L10 bilden seit dem Straßenbau im Jahre 1937 bei Kirmutscheid einen regelrechten Abschluss des Trierbachs, der fast einen Staudamm mit zu kleinen Abflussquerschnitten unter den Brücken bildet.
Es entstand eine seeähnliche Wasserfläche im Trierbachtal, dem gesamten Bereich der Gemarkung Pomster bis zur Ahrmündung in Müsch. Die Breite betrug stellenweise über 100 Meter und wurde meist nur durch steil ansteigendes Gelände oder Straßendämme begrenzt. Der Höchststand war nach der Erinnerung von Helfern und Betroffenen um ca. 20:15 Uhr erreicht. Im Ort lag die Wassermarke jetzt mehr als einen Meter über dem Hochwasser des Jahres 2016.
Der Kampf gegen das Wasser
Bereits am frühen Vormittag wurden Versuche unternommen, die Wassermassen von Gebäuden fernzuhalten. Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Pomster standen untereinander in dauerhaftem Kontakt über die sozialen Medien und versetzten sich eigenständig in Alarmbereitschaft.
Die offizielle Alarmierung erfolgte um 15:02 Uhr, zunächst mit der Meldung „Wasser im Gebäude in Adenau“. Die Rettungskräfte wurden jedoch während des Ausrückens über Funk nach Antweiler geleitet und dort von einer mobilen Einsatzzentrale koordiniert. Unsere Wehr bestand wegen der unübersichtlichen Lage im Katastrophengebiet darauf, zur Hilfeleistung nach Kirmutscheid zurückzukehren.
War bereits bei der Hinfahrt eine bedrohliche Hochwassersituation erkennbar, gab es keine Zweifel daran, dass die Situation sich innerhalb kürzester Zeit auch in Kirmutscheid zuspitzen würde und Gefahr drohte.
Auf der Rückfahrt musste bei einem Zwischenhalt ein Lagebericht aus Müsch an die Einsatzleitung weitergeleitet werden, da sich bereits erste Probleme bei den Funkverbindungen ergeben hatten. Bereits bei dieser kurzen Fahrtunterbrechung stieg das Wasser auf der Bundesstraße so rasant, dass Feuerwehrkameraden ausstiegen und watend die Passierbarkeit der B 258 prüften, um das Risiko der Weiterfahrt mit dem Feuerwehrfahrzeug abschätzen zu können. Minuten später war ein Passieren dieses Straßenabschnitts nicht mehr möglich, wie Feuerwehreinheiten aus anderen Orten später berichteten.
In Kirmutscheid kämpften inzwischen die Einwohner des Ortes, unterstützt durch die Feuerwehrkameraden aus Senscheid und Trierscheid sowie von freiwilligen Helfern aus den umliegenden Orten gegen das schnell ansteigende Hochwasser. Der Versuch, Hab und Gut durch Sandsackbarrieren zu schützen, musste aufgegeben werden, als die Straßen unpassierbar wurden und ein durch das THW bei der Straßenmeisterei Müsch eingerichtetes Sandsacklager nicht mehr erreichbar war.
Vor dem Zusammenbrechen der Funkverbindung erreichten Schreckensmeldungen über einstürzende Gebäude ahrabwärts sowie die Katastrophe auf einem wenige Kilometer entfernten Campingplatz die Helfenden. Diese Nachrichten, und der Umstand, dass die Hochwassermarke von 2016 inzwischen überschritten war, setzte allen vor Ort zu und Verzweiflung machte sich breit.
Hinzu kam, dass der Regen in seiner Intensität nicht nachließ und mehrmaliges, durch Hangrutsche auf der gegenüberliegenden Uferseite ausgelöstes, Getöse, dessen Herkunft in der zwischenzeitlich hereingebrochenen vollkommenen Dunkelheit nicht genau zu deuten war, immer wieder für Schrecksekunden sorgte.
Nach dem Ausfall der Straßenlampen war ein Bewegen lediglich im Schein der zu diesem Zeitpunkt noch sehr mangelhaft vorhandenen Notbeleuchtung der Feuerwehr und einiger Taschenlampen möglich. Besonders auf der dem Wasser zugewandten Seite der Gebäude war die Gefahrenlage nicht mehr einzuschätzen.
Vor Ort befürchtete man, dass besonders bei schnellem Abfluss des Wassers Gebäudeteile einstürzen könnten. Dies bewahrheitete sich zur Erleichterung aller Anwesenden jedoch nicht. Die gesamte folgende Nacht blieben Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr vor Ort im Einsatz; lediglich kurze Ruhepausen wurden eingelegt.
Mit dem Absinken des Wasserspiegels am Trierbach sowie an der oberen Ahr zeigte sich, dass mehrere wichtige Straßen in unmittelbarer Nähe unterspült oder teilweise fortgerissen worden waren.
Die Kreisstraße oberhalb von Pomster war ebenfalls vom Wenigbach überflutet worden und auch ein Ausweichen über eine durch dieses Ereignis einsturzgefährdete Brücke eines Wirtschaftswegs nach Dankerath war nicht mehr möglich. Pomster und Kirmutscheid waren zeitweise nicht mehr erreichbar und für einige Bewohner war eine Heimkehr in der Nacht nicht möglich.
Der Tag nach dem Hochwasser, der 15. Juli 2021
Am frühen Morgen des 15. Juli hinterließ das zurückweichende Wasser eine dicke Schlammschicht und vor den Brücken Verklausungen, d.h. totale Blockaden des Fließgewässerdurchschnitts, aus Totholz. Es war unvorstellbar, welche Geröllmassen der kleine Wenigbach bis in die Ortslage getragen hatte. Lediglich zwei Häuser hatten keine Schäden erlitten und neben den Häusern im Gemeindegebiet Pomster/Kirmutscheid war auch ein zur Gemeinde Wirft gehörendes Wohnhaus in Sichtweite von Kirmutscheid geflutet worden. Bei aller Betroffenheit war den Bewohnern und Helfern klar, dass die Zerstörungen bei den Anwohnern der Ahr um ein Vielfaches schlimmer waren als hier vor Ort.
Da an der Ahr jede helfende Hand benötigt wurde, begannen die Bewohner von Kirmutscheid sowie die Feuerwehr mit freiwilligen Helfern aus Pomster, Hoffeld, Trierscheid und Senscheid mit den Aufräum- und Reinigungsarbeiten.
Erfreulich war die große Hilfsbereitschaft. Unzählige Frauen und Männer bargen Hausrat oder Unrat und schaufelten Schlamm, der dann mit Eimern aus den Gebäuden geschleppt wurde.
Leute aus umliegenden Orten bauten Versorgungsstellen mit warmem Essen und Getränken neben der Straße auf, fremde Menschen brachten kleine Snacks sowie Erfrischungen für die Helfer und Einsatzkräfte. Unterstützung kam auch vom Nürburgring in Form einer Mobiltoilette sowie von Brauch- und Trinkwasser, was in Anbetracht der zusammengebrochenen Wasserversorgung sehr hilfreich war.
Für die Reinigung musste auf Wasser aus den Bachläufen zurückgegriffen werden, das glücklicherweise nicht wesentlich durch Heizöl und Fäkalien kontaminiert war. Besonders mühsam war es jedoch, die Tragkraftspritze immer wieder durch knietiefen Schlamm zu tragen und lange Wasserversorgungsstrecken aufzubauen. Bei jedem Weiterrücken galt es, das gesamte Schlauchmaterial sowie alle Ausrüstung unter schwierigsten Bedingungen und größter Anstrengung neu zu positionieren.
Die Unpassierbarkeit vieler Straßen brachte eine zusätzliche Aufgabe für die nächsten Tage und Nächte. Es mussten Verkehrslenkungsmaßnahmen organisiert werden, ohne dass von offizieller Seite Informationen über die Straßenpassierbarkeit zu erhalten waren. Gestrandete Verkehrsteilnehmer, die die Nacht in ihren Fahrzeugen verbracht hatten, fanden sich auf einem nahegelegenen Parkplatz ein. Auch bei der Verkehrslenkung zeigten sich Mängel bei der Ausrüstung der kleineren Feuerwehren. Der Bitte um Unterstützung an die permanent vorbeifahrenden Polizeikräfte wurde nicht nachgekommen, da diese meist ortsfremd waren oder darauf hinwiesen, dass sie für die Verkehrsregelung nicht zuständig seien. Lediglich eine Kelle konnten sich die unfreiwilligen Verkehrslenker von einem Polizeiteam ausborgen, um nicht mit bloßen Händen diese Aufgabe tätigen zu müssen.
Bedingt durch die Kenntnis der schlimmen Situation in vielen anderen Orten und der überwältigen Zahl von Freiwilligen, verzichteten wir auf die Anforderung von weiteren Einsatzkräften.
Eine Wahrnehmung der katastrophalen Situation, die sich hier ganz dicht an der Ahr bot, durch übergeordnete Stellen wäre dennoch wünschenswert gewesen, zumal die Schadensaufnahme zu Lande und aus der Luft betrieben wurde. Allem Anschein nach blieb aber die Katastrophe vor Ort auf vielen übergeordneten Ebenen unbeachtet.
Weiterhin sorgte die Unpassierbarkeit einiger Straßen für Probleme. Durch die ungenügende Beschilderung der Sperrungen suchten darüber hinaus Ortsunkundige oftmals eigene Wege und behinderten so die Aufräumarbeiten. Auch hier konnte erst durch Eigeninitiative für Abhilfe gesorgt werden, wobei es einmal gut war, dass Vorschriftsmäßigkeit jetzt unwichtig war. Die Zerstörung der B 258 bei Dorsel als wichtiger Zubringer zur A 1 sowie die Unterspülung der L 10 in Fahrtrichtung Nohn/Hillesheim hatten vor Ort die größte Auswirkung. Unzählige Fahrzeuge mussten auf der Kirmutscheider Kreuzung durch die Feuerwehrkameraden und Feuerwehrkameradinnen gestoppt und meist wieder zurückgeschickt werden, wobei besonders der Schwerverkehr bei Wendemanövern im Kreuzungsbereich abgesichert wurde, um Unfälle zu vermeiden.
Besonderes Glück im Unglück dürfte gewesen sein, dass der Straßendamm der L 10, der in etwa bis zur Straßenmitte unterspült war, nicht vollends weggerissen wurde. Dies hätte zu einer weiteren verheerenden Flutwelle geführt, die besonders den Ort Müsch hätte treffen können. Man kann auch nur von Glück reden, dass kein Fahrzeug und besonders keines der Schwerfahrzeuge, die am Flutabend helfend im Einsatz waren, hier eingebrochen sind. Bei einer Wassertiefe von mehreren Metern wäre dies eine tödliche Falle gewesen.
Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten
Nach dem die gröbsten Aufräumarbeiten im Ort abgeschlossen waren, wurde in den ersten Tagen besonders der nächstgelegene Ort Müsch beim Aufräumen unterstützt. Viele halfen ihren Freunden, Bekannten und Verwandten an der Ahr. Ein Spendenlager für Betroffene wurde im Gemeindehaus Pomster eingerichtet. Aufgrund der hohen Menge mussten Spenden teilweise jedoch in einem Clubheim untergebracht werden.
Bei der kommunalen Infrastruktur in Kirmutscheid hielten sich die Schäden in Grenzen. Es war vor allem die Straßenbeleuchtung zerstört. Diese geschützt vor künftigen Hochwässern wieder aufzubauen, verlangte große Anstrengungen, da sich sämtliche Unterstützung übergeordneter Stellen auf die stärker betroffenen Orte an der Ahr konzentrierte. Erfreulicherweise erklärte sich der Netzbetreiber auf Bitten der Gemeinde bereit, für die Zwischenzeit eine Notbeleuchtung bereitzustellen.
Die Gemeinde Pomster beseitigte die Verklausungen, die durch Totholz an den Brücken des Trierbachs und des Wenigbachs entstanden waren. Wochenlange Arbeiten waren notwendig, um die Geröllmassen aus dem Gewässer abzutransportieren. Besonderes Augenmerk wurde im Zuge der Gefahrenabwehr hierbei auf den Wenigbach gelegt, da sich die Gesteinsmassen derart im Bachlauf aufgetürmt hatten, dass sich das Gewässer beim nächsten Starkregen einen Weg zwischen den Häusern hindurch hätte suchen müssen.
Unterstützung bei der weiteren Gefahrenabwehr kam durch die Landesforsten Rheinland-Pfalz, die den Bereich des Trierbachs auf mehrere Kilometer Länge von Totholz befreiten und dieses zur Abfuhr bereitlegten.
Viele Kilometer Wege mussten wieder befahrbar gemacht werden. Hierbei wurde, wo es umsetzbar war, auf Verrohrungen verzichtet, an denen sich Holz und Geröll verfangen kann. Anstelle von Rohren wurden Mulden und Versickerungen angelegt, die wasserdurchlässig sind und bei Überflutungen weniger Schaden nehmen sowie Oberflächenwasser seitlich ableiten.
Eine unterspülte Brücke in der Gemarkung Pomster wird wohl noch für mehrere Jahre einsturzgefährdet bleiben, da vorrangig die Bauwerke an der Ahr wieder herzustellen sind und die Kapazitäten der Ingenieure und Fachfirmen auf längere Zeit nicht frei sein werden. Aufgrund der durch die Flut bedingte Überlastung der Verwaltungen, mussten die gesamten Maßnahmen wesentlich durch die Ortsgemeinde in ehrenamtlicher Arbeit koordiniert worden.
Vergangene Hochwasser und Vorsorge für die Zukunft
Am Tag des Hochwassers kamen die Erinnerungen an die Schäden des Hochwassers im Juni 2016 hoch, die damals bereits immens waren. Überliefert sind neben vielen normalen Hochwassern besonders die Ereignisse aus den Jahren 1910 und 1804, wobei letzteres nahe der Kirmutscheider Kirche ein ganzes Gehöft mit sich riss.
Zu dieser Zeit dürfte sich, wie historische Karten im Besitz der Gemeinde Pomster zeigen, lediglich eine einzelne Mühle an der Stelle befunden haben, wo sich jetzt der Ortsteil Kirmutscheid mit der Straße Mühlenau befindet. Ein Mühlenstandort existierte hier allerdings laut Quellenlage seit Jahrhunderten. Ob der Mühlenstandort bei den verschiedenen Katastrophen, die etwa seit dem 14. Jahrhundert überliefert sind, in Mitleidenschaft gezogen wurde, ist mir nicht bekannt.
Als Folge des Hochwassers 2016 gab die Verbandsgemeindeverwaltung Adenau im Jahr 2019 die Planungen zu einem Hochwasservorsorgekonzept für den Trierbach in Auftrag. Zur Minderung der Schäden bei zukünftigen Ereignissen engagiert sich die Gemeinde Pomster durch die Teilnahme an Hochwasserworkshops sowie Fachdiskussionen und sucht darüber hinaus zusammen mit anderen Orten den Kontakt zu Hochschulen, die Kompetenzen auf dem Gebiet der Hochwasservorsorge haben.
Ziel ist es, künftig Starkregen in der Fläche zurückzuhalten, damit dieser erst zeitverzögert an die Gewässer abgeben wird. Dadurch sollen nicht nur die Bewohner von Kirmutscheid geschützt werden, sondern alle Anlieger der Ahr.