Der Verlauf der Flutkatastrophe
Erlebnisbericht B. Wolber
Altenburg
01. April 2024
Britta Wolber
Am „Morgen danach“ trafen sich die Altenburger, die über Nacht in ihren Häusern verblieben und nun imstande waren diese zu verlassen, auf unserer Wiese.
Neun Häuser im Ort blieben unversehrt. Gebäude, die wie unseres im Hang standen und somit hoch genug waren, um nicht vom Wasser betroffen zu sein.
Unsere Nachbarn und wir trugen zusammen, was wir an Brot, Aufschnitt und Getränken hatten.
Auf Holzbänken, Gartenstühlen, Mauern und auf dem Boden saßen die völlig verzweifelten und resignierten Menschen, erzählten, weinten und umarmten sich.
Es schien, als ob die ältere Generation, 80+, den Zustand besser, ja fast gelassen, hinnehmen konnte.
Ich hatte das Gefühl, dass diese Menschen auf eine Erfahrung zurückgriffen, die sie wissen ließ, dass es weiter geht, auch wenn es so schien, dass alles am Ende sei.
Mein Mann entnahm aus unserer Zisterne frisches Regenwasser und meine Nachbarin und ich wuschen den alten Leuten die Füße und zogen ihnen frische, trockene Strümpfe an.
Am Himmel über Altenburg kreisten Hubschrauber. Wir beobachteten wie Seile abgelassen und Menschen daran befestigt wurden, damit sie aus den Häusern heraus und in Sicherheit gebracht werden konnten.
Erst am späten Nachmittag, fast schon gegen Abend, wurden auch die Mitbürger, die nicht in der Lage waren, den Ort zu Fuß über den Berg zu verlassen, vom Nachbargrundstück mit dem Hubschrauber abtransportiert.
In wenigen Tagen wurde aus der Garage unseres Nachbarn ein kleiner Ort zur Versorgung geschaffen. Wir erhielten von außerhalb Lebens- und Hygienemittel, die wir für alle Betroffenen bereitstellten. Es tat den Menschen gut, sich zwischen der Beseitigung von Müll und Dreck, Chaos und Zerstörung hin und wieder ein wenig bei uns zu stärken, die verschlammten Hände zu waschen, zu erzählen oder sich einfach nur wortlos etwas zu nehmen.
Schon in der ersten Woche danach entstand auf dem Parkplatz der völlig zerstörten Grundschule ein Versorgungslager. Frisch zubereitete Speisen wurden gereicht, Kaffee und Kuchen und alles, was man zum täglichen Leben benötigte. Die Menschen aßen zusammen, die Sonne schien und wäre ringsum nicht alles verschlammt und zerstört gewesen, hätte man denken können, dass die Zusammenkunft etwas Schönes hat.
Das Angebot an Werkzeugen und Hilfsmittel jeder Art wuchs, sodass die Eigentümer mit Hilfe unzähliger ehrenamtlicher Helfer ihre Häuser entschlammen konnten.
Die Welle der Hilfsbereitschaft ist nicht in Worte zu fassen – das musste man erlebt haben. Landwirte kamen mit ihren großen Traktoren und machten Straßen zugängig. Was hätte das Ahrtal ohne sie getan?
Damit man der Wetterlage nicht schutzlos ausgeliefert war, zog das Versorgungslager schon bald in unser Seniorenheim, wo wir auf Tischen stapelten, was man zum Leben benötigte.
Von Kleidung über Wäsche bis hin zur Zahnpastatube. Ich frage mich heute noch wie es möglich war, in so kurzer Zeit, so eine Unmenge an Spenden aufzutreiben. Menschen von weither sortierten und packten aus und verbrauchten ihren Urlaub, um hier zu helfen.
Zwei Wochen nach der Flut zelebrierte ein Pater aus Münstereifel eine heilige Messe auf der Wiese neben unserem Haus. Zum ersten Mal gedachte man der Opfer unseres Ortes. Drei Frauen ertranken in dieser Nacht in ihrem Zuhause. Im Gedenken an sie und aller Verstorbenen dieser schrecklichen Katastrophe beteten und sangen wir unter freiem Himmel. Das war für alle sehr emotional.
Bei aller Zerstörung, allem Leid, bei aller Ausweglosigkeit, gab es immer wieder Momente, die einen mit Dankbarkeit erfüllten.
Einer davon waren die „Engel ohne Flügel“, wie ich sie nannte.
Sie kamen, brachten guten Mutterboden mit, tauschten diesen gegen die ölverseuchte Erde und pflanzten bunte Blumen mitten im braunen Dreck.
Mit dieser Geste bauten sie im wahrsten Sinne des Wortes auf.