Der Verlauf der Flutkatastrophe

Erlebnisbericht G. Schüller

Altenburg
September 2022
Gabi Schüller

Gabi Schüller als Altenburg berichtet:

Hochwasser war gemeldet. Wir rechneten damit, dass die Ahr wie 2016 auf 3,70 Meter ansteigen würde. Wir fuhren noch einkaufen und erfuhren unterwegs, dass ein Wasserstand von 5,60 Metern angekündigt wurde. Wir überlegten, wie hoch das Wasser wohl stehen würde. Bis zu unserer Straße „An der Burg“ war es noch nie vorgedrungen. Nun waren wir jedoch sicher, dass es unseren Garten erreichen würde.

Wir kauften mehr ein als geplant, um auch die Nachbarn im Notfall versorgen zu können. Die Vorräte verstauten wir im Keller.

Kurz nach unserer Rückkehr gegen 17.00 Uhr bemerkten wir, dass die Ahr sich bereits ihren Weg in unseren Garten suchte. Wenn das Wasser noch zwei Meter steigen würde, würde dennoch nichts passieren, meinte mein Mann. Unser Sohn, gerade mal zwei Wochen im neuen Haus wohnend, erschrak über die Wassermenge, die sich kurze Zeit später zwischen unserem Haus und dem Nachbargebäude in den Garten ergoss. Wir hatten ihm versichert, dass das Wasser nie bis zu seinem Haus kommen würde. Nun sah es anders aus.

Innerhalb kurzer Zeit stieg die braune Brühe noch weiter an und brachte das vielfach gesicherte, erst vor Kurzem aufgestellte Gartenhäuschen zum Wanken. Trotz Fundamenten und Sicherungen schwamm es einfach weg. Völlig verwundert sahen viele Nachbarn von ihren Balkonen auf vorbeischwimmende Autos und zischende Gastanks. Ich glaube, wir waren uns der Gefahr überhaupt nicht bewusst.

Dann kroch das Wasser in unser Wohnzimmer, das sich im Kellergeschoss befand und füllte schließlich jeden Raum des Kellers. Wir gingen eine Etage höher und räumten noch etwas, wobei ich mich nicht mehr daran erinnere, was wir räumten. Aber wir waren sehr aktiv. Schon zu diesem Zeitpunkt war die rosafarbene Oberfläche des Wassers, das von außen ins Haus eindrang, gut sichtbar. Das Wasser führte Öl mit.

Bild: Maternus Gasper

Plötzlich schwamm unser Klavier vom Wohnzimmer ins Esszimmer. Es sog sich voll Wasser und ging mit Getöse unter. Die Glasscheiben der Fensterfront zerbarsten unter dem Druck des Wassers mit lautem Krachen. Mein Mann wollte wegen des steigenden Wassers das Obergeschoss aufsuchen. Ich hatte dabei ein schlechtes Gefühl. Deshalb verließen wir das Haus und gingen auf einen Fußweg, der etwas ansteigt. Dort hatten sich bereits einige Nachbarn eingefunden, um dem Hochwasser zu entkommen. Unseren Sohn, seine Frau und seine Kinder, darunter die erst 14 Tage vorher geborene Frida sahen wir jedoch nicht. Sie befanden sich noch in ihrem Haus. Dann entdeckten wir die drei in ihrem Haus und überzeugten unseren Sohn davon, mit seiner Familie das Haus zu verlassen. Unsere Schwiegertochter musste vom Haus zum Fußweg schwimmen und die kleine Frida wurde kopfüber von ihrem Vater aus dem Haus getragen.

Nachbarn brachten noch eine ältere Dame aus dem Dorf, die sie in Eile aus ihrem Haus geholt hatten, mit auf die kleine Anhöhe, auf die einige Nachbarn ihre Autos gebracht hatten, um sie vor der Flut zu retten. In einem Fahrzeug konnte meine Schwiegertochter mit den Kindern etwas Ruhe finden.

Mir selbst fehlen aus der Nacht sämtliche Geräusche. Später erzählte man mir, das Wasser und die darin herumtreibenden Gegenstände hätten furchterregende Geräusche gemacht.

Ein Nachbar versuchte mehrere Male, Rettungskräfte und Polizei zu erreichen- Schließlich gelang es ihm. Er beschrieb die Situation und bat um Abholung der kleinen Kinder. Trotz mehrmaliger Anrufe kamen jedoch weder Boote noch Hubschrauber. Nachbarn, die auf ihren Dächern oder in den Fenstern saßen, hätten diese Hilfe noch nötiger gehabt. Wir hatten die Möglichkeit, die Anhöhe weiter hochzuklettern.

Das Wasser stieg weiter an und es sah aus, als würden die Massen nicht abfließen. Später berichteten uns Bekannte aus der Straße „Im Weiher“, mitgerissene Autos, Gastanks und andere Dinge seien plötzlich zurückgeschwommen. Nachdem wohl eine Brücke, die den Abfluss behindert hatte, vom Wasser mitgerissen worden war, sank das Wasser, ließ aber viel Unrat zurück.

Gegen 00.30 Uhr bemerkte der Schwiegervater unseres Sohnes, dass der Wasserstand fiel. Erleichterung machte sich breit. Stunden vergingen und wir sahen, wie hoch das Wasser gestanden hatte. Wo das Wasser gewesen war, zeigte sich jetzt Schlamm mit allerlei „Zubehör“. Vor unserem Haus türmten sich zwei Fahrzeuge, die am Nachmittag dort geparkt worden waren. Unser Zuweg war für Tage versperrt, vollgestopft mit Holzstämmen, Zaunresten und allem Möglichen.

Bild: Maternus Gasper

Rings herum waren keine Straßen und Gärten mehr zu erkennen. Nur Müll, riesige Baumstämme, Autos, die in Bäumen oder an Straßenlaternen hingen, zerbeulte Straßen- und Hinweisschilder, Zäune, ganze Gartenhäuser (eines davon hatte einen neuen Platz auf der Garage unserer Nachbarin gefunden), Gartenmöbel, Blumentöpfe, teilweise noch bepflanzt, zerzauste Hecken und Sträucher, Blechteile, oft mit gefährlichen Kanten, Spielzeuge, einfach alles lag durcheinander in den Schlammmassen, die unsere Straßen versperrten.

Unser schöner Garten war völlig verwüstet. Neben dem Gartenhäuschen hatte auch unser Gewächshaus reißaus genommen, die Gartenmöbel waren zerschlagen oder einfach weg, alle Einfassungen der Beete zerstört, die Pflanzen unter einer dicken Schlammschicht begraben, der Teich war nicht mehr erkennbar, der kürzlich neu angelegte Gartenzaun war mitgerissen worden, kein einziger Baum stand mehr im Garten. Überall nur Müll und Schlamm.

Mit Mühe erreichten wir unser Haus. Unsere sämtlichen Haushaltsgegenstände hatte das Wasser in Unrat verwandelt. In den Kaffeetassen stand braune Brühe. Blumen, Bilder, Stühle, alles war durcheinandergewirbelt worden. Es sah aus wie eine Müllhalde. Es war zum Heulen!

Glücklich waren wir, als wir erfuhren, dass unser jüngster Sohn, der bei der Freiwilligen Feuerwehr im Einsatz gewesen war, lebte. Wir hatten alle überlebt.

Die schreckliche Flut hat uns Vieles genommen, aber der Horror kam in den Monaten danach. Der Umgang der Versicherungen mit den betroffenen Personen ist oft menschenverachtend!

Nach der Flut wollte unsere Versicherung, dass unser Haus schnell wieder hergerichtet würde. Sie schickte Gutachter, die auf uns den Eindruck von Unerfahrenheit machten. Deshalb baten wir Gutachter, die sich mit der Heizölkontaminierung auskennen sowie einen Chemiker um Einschätzungen. Ende 2022 - über ein Jahr nach der Flut - war klar, dass unser Haus, weil es sehr stark kontaminiert war und der Aufenthalt darin gesundheitsgefährdend sein würde, abgerissen werden musste. 25 Monate nach der Flut sieht es so aus, als würden die bürokratischen Hürden, die den Wiederaufbau solange behindert haben, ein Ende nehmen.

Bild: Maternus Gasper