Der Verlauf der Flutkatastrophe

Erlebnisbericht C. Schlagwein

Heimersheim
gekürzt aus dem Heimatjahrbuch August 2023
Cornelia Schlagwein

Heimersheim, Ehlingen und Green: Beim Wiederaufbau möchten die Einwohner mitreden.

Cornelia Schlagwein vom Arbeitskreis Fluthilfe berichtet:

Im Bereich der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler ließ sich nach zwei Jahren außergewöhnlicher Trockenheit im Frühjahr 2021 endlich wieder ausreichender Niederschlag verzeichnen. Doch irgendwann war es dann des Guten zu viel und die Böden konnten die Regenmengen nicht mehr aufnehmen. Am Abend des 19. Juni 2021 kamen im kurzen Abstand drei Starkregenzellen über Heimersheim nieder, mit einem Volumen von ca. 10 % des gewöhnlichen Jahresniederschlags. Dadurch wurden etliche Straßen und Häuser im südlichen Bereich zwischen Wald und Mühlenteich überflutet. Leider war dies nur ein Vorgeschmack auf die Urgewalten, die Mitte Juli fast das gesamte Ahrtal zerstörten.

Bild: Robert Füllmann

Sandsäcke gegen Jahrhundertflut
Für die Feuerwehr Heimersheim erfolgte an 14. Juli 2021 die erste Alarmierung um 15:37 Uhr als „normaler“ Einsatz wegen eines abgerutschten Hangs in Lohrsdorf. Nachfolgend waren alle Fahrzeuge und alle Einsatzkräfte bei diversen Einsätzen unterwegs, ohne zu wissen, welche Katastrophe sich bereits wenige Kilometer flussaufwärts abspielte. Heimersheim, Ehlingen und Green sind durch die Umgehungsstraße der B 266 von der Ahr getrennt und hatten keine direkte Gefahr durch ein Ahrhochwasser vermutet.
Am Abend versuchten die Kameraden der Feuerwehr noch stundenlang, an der Ahrbrücke Richtung Heppingen das Regenwasser vom Wohngebiet „Idienbach“ zur Ahr hin abzupumpen. Mit Sandsäcken wurde die Maßnahme unterstützt, ohne zu ahnen, dass die tatsächliche Gefahr von der anderen Seite heranrollte.

Bild: Benjamin Westhoff

Überschwemmung mit unvorstellbarem Ausmaß
Kurz vor Mitternacht kam dann das Hochwasser massiv die Ahr hinunter. Erst schleichend langsam floss das Wasser um die Heppinger Brücke, um dann innerhalb von drei bis vier Minuten mit geballter Kraft alles Land einzunehmen. Wie ein Tsunami fraß es sich durch die Unterführung nach Heimersheim und überschwemmte den halben Ort nördlich von Heppinger-, Johannis- und Ehlinger Straße. Green mit seinen zwei Straßen wurde zu 100% überschwemmt und in Ehlingen verweilte das Wasser am längsten, weil dort kein Ablauf vorhanden war. Der Scheitelpunkt der Flut wurde gegen drei Uhr nachts erreicht. In Heimersheim kamen in dieser Nacht fünf Menschen ums Leben, die entweder im Schlaf überrascht wurden oder noch versucht hatten, Habseligkeiten zu retten.

Bild: Udo Heimermann
Bild: Wiebke Reuter-Claesgens

Der Tag danach
Besonders im Bereich des Heimersheimer Bahnhofs stauten sich die Wassermassen auf. Dort bleiben im Engpass zwischen den Steilhängen der Landskrone und der aufgeschütteten Umgehungsstraße der B 266 nur etwa 30 Meter an Breite. Bei Ehlingen hingegen, wo das Tal sich Richtung Rheinmündung öffnet, hatte sich das Wasser am 15. Juli 2021 auf eine Breite von einem Kilometer ausgedehnt.
Erst bei Sonnenaufgang ließ sich das Ausmaß der Katastrophe erahnen. Das Tal war erfüllt vom ohrenbetäubenden Rauschen der Wassermassen, wie man es nur von einem großen Wasserfall kennt. Ein penetranter Ölgeruch, ausgelöst von zerstörten Heizungen und Öltanks, hing in der Luft. Eigentlich beschauliche Straßen in Wohngebieten waren zum reißenden Fluss mutiert. Das Gewerbegebiet Wiesenweg war nicht mehr erkennbar, sondern komplett überschwemmt und das neue Feuerwehrgebäude ragte einsam aus einem Überschwemmungssee heraus.

Bild: Cornelia Schlagwein

Wasserrettung mit Schlauchbooten
Mit Rettungsbooten wurden Menschen aus Häusern gerettet. Überall waren Autos und anderes Treibgut aufgetürmt. Vom Industriegebiet aus war eine riesige Menge an leeren Mehrwegflaschen mitgerissen und im Tal verteilt worden. Die fast 50.000 Kunststoff-Kisten samt Inhalt fanden sich anschließend überall und viele von ihnen sind wohl in der Nordsee gelandet. Keiner wusste so recht, was nun zu tun war. Also begann man zunächst damit, die Gebäude auszuräumen und den zerstörten Hausrat auf den Gehwegen zu lagern. Man startete dort, wo das Wasser schon abgelaufen war und zog dann Straße um Straße von Haus zu Haus. Es dauerte auch mehrere Tage, bis alle überschwemmten Bereiche wieder zugänglich waren. In Ehlingen war das letzte Wasser erst nach fünf Tagen versickert.

Bild: Cornelia Schlagwein

Aufräumarbeiten und Versorgung
Zum Glück herrschte an den Tagen nach der Katastrophe heißes Sommerwetter, was die Arbeiten erleichterte, aber die Versorgung schwierig machte. Es gab weder Strom noch fließendes Wasser und auch Telefonieren war kaum möglich. Allerdings erreichten uns über die A 61 ziemlich schnell spontane Hilfstransporte von Privatleuten und Firmen, die sich nach den ersten Medienberichten einfach auf den Weg gemacht hatten. Auf dem Marktplatz hatten sich einige nicht betroffene Bewohner positioniert und versuchten Hilfeersuchen und Angebote zu koordinieren. Wasser, Lebensmittel und Hygieneartikel wurden an der Kirche für alle frei zugänglich abgeladen. Helfer kamen mit Speisen, Arbeitsmaterial und guten Kontakten für weitere Unterstützungen.

Bild: Udo Heimermann

Keine Distanz, kein Corona
Der kleine Ortsteil Green gehört eigentlich zum gegenüberliegenden Lohrsdorf, wurde aber aufgrund der direkten Nähe zu Heimersheim in alle Hilfsaktionen mit eingebunden. In all dem Elend war keiner allein und viele haben in dieser Zeit den Glauben an Menschlichkeit und Solidarität wiedergefunden. Beim Schlammschippen und in den Eimerketten standen Jung und Alt aus allen Gesellschaftsschichten nebeneinander. In dieser Zeit und noch lange danach war nicht nur in Heimersheim Corona kein Thema. Die Seuche, die die ganze Welt bereits das zweite Jahr in Atem hielt, fand einfach nicht statt.

Bild: Udo Heimermann

Hilfe ohne Ende für Heimersheim, Ehlingen und Green
Das Aufräumen und Entkernen der überschwemmten Gebäude dauerte Wochen und Monate und bis zum Winter unterstützten uns täglich viele freiwillige Helfende. Wer Hilfe brauchte, konnte sich an den Helfer-Shuttle oder die direkt nach der Flut von Heimersheimern gegründete örtliche Privatinitiative „Arbeitskreis Fluthilfe“ wenden. Schnell hatten sich auch einige Frauen zusammengefunden, die die Ausgabe von Hilfsgütern und Kleidung koordinierten. Zum Jahresende 2021 wurde das ehemalige Altersheim zur Schaltzentrale der örtlichen Koordination von Hilfsangeboten umfunktioniert. Dort wurden auch ein Waschsalon und ein Duschcontainer aufgebaut. Die vielen Sachspenden änderten sich im Laufe der Zeit und so konnte man in der ehemaligen Mühle Offergeld eine kostenfreie Baustoffausgabe für nicht versicherte Betroffene anbieten.

Bild: Udo Heimermann

Schadensbilanz
In Heimersheim, Ehlingen und Green wurden ca. 450 Gebäude überschwemmt, davon sehr viele ohne Elementarversicherung. Die tatsächlichen Schäden ließen sich oft erst nach Monaten definieren und über die Zeit wurden noch etliche Häuser abgerissen. Ein Jahr nach der Flut wohnten viele Betroffene noch nicht wieder in ihren Wohnungen. Manche haben sich im Obergeschoss eingerichtet und müssen die Sanierung von Keller und Erdgeschoss aussitzen. Andere sind ganz weggezogen oder konnten zunächst in der Tiny-Siedlung am Sportplatz unterkommen. Auch der Kindergarten St. Mauritius hat seinen Container-Standort für die nächsten Jahre dort. Das alte Gebäude war nicht zu retten und ein Neubau wird erst in einigen Jahren vollzogen.

Bild: Udo Heimermann

Wiederaufbau, Bürger wollen mitbestimmen
Beim Wiederaufbau von Infrastruktur, öffentlichen Gebäuden und Plätzen wollen die Einwohner von Heimersheim, Ehlingen und Green jetzt ein Wort mitreden. In Arbeitsgruppen werden Konzepte erarbeitet, die ortsbezogen und zukunftsorientiert sind. Das Risiko, an der Ahr zu wohnen, war über 100 Jahre lang kalkulierbar, aber nach den Erfahrungen des Juli 2021 will man sich in den östlichen Stadtteilen von Bad Neuenahr-Ahrweiler bestmöglich auf ähnliche Ereignisse vorbereiten.

Bild: Cornelia Schlagwein
Bild: Wiebke Reuter-Claesgens