Der Verlauf der Flutkatastrophe
Erlebnisbericht A. Rickert
Mayschoß
2022
Astrid Rickert
Wesentliche Teile des folgenden Berichts sind der Flutchronik „Mayschoß und die Flutkatastrophe am 14. Juli 2021“ von Sebastian Wolfgang Schmitz entnommen. Herausgegeben wurde das Buch von der Ortsgemeinde Mayschoß im Jahr 2022.
Im Geleitwort des Buches ist zu lesen:
„Als wir am Wochenende vor der Flut von Mittwoch auf Donnerstag 14./15. Juli 2021 über die Wettermeldungen auf ein mögliches Hochwasser der Ahr informiert wurden, blieben wir – erfahren durch die vielen Flutereignisse unserer Geschichte – entspannt. Hatten wir doch erst 2016 ein Hochwasser mit einem seit Installierung von Pegeln im Ahrtal (1914) „Allzeit Pegelhöchststand“ in dem für Mayschoß maßgeblichen Pegel Altenahr zu verzeichnen. Dies gab Anlass, sofort ein neues Hochwasserschutzkonzept für künftige Hochwässer zu erstellen. Dies wurde dann 2018 im Gemeinderat der Bevölkerung vorgestellt. Alle vorgeschlagenen Maßnahmen wurden umgesetzt – unsere Feuerwehr war vorbereitet – die Hauseigentümer in den gefährdeten Bereichen hatten alle die gewohnten und neu vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen vorgenommen.
Das Hochwasser kann kommen… so glaubten wir alle.“
Doch die ergiebigen Regenfälle, die im nördlichen Teil der Oberahr an den Vortagen niedergegangen waren, konnten nicht mehr vom Boden aufgenommen werden und ließen die zahlreichen Zuläufe der Ahr stark anschwellen.
Diese Wassermassen speisten die Ahr und ließen sie zu einer seit 1804 nicht mehr dagewesenen Höhe anschwellen.
Das Wasser, das sich samt Treibgut talabwärts wälzte, richtete auch in Mayschoß und Laach nicht nur heftige Schäden und Zerstörung an den in Ufernähe stehenden Gebäuden an, sondern drang zudem weit in den Ort und in die von der Bundesstraße abgelegenen Straßen und Häuser vor.
Die Nacht vom 14. auf den 15. Juli
„Diese Nacht wird nach den Berichten von vielen in der Nähe des Flusses wohnenden Mayschossern als die schlimmste ihres Lebens in Erinnerung bleiben. Bei völliger Dunkelheit in der letzten Zuflucht im fensterlosen Dachspeicher, auf Felsvorsprüngen oder auf Dächern hatte manch einer von ihnen schon mit dem Leben abgeschlossen und jede Hoffnung verloren. Auch für die, die noch Flucht- und Rückzugsmöglichkeiten hatten, war das Tosen der Wassermassen und die Unsicherheit, was da noch alles geschehen könnte, sehr beängstigend. Diese Nacht schien für alle kein Ende zu nehmen. Erst nachdem das Wasser im Schein einer Kerze oder einer Handyleuchte nicht mehr weiter stieg und dann langsam absank, kam wieder etwas Hoffnung auf. Der nach langen Stunden des Bangens beginnende Morgen war ein erstes Zeichen für die Flussanrainer, diese Nacht lebend überstanden zu haben.“
Am Morgen zeigte sich, dass die Vorbereitungen in keinem Verhältnis zu dem standen, was nötig gewesen wäre, um diesen Wassermassen zu begegnen. Gegen 00.20 Uhr, also kurz nach Mitternacht, war der Höchstwasserstand in Mayschoß erreicht. Dann sank das Wasser wieder.
„Mit dem ersten Tageslicht zeigt sich das Ausmaß der Verwüstung. In Laach ist die Holzbrücke weggerissen und auch die neue Fahrradbrücke zerstört. Das Hotel Jägerstübchen ist ebenfalls stark beschädigt und droht einzustürzen. Ein Haus ist fortgerissen, alle übrigen Häuser im Ortsteil Laach sind geflutet. Im Ortsteil Bungert ist das ehemalige Postgebäude verschwunden und von der Weinstube Kraus und dem Haus Kirsch stehen nur noch Gebäudereste.
Die Winzergenossenschaft und die gegenüber gelegenen beiden Gebäude, Reiseandenken Kirsch und Hotel Saffenburg, sind stark beschädigt. Im Ortsteil Bungert stand das Wasser in der oberen Häuserreihe der Bungertstraße bis zwei Meter hoch. In der „Rötsch“ standen die Häuser bis in den ersten Stock und auch die Backstube von Wido Ockenfels im Wasser. Im Bereich Etzhard standen alle Häuser bis zum Anwesen Fuhrmann, Etzhardstraße 24, mindestens bis zum Erdgeschoss im Wasser. In der Dorfstraße stand das Wasser bis zum Anwesen von Wilfried Rössel. Alle Ortsbewohner haben kein Wasser und keinen Strom, das Handynetz ist ausgefallen. Der Ort ist bis auf die Waldwege zum Dernauerberg, dem Weidenhardweg und dem Weg durch das Tankenbachtal, die zu den Höhenlagen der Grafschaft führen, von der Außenwelt abgeschnitten. Hubschrauber der Polizei, und ab späten Nachmittag auch der Bundeswehr, evakuieren die BewohnerInnen aus den ahrnahen Häusern. Sie fliegen die Einsätze den ganzen Tag über und bringen die geretteten Personen zum Ortsbereich Fuhrweg. Die örtliche Feuerwehr bietet den BewohnerInnen, die noch über Trinkwasser verfügen, an, dieses in der alten Schule „Bürgerhaus“ aufzuwärmen. Dort wird auch eine erste improvisierte Sammelstelle für Lebensmittel eingerichtet. Freiwillige kochen auf zwei Herdplatten Nudeln mit Tomatensauce. Es gibt Kaffee und belegte Brötchen. In der Kirche soll eine zentrale Lebensmittelstelle eingerichtet werden. Nachmittags ist zunächst Mineralwasser besorgt worden. Ein Bundeswehr-Pionierpanzer kommt von Weidenhard sowie zwei THW-LKWs und einige Polizeifahrzeuge erkunden die Lage. Es soll auch eine medizinische Erfassungsstelle eingerichtet werden, wo man seinen Bedarf registrieren lassen kann. Leitender Notarzt für den Kreis ist der Mayschosser Dr. Lepping. Später trifft der erste Treibstoff ein. Er ist ausschließlich für die Einsatzkräfte. Wer einen Stromgenerator besitzt, musste sich anfangs selbst um den Kraftstoff kümmern.
Freitag, 16. Juli
Es gibt weiterhin keine Strom- und Wasserversorgung. Man hilft sich in den Nachbarschaften und braucht gemeinsam verderbliche Lebensmittel auf. Gasgrill, Kohlegrill und Campingkocher sind die einzigen Kochquellen, um aufgetaute und leicht verderbliche Lebensmittel aus Gefrierschränken und Kühlschränken zu retten. Man tauscht sich aus, versucht mit der schwierigen Lage zurecht zu kommen. Nachdem die Flut zurückgegangen ist, verbeiben auf der Ahrrotweinstraße bei der Lochmühle meterhohe Stein- und Geröllmassen. Dazwischen liegen Autowracks. In der Steigung der Straße bei der Mühlenschenke ist statt der Straße ein wassergefülltes Kraterloch zu sehen.
Die Umgebung der Ahr ist grau-braun von Schutt, Geröll und Abfällen. Es ist kaum noch Grün zu sehen. Büsche, Wiesen und Weinbergsanlagen sind verschwunden. Bäume sind abgeknickt oder auch ganz weggerissen.
Es sind Menschenleben zu beklagen. „Die Flut forderte in Mayschoß und Laach sechs Todesopfer. Dabei handelt es sich um einen Mann und eine Frau, die mitsamt ihrem Haus, das am Ortsausgang von Laach in Richtung Reimerzhoven stand, von den Fluten weggerissen wurden. Zwei Frauen aus Mayschoß starben in der Flutnacht. Trotz mehrmaliger Aufforderung, die Bereiche an der Ahr zu verlassen, werden später zwei Urlaubsgäste, die mit ihrem Wohnmobil im Bahnhofsbereich standen, von der Flut erfasst.“
Weil der Ort von jeglicher Versorgung von außerhalb abgeschnitten war und man sich selbst helfen musste, wurde zwei Tage nach der Flut ein Krisenstab gegründet. „Der Krisenstab hatte sich zur Aufgabe gemacht, Versorgungsstrukturen aufzubauen, die Bevölkerung zu informieren, Hilfen zu ermitteln und zu koordinieren sowie Kontakte zu den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben herzustellen.“ Bewohner, die Hilfe leisten konnten oder sich meldeten bzw. angesprochen wurden, übernahmen Aufgabenfelder wie beispielsweise Versorgung der Bevölkerung, Materialausgabe, Fahrdienste oder Müllentsorgung.
Nach dieser Zerstörung musste direkt gehandelt werden. In den folgenden Tagen erhielt die ortsansässige Feuerwehr, die seit dem Nachmittag des 14. Juli unermüdlich im Einsatz war, von THW-Einheiten und anderen Feuerwehren Unterstützung. Wasser wurde in Tanks von außerhalb herangefahren.
Es wurden Verpflegungsstellen und Duschmöglichkeiten an der Kirche, am Winzerverein und in Laach eingerichtet. Viele Dorfbewohner erklärten sich bereit, an den Versorgungsstellen Arbeitsschichten zu übernehmen, da in den folgenden Tagen über die provisorisch wiederhergestellten Versorgungswege Kleiderspenden, Lebensmittelspenden, Hygieneartikel und vieles mehr angeliefert und in der Kirche eingelagert und verteilt werden mussten. Für Helfer standen Schlafmöglichkeiten im Pfarrheim und in der alten Schule bereit. Für die flutbetroffenen Bewohner, die sich nicht aus Mayschoß evakuieren lassen wollten, wurde innerhalb der Gemeinde Wohnraum in Form von Ferienwohnungen oder Gästezimmern oder leerstehenden Häusern zur Verfügung gestellt. Viele Helfer übernachteten in ihren Fahrzeugen. Das beständig freundliche Sommerwetter erleichterte die Aufräumarbeiten. Unkonventionelle Hilfe war das Gebot der Stunde. Bereits kurz nach der Katastrophe erreichten zahlreiche Sach- und Geldspenden die Betroffenen.
Die medizinische Versorgung wurde dadurch gewährleistet, dass ein ortsansässiger Arzt in der Kirche eine Sprechstunde einrichtete. Nötige Medikamente wurden ebenfalls an der Kirche von ortsansässigen medizinisch-technischen Assistentinnen ausgegeben und Impfungen, hauptsächlich Tetanus und Corona, verabreicht.
Gerätschaften wie Pumpen, Stemmhämmer, Schaufeln, Schneeschieber zum Entfernen des überall vorhandenen Schlamms, Schubkarren, Besen sowie Stiefel und ähnliche Hilfsmittel wurden ausgegeben. Private Initiativen kamen ins Tal und räumten mit privaten Radladern bzw. Minibaggern auf, zum Teil überließen sie den Mayschossern die Fahrzeuge anschließend leihweise.
Der Pflanzenschutz für die Weinberge, in denen die Vegetation ihren gewohnten Lauf nahm, wurde per Ausnahmegenehmigung von einem Hubschrauber übernommen. Winzer und Winzerinnen, die im Besitz von Gerätschaften waren, übernahmen Arbeiten für flutbetroffene Winzergenossen und Winzergenossinnen.
Ein Fahrservice mit geländegängigen Fahrzeugen beförderte Bewohner und Helfer zwischen Mayschoß und Grafschaft über die Höhenwege. Der Hausmüll und sonstiger Abfall wurden zum Schutz vor Seuchen und Ratten täglich eingesammelt und abtransportiert. Durch die gute Organisation und Vernetzung waren die Grundbedürfnisse für die Anwohner gedeckt und es war nur in selten notwendig, den Ort zu verlassen.
Ein ortsansässiger Bauunternehmer regelte den Ausbau des Weidenhardweges, damit er von LKWs und großen Fahrzeugen befahren werden konnte.
Es reisten freiwillige Helferinnen und Helfer in kaum vorstellbarer Zahl an, die unermüdlich zusammen mit den Einheimischen geschädigte Häuser ausräumten, entkernten und Straßen, Wege sowie das Ahrufer von angeschwemmtem Müll räumten. Außerdem wurde Hilfe bei der Wiedererrichtung von den für die Verarbeitung der bevorstehenden Traubenernte nötigen Räumen in der Winzergenossenschaft geleistet oder beim Spülen der weit über eine Million verschlammten Weinflaschen geholfen, um diese für den Verkauf als „Flutwein“ aufzubereiten. Viele dieser Helfenden kamen über Wochen und Monate, um die entstandenen Schäden zu beseitigen und nicht zuletzt auch zur moralischen Unterstützung der Bevölkerung. Noch heute bieten sich Gruppen an, um bei größeren Aktionen zu helfen. Es sind Freundschaften entstanden, von denen einige vermutlich ein Leben lang halten werden.
Bereits Anfang 2022 wurde der Krisenstab in Aufbaustab umbenannt. Die Orte Dernau, Mayschoß und Rech gründeten eine Wiederaufbaugesellschaft, die sich „Zukunft Mittelahr“ nennt und nun für die drei Gemeinden wirkt.
„Wie sieht die Zukunftsplanung aus?
Um den Ort bestmöglich vor Hochwasser zu schützen, ist die Fläche des Sportplatzes sowie das umschließende Gelände bereits abgesenkt worden. Möglicherweise wird auf weiteren Flächen Grund abgetragen.
Die Sportplatzbrücke soll eine reine Fußgängerbrücke werden. Zusätzlich ist eine durchfahrbare Furt zur gegenüberliegenden Ahrseite im Gespräch.
Die Sankt Anna-Brücke in Laach soll ein Stück ahraufwärts an der strömungstechnisch günstigsten Stelle neu errichtet werden. Beide Brücken werden bei zukünftigen Hochwassern den größtmöglichen Durchfluss ermöglichen. Das Hauptaugenmerk liegt hier auf dem Schutz der Orte bzw. der Bevölkerung.
Mayschoß, Laach und Reimerzhoven sind Orte, die besonders schön in die touristisch attraktive Landschaft des Ahrgebirges und der Ahr eingebunden sind. Sicher ist es auch eine Herausforderung, die Orte nicht nur lebenswert für Einwohner/innen zu gestalten, sondern auch wieder Touristenmagnet zu werden. Gastronomie und Übernachtungsmöglichkeiten müssen sich wieder etablieren, Wander- und Radwegenetze zum Teil neu konzipiert werden, um dieses Ziel zu erreichen. Der Winzerverein, von dem noch wesentliche Gebäude abgerissen werden, soll in den kommenden Jahren neue Vermarktungsräume erhalten, damit der Absatz von Wein gesichert ist und somit den vielen Winzergenossen und Winzergenossinnen die Erwerbsgrundlage erhalten bleibt. Die Bearbeitung der Rebflächen dient auch dem Erhalt der einzigartigen Kulturlandschaft, die das Ahrtal wesentlich prägt.
Die Deutsche Bahn kündigt an, dass die Ahrtalbahn im Jahr 2025 wieder das obere Ahrtal erreichen und Besucher/innen umweltfreundlich in die einzelnen Ortschaften an der Ahr befördern soll..
In der Chronik zum 900jährigen Bestehen des Ortes Mayschoß, die 2006 erschien, findet sich die Lebensweisheit, die in der Ortsgeschichte in vielfältiger Weise ablesbar ist. Sie lautet: „In jeder Krise steckt die Chance zu einem neuen Anfang“.