Die Ahr – gehen wir der Sache auf den Grund
Dorothee Landen
Januar 2024
Knapp zwei Jahre nach der verheerenden Flutkatastrophe vom 14. Juli 2021 stellte ich mir die Frage, ob dieses Ereignis für den Fluss auch so einschneidend gewesen ist wie für viele seiner Bewohner:innen rundum. Große, reißende Wassermengen drückten sich in kürzester Zeit durch ein enges Tal und richteten, gespeist von den Bächen aus den Nebentälern, enormen Schaden an und kosteten Menschenleben. Auch am Flussufer der Ahr, die teilweise sogar ihren Verlauf geändert hat, erkennt man, trotz großer Bemühungen der Wiederherstellung, immer noch, mit welcher Kraft das Wasser sich seinen Weg bahnte.
In Anbetracht der Kräfte, die dort wirkten, fragt man sich, welche Folgen dies für den Fluss mit sich brachte. Um einen Eindruck davon zu bekommen, besuchte ich unseren langjährigen Fischereipächter vom Ahrabschnitt Fuchshofen, Franz Nolden. Franz kümmert sich seit nunmehr 47 Jahren um die Fischerei in Fuchshofen und ist derzeit zweiter Vorsitzender der ARGE Ahr e. V. Die ARGE Ahr ist ein Verein zur Erhaltung und Förderung der Flora und Fauna an der Ahr und deren Zuflüssen. Wer, wenn nicht er, sollte also meine Fragen beantworten können?
Doch, um die Folgen der Flut zu verstehen, muss man sich erst einmal einen Eindruck davon verschaffen, wie es vor der Flut um den gut 85km langen Fluss und seine Bewohnenden bestellt war.
Laut Fangstatistiken der letzten Jahre kommen hauptsächlich die Äsche, die Bach- und die Regenbogenforelle in der Ahr vor. Jedenfalls gilt dies für den Abschnitt Fuchshofen. Nicht jeder Fisch, der in der Fangstatistik auftaucht, wird auch entnommen. Eine solche Statistik dient vor allem dazu, ein Bild über den Fischbesatz wiederzugeben. Auch Barben, Döbel, Barsche, Rotaugen, Aale und Lachse gehören zum Besatz der Ahr.
Franz erzählte mir, dass die Äsche sich lieber in der Mitte des Flusses aufhält, wo mehr Fließgeschwindigkeit herrscht. Der Fisch kann dieser durch fließende Bewegungen gut standhalten. Forellen findet man eher am Rand, wo es ruhiger ist.
Die Äsche ist Franz‘ Sorgenkind. Sie ist ein heimischer Süßwasserfisch, kann zwischen 30 und 50 cm lang werden und wiegt zwischen 500 bis 1500 Gramm. Sie besitzt eine ausgeprägte Rückenflosse, die sogenannte Äschenfahne, und laicht zwischen März und April.
Warum wurde sie zum Sorgenkind? Seit den 1990er Jahren hat das Vorkommen der Kormorane stark zugenommen. Diese rund 80 cm großen, schwarzen Vögel ernähren sich von Fisch und leben deshalb immer in Gewässernähe. Die Jagd erfolgt im Tauchgang, also in der Mitte des Flusses, wo die Äsche sich gerne aufhält. Im mitteleuropäischen Binnenraum waren sie zeitweise fast ausgerottet.
Dem Äschenbestand im Abschnitt Fuchshofen und an der restlichen Ahr tat das große Aufkommen der Kormorane nicht gut; ihre Bestände verringerten sich zunehmend und besorgniserregend schnell, sodass die Vögel bejagt werden mussten.
Der geschwächte Bestand konnte nur mühevoll über das regelmäßige Einsetzen von Fischen gerettet werden und erholt sich bis zum heutigen Tage nur langsam.
Das nächste große Problem stellte das Auftauchen des Signalkrebses dar, welcher ursprünglich aus Nordamerika kommt. Geschätzt bin ich 2019 das erste Mal auf ihn aufmerksam geworden, als Franz Nolden öffentlich Alarm schlug. Der Krebs wanderte gegen die Strömung flussaufwärts und kam in Fuchshofen an. Lange Zeit hatte das Vorkommen im Bereich des Laufenbacher Hofs stagniert. Dennoch war der Krebs weitergewandert. Grundsätzlich hat das Tier eine große Speisekarte, aber vor allem stehen darauf Laich und kleine Jungfische. Pflanzen und Insektenlarven mag er ebenfalls.
Warum haben wir diesen kleinen 12 bis 15 cm großen Räuber mit Scheren kaum wahrgenommen, wenn er eine solche Bedrohung für das Wasserleben ist? Er ist nachtaktiv und schlummert tagsüber gut getarnt am Uferrand.
Die Anzahl der Krebse wuchs besorgniserregend an und bedrohte die Jungfische im Fluss. Ausgewachsenen Fischen dienen die kleinen Krebse wiederum als Nahrung, aber wenn ein Altbestand an Fischen fehlt, kann man sich vorstellen, was mit einem geschwächten Fischbestand zu passieren droht.
Zudem übertragen die Signalkrebse die sogenannte Krebspest, die für heimische Krebsarten tödlich ist.
Franz Nolden war sich der Auswirkungen durchaus bewusst und startete einen Modellversuch. Zusammen mit Bernd Schmitz und Albert Dresen als freiwillige Helfer wurden im Ahrabschnitt Fuchshofen in regelmäßigen Abständen Reusen zum Abfangen der Tiere aufgestellt. Bestückt wurden sie mit Fischfertigfutter. Der Erfolg gab ihnen Recht. Im Jahr 2019 konnten, mit zum Schluss 15 Reusen, 2600 Krebse abgefangen werden. Dies war überhaupt erst möglich, weil man einen Gastronomen gefunden hatte, der die Tiere verwertete. Töten und Entsorgen ist nämlich gesetzlich verboten.
Das erarbeitete Geld spendete Franz Nolden der Ortsgemeinde Fuchshofen.
Ziel des Versuchs war, den Beweis zu erbringen, dass man durch Aufstellen von Reusen die invasive Wanderung der Signalkrebse flussaufwärts stoppen kann, erklärte Franz Nolden. In den angrenzenden Pachtstrecken Antweiler und Müsch wurden keine Krebse gefunden.
Im Laufe der Jahre sind Franz und seine Mitstreiter nicht müde geworden, in regelmäßigen Abständen Fische, wie z. B. Äschen und Forellen in die Ahr einzusetzen, um so den Bestand der heimischen Fischarten zu fördern. Zuletzt wurden im Herbst 2022 wieder 3000 kleine Äschen eingesetzt. Diese Äschen haben sich vermehrt und eine neue Generation wächst heran. Das stärkt den Fischbestand.
Die Kormoran- und Signalkrebsproblematik sollte man kennen, wenn man die Frage beleuchtet, wie es der Ahr nach dem Hochwasser ergangen ist.
Fakt ist, die Flutkatastrophe 2021 war ein einschneidendes Erlebnis für den Fluss. Das Flussufer ist nicht wiederzuerkennen. Überall fehlt der Bewuchs, ein Strich leere Landschaft. Die Flut hat jede Menge Müll verursacht. Reste von Dingen, die Menschen früher lieb und teuer waren, hängen teilweise noch sehr hoch in den wenigen nach der Flut übrig gebliebenen Bäumen. Durch die Kraft des Wassers haben diese Bäume sich in Fließrichtung geneigt und der Müll blieb hängen. Viele kleine Plastikstücke konnten nicht aufgelesen werden; sie bleiben in der Natur zurück.
Der Fluss hat in der Flutnacht ebenfalls große Mengen an Öl aufgenommen. Zwar sind diese mit der Strömung größtenteils abtransportiert worden, dennoch verblieben Bestandteile in der Natur und schädigen sie. Auf der Homepage der ARGE Ahr kann man dazu lesen: „Der naturbelassene Flusslauf der Ahr mit seiner vielfältigen Flora und Fauna ist größtenteils zerstört. Nach vorläufigen Untersuchungen des Fischbestandes durch die SGD Nord/Koblenz zeichnet sich ein düsteres Bild ab. Die Fischbestände sind abhängig vom Ober-, Mittel- und Unterlauf, teilweise bis zu 90% verschwunden und auch das Aufkommen der Wasserinsekten als Nahrungsgrundlage der Fische hat sich dramatisch verschlechtert.“
Signalkrebse sind bei Probeläufen mit den Reusen im letzten Jahr kaum feststellbar gewesen. Die Zeit wird zeigen, wie es mit den Krebsen weitergeht.
Ich persönlich freute mich sehr, als nach einem knappen Jahr endlich wieder ein paar Enten hinter meinem Haus der Ahr einen Besuch abstatteten. Sie staunten wohl nicht schlecht, als sie plötzlich eine kleine Steininsel fanden. Auch eine Frage, die mich beschäftigte und die ich Franz Nolden stellte: wie hat sich der Grund der Ahr verändert? Wenn es in meinem Garten schon metertiefe Löcher gegeben hatte, mussten diese doch auch am Boden der Ahr zu finden sein. Franz, der den Untergrund seines Fischereipachtgebietes vor der Flut in und auswendig kannte, bestätigte meine Vermutung. Der komplette Grund hat sich verändert. Ehemals seichte Stellen sind plötzlich mehrere Meter tief und umgekehrt. Nichts ist mehr, wie es war; der Pächter und seine Mitstreitenden müssen die neuen Gegebenheiten erst einmal studieren. Die Löcher werden mit der Zeit weniger werden. Das Wasser bringt allerhand Sediment und Geröll mit und wird sie zu schwemmen, langsam und in seinem eigenen Tempo.
Allerdings bieten diese neu entstandenen Tiefen auch Lebensraum für Obdachlose. Gemeint sind in diesem Fall Karpfen. Eigentlich kein heimischer Fisch in unserer Ahr, aber ein beliebter Fisch in Teichen. Und eben vor jenen Teichen hat die Flut nicht Halt gemacht und die Tiere mitgenommen. Nun auf sich allein gestellt, haben sie die tieferen Regionen erobert, da sie lieber in langsam strömenden Bereichen leben.
So hat die Flut nicht nur oberirdisch, sondern auch unter der Wasseroberfläche vieles verändert und die Flussbewohner müssen versuchen, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Vieles wird die Zeit regeln, aber eine Sache ist wirklich dringlich: der fehlende Uferbewuchs. Der Flusslauf war vor der Flut mit reichlich Bäumen und Sträuchern gesäumt. Weiden, Ulmen und Eschen, um nur einige zu nennen. Das Ahrufer war grün. Das Grün beschattete den Fluss und bot den Tieren am und im Wasser Schatten und Rückzug. Was passiert nun, wenn dieser Bewuchs fehlt? In heißen Sommern wie 2022 steigt die Wassertemperatur. In Dernau wurden im Sommer 2022 25°C Wassertemperatur gemessen. Das ist zu viel für unsere heimischen Fischarten. Sie bevorzugen 12 - 15°C. Im wärmeren Wasser kommt es zudem vermehrt zu Algenwuchs. Das Wasser wird sauerstoffärmer. Entlastung könnte eine Uferbepflanzung bringen; da sie helfen könnte, das Ökosystem im Gleichgewicht zu halten. Meterhohe Bäume und Sträucher wachsen allerdings nicht auf die Schnelle heran. Das dauert mehrere Jahre bis Jahrzehnte.
Die ARGE Ahr Homepage schreibt: „Wiederaufforstung und Uferrandvegetation – Hierzu gab es bereits Gespräche mit der zuständigen Behörde für den Uferrandbereich (SGD Nord/Koblenz) und es liegen zur Kostenermittlung bereits Angebote vor.“
Die Ahr und ihre Bewohnenden, egal, ob über oder unter der Wasseroberfläche haben gelitten. Schon vor der Flut war die Situation angespannt; sie hat sich durch die Flut bestimmt nicht gebessert. Um den Fluss mit seinen heimischen Fischarten zu erhalten, müssen gezielte Maßnahmen ergriffen werden. Hauptpunkte sind dabei mit Sicherheit die weitere Entsorgung des Mülls, das Bepflanzen des Ufers, die Bestandskontrolle des Signalkrebses und Fischeinsatz. Ein Gewässer, das kurz vor dem Umkippen steht, ist weder für die Fischereipächter noch für die Ahranwohner:innen erstrebenswert. Wenn keine Pächter oder Pächterinnen mehr da sind, fehlen wichtige Menschen, die sich um das Gleichgewicht in der Ahr kümmern und den verpachtenden Gemeinden fehlen die Einnahmen der Pacht.
Die Ahr begleitet mich schon mein ganzes Leben lang. Ich habe mehr oder weniger immer an ihr gelebt und auch, wenn sie nicht immer schön und glänzend in ihrem Bachbett liegt, auch eine zerstörende, schmerzbringende Seite hat, wünsche ich ihr, dass sie mit all ihren Bewohnerinnen und Bewohnern, ober- und unterhalb der Wasseroberfläche, eine hoffnungsvolle Zukunft hat.