Der Verlauf der Flutkatastrophe

Erlebnisbericht U. Adriany

Müsch
November 2023
Udo Adriany

Udo Adriany, Ortsbürgermeister von Müsch berichtet:

Anbei meine Gedanken zu der Flut in der Zeit danach wie folgt:

„Am Vormittag und den Tagen davor regnete es in Strömen und immer wieder wurde von Regenmengen bis 200l/m² berichtet – okay, eine Badewanne voll - so meine Gedanken – Aber was das „übersetzt“ auf die Flut hieß, war mir in den Tagen davor nicht bewusst, nicht vorstellbar.

Dann der Morgen des 14.07.2021: Es regnete und regnete immer weiter. Routinemäßig kontrollierten wir aufgrund der Erkenntnisse aus 2016 regelmäßig den Wasserstand des Trierbachs, der uns damals den halben Ort überflutet hatte.

Mittags dann die erste Sirenen-Alarmierung für Antweiler. Dort war der Hühnerbach, ein unscheinbarer Nebenfluss der Ahr, über die Ufer getreten. In Müsch war noch alles im grünen Bereich und wir bauten routinemäßig unsere Hochwasserschutzbarriere (gefüllt mit Big Packs, über 1,2t schwer) mit Treckern und Helfern entlang der B258 auf, um den Ort zu schützen.

Bild: Udo Adriany

Gerade fertig mit den Arbeiten so gegen 15:00 Uhr – das Wasser kommt, der Damm hält - und wir waren glücklich darüber, das Richtige getan zu haben. Unsere Freude hielt aber nicht lange an, denn es kam immer mehr Wasser, eine immer stärkere Strömung, immer mehr Treibgut – flutähnlich. Und dann schwammen unsere über 30 Big Packs wie Tennisbälle durch die Flut weg und das Wasser schaffte sich brachial den Weg durch unseren geliebten Ort.

Häuser wurden überflutet, Menschen havarierten von den Straßen in irgendwelche Häuser und halfen dort mit, das letzte Hab und Gut in höher gelegene Stockwerke zu schaffen. Keine Telefonverbindung, kein Strom, quasi abgeschnitten von der Außenwelt, konnten wir nur noch zusehen und hoffen.

Bild: Udo Adriany

Aus sicherer Entfernung oder höher gelegenen Standorten wie Dachterrassen und Balkonen sahen wir zu, wie das Wasser immer höher stieg. Die Brücke als Hauptzufahrt zum Kernort war zuerst noch befahrbar, jedoch wenige Minuten später dann komplett überflutet. Gegen Abend gab es einen mächtigen Knall, verursacht dadurch, dass die Ahr die komplette Brücke samt Trafohäuschen und Pegel wegspülte. Alles versank innerhalb von Sekunden in den Fluten.

Die Nacht brach herein und wir konnten nichts mehr tun außer beten, dass alle im Ort unversehrt die Nacht überstehen würden.

Bild: Udo Adriany

Am nächsten Morgen, mit den ersten Sonnenstrahlen ging es daran, mit allen verfügbaren Geräten, Treckern und Baggern die Rettungswege und Zufahrten im Ort wieder herzustellen. Erste Helfer aus der Nachbargemeinde kamen über den Berg in den Ort und boten Hilfe mit schwerem Gerät an, die wir dankbar und spontan sofort in Anspruch nahmen. Parallel wurde die Anwesenheit der alleinstehenden Senioren überprüft. Eine vermisste Person konnte trotz intensiver Suche nicht gefunden werden.

Bild: Udo Adriany

Es waren unfassbar tiefe Wasserlöcher durch Auskolkungen entstanden, die eine Zufahrt in den Ort verhinderten und daher wurde im ersten Schritt alles verfügbare Material mit Frontladern und Baggern in diese Löcher gefahren, um den Zugang in den Ort und zu den Menschen wieder zu ermöglichen.

Gegen Mittag war die provisorisch hergestellte Straße dann wieder befahrbar. Nun kamen die Freiwilligen Feuerwehren aus den Nachbarorten von den Höhen zu uns und halfen beim Auspumpen der Keller. Begleitet von Ölgeruch und wahnsinnig viel Schlamm und Geröll ging es daran, alles wegzuschaffen. Kurzerhand wurde die Kapelle zur Einsatzzentrale und von dort aus wurde alles koordiniert.

Bild: Heinz Grates

Bereits am Samstag danach, also nur zwei Tage später, war die Solidarität der Bevölkerung immens. Es standen 30 - 100 freiwillige Helfer an der Kapelle und fragten, ob Hilfe benötigt würde. Die Gruppen wurden aufgeteilt und im gesamten Ort verteilt, um in jedem betroffenen Haus Schlamm, Müll und Wasser aus den Gebäuden zu schaffen. Viele junge motivierte Menschen, Helfer mit Geräten, der Bauhof von Bad Marienberg mit Teleskoplader, Laster usw., es war was los im Ort. Kurzerhand richtete man zentrale Sammelplätze ein, um die Massen angespülten Mülls der ahraufwärts liegenden Campingplätze irgendwie zur Seite zu schaffen und für den Abtransport vorzubereiten.

Bild: Heinz Grates

Immer noch kein Strom, kein Wasser, keine Telekommunikation im Ort. Für die Vermisstenmeldung sind wir dann nach Barweiler auf den Berg gefahren, um telefonieren zu können und die vermisste Person zu melden. Fehlanzeige! Unter der 110 wurden wir vertröstet, eine andere Telefonnummer anzurufen. Wir haben nicht verstanden, warum die Polizei nicht diesen Job übernommen hatte. Egal, wir waren im Aktionsmodus gefangen und haben nicht hinterfragt, sondern gemacht, damit es weiterging.

Dann mehrere Paletten Trinkwasser beim Getränkehändler in Adenau geordert, um jedem Haushalt zumindest eine Kiste Wasser zur Verfügung zu stellen. Sachspenden trafen ein, Essen von umliegenden Restaurants …, unfassbar. Dankbar nahmen wir alles an und deponierten dies in der Kapelle, die so nun nicht nur Einsatzzentrale, sondern auch Spendenlager wurde.

Alles spontan ohne Masterplan, nur mit gesundem Menschenverstand. Nachdem wir dann einen groben Überblick über die Schäden hatten, war die höchste Priorität, die Wasserversorgung wieder aufzubauen und den Abwasserkanal wieder ans laufen zu bekommen. Beides war komplett zerstört und es galt, dies schnell wieder in Betrieb zu nehmen.

Bild: Heinz Grates

Wir haben Übermenschliches geleistet, der Zusammenhalt und die Gemeinschaft haben uns über uns hinauswachsen lassen. Es gab keine Probleme, sondern nur Lösungen, die dann direkt in die Umsetzung gingen. Es wurde geschafft, geackert und viele, viele Handgriffe haben letztlich dazu geführt, dass es jeden Tag ein bisschen erträglicher und angenehmer für alle Beteiligten wurde. Das abendliche gemeinsame Essen und Trinken eines Feierabendbieres hatten sich zum Ritual als Abschluss eines jeden langen Arbeitstages von 05:00 – 23:00 Uhr etabliert und alle mit einem Gemeinschaftsgefühl in die Nacht verabschiedet.

Unterm Strich eine sehr kraftraubende und intensive Zeit, die wir uns alle nicht vorstellen konnten. Wir konnten uns aber auch nicht vorstellen, dass wir eine unvorstellbar schöne Solidarität erfahren durften, die in unseren Herzen noch heute für Gänsehautmomente sorgt.

Bild: Heinz Grates


Der jAHRhundertweg