Das Herz des Ahrtals ist seine Weinkultur
Annette Holzapfel
April 2024
Die Situation der Ahr-Winzer nach der Flutkatastrophe
Das Weinanbaugebiet Ahr ist das größte geschlossene Rotwein-Anbaugebiet Deutschlands. Hier gründeten 1868 in Mayschoß 18 Winzer einen „Winzerverein“, aus dem die Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr e.G. hervorging, die älteste der Welt. Ihre 460 Mitglieder bewirtschaften 154 Hektar Rebfläche. Im Ahrtal existieren heute noch zwei weitere Winzergenossenschaften. Die Dagernova Weinmanufaktur/Ahr-Winzer eG mit Sitz in Bad Neuenahr und 600 Mitgliedern, die vor der Flut 148 Hektar und seit der Flut nur noch 133 Hektar bewirtschaftet. Dem 1874 gegründeten Ahrweiler-Winzer-Verein eG sind heute 67 Winzer:innen angeschlossen, die 20 Hektar bewirtschaften. Insgesamt sind 1127 örtliche Winzer und Winzerinnen in den drei Genossenschaften organisiert.
Im der Flutnacht wurden ca. 60 Hektar der vormals 563 Hektar Rebfläche an der Ahr zerstört. Von den 65 Betrieben, die Wein im Haupterwerb produzieren, wurden fast alle geschädigt. Manche verloren ihren gesamten Jahrgang 2020. Gebäude wurden entweder vollständig zerstört, mussten abgerissen werden, waren oder sind sanierungsbedürftig. Viele Maschinen wurden beschädigt oder gingen ganz verloren.
Beim Setzen von Neuanlagen der Reben müssen Hochwasserschutzauflagen berücksichtigt werden. Das betrifft die Zeilenrichtung der Weinberge und einen Abstand von mindestens 20 Metern vom Ahrufer. Weinberge, die sich dort befanden, wo nun neu ausgewiesenen Überschwemmungsgebiete sind, dürfen nicht neu angelegt werden. Das betrifft insbesondere für die Gemarkungen Dernau, Rech und Mayschoß. Unklar ist, wo Winzer:innen, die Anbauflächen verloren haben, wieder Reben anpflanzen dürfen. Die Entscheidungen werden federführend von der 2020 gegründeten „Schutzgemeinschaft Ahr“ getroffen. Sie schlägt Bereiche vor und gibt Empfehlungen an die Kreisverwaltung, die diese dann wiederum an das Land Rheinland-Pfalz sowie an die Europäische Union weiterleitet. Mit dem Abschluss der Flurbereinigung ist frühestens 2024 zu rechnen.
Während der Flut adhoc-aufgenommene und an Verwandte oder Freund:innen weiter unterhalb im Flusslauf verschickte Handyvideos wirkten wie ein Frühwarnsystem. So waren Weinfässer zu sehen, die Menschen in näher an der Mündung gelegenen Orten später in ihren Orten sahen. Daraus konnten sie ableiten, mit welch rasanter Geschwindigkeit die Flutwelle durch das Tal rollte und schlussfolgerten, wie viel Zeit ihnen blieb, um sich zu retten bzw. andere Menschen zu evakuieren. Mit den Fässern und zahllosen Flaschen, die der unbändige Fluss mitriss, schwammen auch der Ertrag monatelanger harter Arbeit und zukünftige Einnahmen bis zur Flussmündung und von dort in den Rhein - bis in die Niederlande.
Weitaus schlimmer als der Verlust von riesigen Mengen an Wein, war, dass in der Flutnacht Winzerinnen und Winzer um ihr Leben kämpften. Einige überlebten nur knapp. Sie konnten sich retten oder wurden am nächsten Tag gerettet. Zwei Winzerinnen aus Dernau harrten acht Stunden auf einem Baum aus, auf den sie sich gerettet hatten. Während ihre Kräfte nachlassen wollten, sprachen sie einander Mut zu, indem sie die Zukunft entwarfen. „Wir haben gegen die Panik angeplant. Wir wussten, die Vergangenheit war untergegangen. Wir mussten von vorn anfangen.“
Zeit, um den Schrecken und die Folgen der Angst zu verarbeiten, um sich zu erholen, hatte niemand. Dringend notwendige, durch die Flut verzögerte Laubarbeiten mussten durchgeführt werden. Traubenernte, Keltern und die Verarbeitung zu Wein standen unmittelbar vor der Tür und damit das Überleben und die Zukunft der Betriebe. Dass der Wiederaufbau ein Marathon werden würde, zeichnete sich ab. Anpacken, Optimismus, Zuversicht und Kreativität waren bereits gefragt, als die Schäden gerade erst erfasst wurden. Die tatkräftige Unterstützung durch die vielen Helfenden werden die Winzer:innen niemals vergessen. Darin sind sich alle einig.
Viele Winzer und Winzerinnen wuchsen über die eigenen Grenzen hinaus. Der Wiederaufbau, mit dem sie sofort beginnen mussten, verlangte ihnen Dauereinsatz bis zur Erschöpfung ab ebenso wie die Entwicklung und Umsetzung zahlloser Ideen für Wege aus der Misere.
Ohne die vielen freiwilligen Helfenden, die Keller reinigten, Fässer, Tanks und Maschinen reparierten oder Flaschen säuberten, wäre das Meiste nicht bewältigt worden. Guido Orthen, der Bürgermeister von Bad Neuenahr, versicherte: „Wenn wir die seit der Flut erfahrene Solidarität auch in den kommenden Jahren weiter gemeinsam leben, wird daraus ein ganz großes Gewächs“.
Am 12. Oktober 2021 wurde in der WG-Mayschoß die letzte Gitterbox mit verschlammten Flaschen gereinigt. Insgesamt waren es 1,4 Millionen Flaschen, etwa 20.000 Flaschen pro Tag. So konnte im Oktober 2021 die Vinothek, deren Gebäude komplett zerstört war, in einem Felsenkeller am Gastronomiegebäude der Winzergenossenschaft etabliert werden.
Winzer:innen aus anderen Regionen Deutschlands sowie Organisationen (darunter zahlreiche Landesverbände, die Schorlemer-Stiftung des Deutschen Bauernverbandes, VDP-Adler, aber auch private Weingüter) halfen. Nach der Flut unterstützten sie die Winzer:innen dabei, dass 2021 kein verlorener Jahrgang wurde. Damals hatten viele Winzer:innen Hemmungen, Hilfe anzunehmen.
Unmittelbar nach der Flut gründeten zwei betroffene Winzer, Marc Adeneuer und Peter Kriechel den neuen gemeinnützigen Verein „AHR - A wineregion needs Help for Rebuilding“ (deutsch: AHR – Eine Weinregion braucht Hilfe beim Wiederaufbau) und richteten ein Spendenkonto ein. Wenngleich der Verein innerhalb kurzer Zeit eine hohe Summe an Spenden erhielt, konnte dieses Geld aufgrund der Gesetzgebung für den Umgang mit Spenden lange nicht an Betriebe ausgezahlt werden, die es so dringend benötigten.
Zu den ersten Initiativen, die die Winzer:innen selbst starteten, gehörten der Verkauf und Versand von „Flutwein“. Peter Kriechel und Daniel Koller schufen noch im Juli 2021 die bisher größte Crowdfunding-Aktion Deutschlands. Ihr Ziel war, die Ahr wieder positiv aussehen zu lassen und dass in den Medien über das, wofür das Ahrtal steht - nämlich seinen identitätsstiftenden Wein - positiv berichtet wurde. Für den Verkauf des „Flutweins“ wurde auf Fernsehsendern, im Internet, auf Social Media und Plakaten in Großstädten sowie durch Influencer:innen und Prominente geworben. Auch leere Fässer aus dem Flutgebiet wurden von Spendenden erworben. Die Einnahmen - Anfang Dezember waren bereits 4,5 Millionen Euro von über 47.000 Unterstützenden eingegangen - sollten sowohl Winzer:innen als auch zerstörte Gastronomiebetriebe erhalten. Am Jahrestag der Flutkatastrophe versteigerte Peter Kriechel eine der letzten Originalflutweinflaschen zum Rekordpreis von 30.000 Euro. Bald darauf startete die Initiative mit dem „Museum of Modern AHRts“ ein neues Projekt.
Noch wichtiger als die finanziellen Einnahmen war die Schaffung einer neuen Marke, die den auf den ersten Blick wertlos gewordenen Ahrwein schlagartig in ganz Deutschland interessant machte. Jeder Ahrwinzerbetrieb konnte für den Verkauf des eigenen Weins den Namen „Flutwein“ übernehmen. Dadurch steigerte sich die Bekanntheit des Ahrweins.
Die Winzergenossenschaft Mayschoß vertrieb von einem Büro in Grafschaft Kisten mit Weinflaschen zu einem Solidaritätspreis. Stichprobenartige Prüfungen garantierten den Empfangenden, dass der Wein nicht kontaminiert war. Wer die Aktion unterstützte, erhielt Weinflaschen, die die Flut überlebt hatten und an denen noch Schlamm klebte. Zehntausende Kartons mit Weinflaschen, für die die Spendenden im Voraus bezahlt hatten, wurden gepackt und versandt, während im Ahrtal bereits die Weinlese begann.
Für die Winzergenossenschaft begann die Traubenlese am 17. September 2021. In ehemaligen Überflutungsgebieten war die Lese aufgrund der Kontamination verboten. Auch der Abtransport von den Steilhängen und den Terrassenlagen gestaltete sich schwierig, da die Flut die dort installierten Monorackbahnen zerstörte. Am 2. Oktober fand auf der Steilterrasse des Burgberges in Mayschoß eine Weinlese besonderer Art statt: Winzer Heinz Ley wurde von einer fünfköpfigen Gruppe der Frankenthaler Feuerwehr / Spezialeinheit Bergrettung unterstützt, die den Abtransport der Trauben via Rettungstrage durchführte. Auch freiwillige Helfende arbeiteten überall mit. Am 22. Oktober wurde die Traubenernte der Genossenschaft abgeschlossen.
Für das Keltern waren die Betriebe auf Unterstützung von außen angewiesen. Während in Mayschoß kundige Techniker:innen zerstörte Geräte reparierten, erhielten andere Winzerbetriebe kostenlos Geräte oder aber sie nutzten die Möglichkeit, ihre Trauben bei intakten oder wieder aufgebauten Betrieben zu keltern.
Ein Jungwinzer aus Altenahr, der in der Flutnacht seinen gesamten Wein und fast sein Leben verlor, sagt über die Tage nach der Katastrophe: „Ich habe nicht nachgedacht. Ich habe einfach angefangen aufzuräumen.“ Als er Anfang Oktober 2021 auf dem Terrain seiner ehemaligen Produktionshallen eine Party organisierte, auf der Kassala und andere Kölner Kultbands kostenlos musizierten, kamen Hunderte nach Altenahr. Menschen aller Altersgruppen waren glücklich mitten in der Corona-Pandemie endlich wieder ausgelassen feiern und tanzen zu können und spülten Geld in die Kassen des Jungwinzers. Längst hat er, nachdem er im ersten Sommer nach der Flut in einer wieder aufgebauten Halle neben Stahltanks über viele Monate zufriedene Gäste bewirtete, sein völlig zerstörtes Restaurant in modernem Stil wieder aufgebaut.
Im Juni 2022 fand in der Ruine von Kloster Marienthal und auf dem oberhalb liegenden Gelände wieder ein Festival statt, bei dem u.a. die Kölner Musikgruppe „Köbes Underground“ und bekannte (Cover-)Bands auftraten.
Durch die Flut sank der Direktverkauf von Wein, der vorher meist 60 bis 70 Prozent betrug, auf 20 bis 30 Prozent, was auch damit zu tun hat, dass nicht mehr so viele Tourist:innen kommen wie vor der Flut. Die einst malerischen Orte haben ihre Schönheit verloren. Infrastruktur, Verkehrsmittel und Übernachtungsmöglichkeiten fehlen. Dazu kommt bei manchen die Scheu, als Katastrophentourist:in wahrgenommen zu werden. Nur eine Teilstrecke der Ahrtalbahn wurde kurzfristig wieder aufgebaut. In die Weinorte gelangt man nur mit Bussen und muss mehrmals umsteigen. Die Flut hat die Hälfte aller Ferienwohnungen verwüstet, 80 Prozent der Gastronomie zerstört oder beschädigt und 70 Prozent aller Hotels konnten nach der Flut keine Gäste mehr aufnehmen. Umso wichtiger ist es, dass die „Ahr wieder einlädt“, man potenziellen Tourist:innen vermittelt, dass es „okay ist, ins Ahrtal zu kommen“. Mit einer Werbekampagne unter dem Motto „we AHR open“ will der Ahrtal-Tourismus Bad Neuenahr-Ahrweiler e.V. kommunizieren, dass das Ahrtal offen ist für Besucherinnen und Besucher, für neue Ideen und für die Herausforderungen, die der Wiederaufbau für den Tourismus mit sich bringt. Im Juli 2023 warb auch Bundespräsident Steinmeier dafür, das Ahrtal zu besuchen.
2022 feierte an Christi Himmelfahrt das neu kreierte Wein- und Wanderevent „Ahr-Wein-Walk“ eine gelungene Premiere. Das Konzept hatten neun Winzerbetriebe in Kooperation mit der „Ahrtal und Bad Neuenahr-Ahrweiler Marketing GmbH“ entwickelt.
„Wandern für den Wiederaufbau“. Mit diesem Slogan warb die Wiederaufbau- und Projektentwicklungsgesellschaft Dernau – Rech – Mayschoß im Herbst 2022 um Tourismus: „Wandertage: An allen Samstagen & Sonntagen im September und Oktober - Eine der schönsten Tourismusregionen in Deutschland wurde durch die Naturkatastrophe nachhaltig zerstört. Auch, wenn noch viel Arbeit vor uns liegt, wollen wir einerseits unseren Gästen wieder ermöglichen, das Ahrtal und vor allem die Mittelahr zu besuchen, andererseits haben unsere zahlreichen WinzerInnen und Gastronomiebetriebe die Möglichkeit, sich zu präsentieren. Auf der etwa 15 Kilometer langen Wegstrecke erwarten die Gäste neben einem der schönsten Teilstücke des Rotweinwanderweges kulinarische Highlights an unterschiedlichen Ständen. Neben unseren heimischen Weinen werden selbstverständlich kleine Snacks angeboten. Als besonderes Highlight werden auch in diesem Jahr wieder die SolidAHRitäts-Gläser und SolidAHRitäts-Bändchen für jeweils fünf Euro verkauft. Die Einnahmen kommen den Standbetreiberinnen, den Verkehrsvereinen und dem Wiederaufbau der Gemeinden zugute.“
Auf ihrer Website wirbt die aus drei Flut-Krisenstäben hervorgegangene Wiederaufbaugesellschaft für die Winzerfeste, die seit 2022 in allen Weindörfern in abgespeckter Form wieder stattfinden.
Im September 2021 begann das Weingut Kriechel mit einer „after help“ genannten Veranstaltungsreihe an den schönsten Örtlichkeiten in den Weinbergen Gäste und Helfende mit Livemusik und wöchentlich wechselnden, von der Flut betroffenen Gastronomien willkommen zu heißen. Im Mai 2022 startete es an der Stadtmauer von Ahrweiler die „WaionAHR Beach Bar“, die den ganzen Sommer über betrieben wurde. Für den Neubau des von der Flut zerstörten Weinhauses in Marienthal ist bereits ein österreichischer Stararchitekt engagiert. Geplant ist ein hochwassersicheres bauliches Highlight mit begrüntem Dach und Nahwärmeversorgung. Peter Kriechel hofft, dass es als Beispiel für Nachhaltigkeit im Ahrtal Nachahmende findet.
Mit einem Versprechen besonderer Art wendet die Winzergenossenschaft Mayschoß sich seit August 2022 an Berufstätige. Wer nach getaner Arbeit ins mittlere Ahrtal kommt, soll dort eine „work wine balance“ erleben. An jedem letzten Donnerstag im Monat finden auf einer provisorisch, aber sympathisch hergerichteten Weinterrasse „After-Work-Partys“ mit Weinspezialitäten, Cocktails, Fingerfood und Live-Musik statt. Anfang September lud die Genossenschaft erstmals wieder zu einer „Jahrespräsentation“ ein. In der ebenerdigen Produktionshalle, umgeben von hohen Stahltanks, fanden sich an zwei Abenden Besuchende an Probierständen ein: Stammkundschaft ebenso wie zahlreiche Neukundschaft. Im August 2023 übertraf die Zahl der Besuchenden der Jahrespräsentation alle Erwartungen.
Seit Ende 2022 organisieren Betriebe wieder Veranstaltungen für ihre Kundschaft. Vor der Flut hätten sie sich nie vorstellen können, dass sie einmal Weinproben auf einer Baustelle veranstalten würden. Für alle war „Aufgeben keine Option“. „Die Solidarität unter den Menschen und der starke Familienzusammenhalt halfen den Winzern, positiv ins nächste Jahr zu schauen und einfach weiterzumachen. Ihr unerschütterlicher Optimismus und ihr starker Wille, nicht aufzugeben, berührten Besucher emotional.“ (Dagmar Stadtfeld: „Dieser Wein überlebte die Sturzflut im Ahrtal“. Rheinzeitung vom 04.12.2021)
Für das erste Quartal 2023 hatte der Ahrtal-Tourismus Bad Neuenahr-Ahrweiler allein 17 große Veranstaltungen geplant.
Die einmal in Fahrt gekommene Kreativität der Winzer:innen scheint keine Grenzen mehr zu kennen. Die 150 Jahre alte Winzergenossenschaft DAGERNOVA in Dernau kreierte den Rotwein „dankbar“. Zu Weihnachten, Karneval und Ostern lässt sie sich attraktive und ungewöhnliche Angebote und Produkte einfallen. Seit Ende 2022 betreibt die Genossenschaft im Neuenahrer Kaufhaus Moses ein modernes Bistro. Im Juni 2023 feierte sie ihr Jubiläum mit einem großen Open-Air-Festival, bei dem Brings und andere Giganten des Kölner Karnevals auftraten.
Manche Winzer:innen sagen, die Flut habe sie aufgerüttelt. Bereits in den letzten Jahrzehnten haben steigende Temperaturen, Hagel und Starkregen den Weinbau überall in Deutschland verändert. In den Augen der Winzer:innen ist Zeit für ein Umdenken.
Der flutgeschädigte Stammsitz der Winzergenossenschaft in Mayschoß soll einem Neubau weichen. Dies ruft bei einigen Mitgliedern durchaus Bedauern hervor, denn das stark zerstörte Gebäude aus dem Jahr 1871 erinnert an die traditionsreiche Geschichte der Genossenschaft. Man hätte es retten bzw. im alten Stil wieder aufbauen können, meinen manche. Die Fertigstellung des Neubaus, für den heimische Materialien verwendet werden sollen, ist für 2026 anvisiert. Geplant ist die Vinothek neben dem urigen Felsenkeller unterzubringen, wo sich jetzt das Provisorium befindet. Das Restaurant, der Verwaltungstrakt und die Brennerei werden neu errichtet, ebenso Säle, die 60 bis 200 Gästen Platz bieten sowie Tagungsräume. Eine Begrünung der Dächer, auch um Regenwasser aufzufangen ist vorgesehen. Von Terrassen werden die Gäste den Ausblick auf die romantische Ruine der Saffenburg genießen können. Strom könnte von Solaranlagen kommen und die Heizung soll an das Nahwärmenetz des Weindorfs angeschlossen werden.
Von den 20 Hektar Anbaufläche, die komplett zerstört wurde, stellen die Winzer:innen zehn Hektar als Retentionsfläche zur Verfügung, die der Ahr überlassen werden. Auf den anderen zehn Hektar sollen die Reben in Fließrichtung der Ahr und mit zwei Metern Zeilenbreite wieder gepflanzt werden. Zusätzlich beugt der Terrassenweinbau Überflutungen vor, weil die Terrassierung Wasser zurückhält.
Bei einer vor 20 Jahren durchgeführten Flurbereinigung wurde bereits ein Beitrag zur Hochwasservorsorge geleistet, indem man dafür sorgte, dass Wasser nicht ins Tal abgeführt wurde, sondern mit einem zweiprozentigen Gefälle zum Berg hingeleitet wurde, damit es dort versickern konnte. Für Stark- und Dauerregen — jedoch nicht für ein Ausmaß wie im Jahr 2021! — wurden seit den 1980er Jahren zusätzlich Rückhaltebecken gebaut (Silberberg, Adenbach, Ellig). Außerdem haben die Winzer:innen in den letzten 20 Jahren ihre Weinberge stark begrünt, sodass das Wasser langsamer abfließt und länger im Boden gehalten wird.
Bei der noch anstehenden nicht-klassischen Flurbereinigung mit freiwilligem Landtausch sollten die Terrassen wegen ihrer Bedeutung für Flora und Fauna erhalten bleiben. Zudem wirken sie der Erosion entgegen. Für die an Wirtschaftswegen befindlichen Stützmauern übernimmt die Stadt Bad Neuenahr - Ahrweiler auf ihrem Gebiet die Instandsetzung. Die Anliegenden beteiligen sich an den Kosten. Für Stützmauern innerhalb der Weinparzellen sind die einzelnen Winzer:innen verantwortlich. Früher wurden sie in Gemeinschaftsarbeit instandgehalten. Heute obliegt die Reparatur eingestürzter Mauern den jeweiligen Eigentümer:innen.
In der Flutnacht wurde den Winzer:innen viel genommen, nicht nur Sachgüter, was sie nach wie vor emotional belastet. Der Arbeitseinsatz im Wiederaufbau lenkt ihren Blick von den Verlusten ab. Jedoch durchleben manche bis heute immer wieder Augenblicke, in denen sie sich fragen „Welchen Sinn macht es, wenn ich heute in den Weinberg gehe?“
Ein Hoffnungszeichen ist der Spätburgunder aus dem Jahrgang 2021. Der Ertrag war sehr klein und die Qualität nicht optimal. Dennoch ist es den Winzer:innen gelungen, einen sehr eleganten Jahrgang auf die Flasche zu ziehen, mit lebendiger Frische und einer ausgewogenen Säurestruktur.
Zukünftig ist für die Ahrwinzerbetriebe äußerst wichtig, dass Hotels und Gaststätten wieder ihren Betrieb aufnehmen und für den Tourismus ein attraktives gastronomisches Angebot für einen Aufenthalt im Ahrtal bereithalten.