Der Verlauf der Flutkatastrophe

Erlebnisbericht D. Landen

Fuchshofen
November 2022
Dorothee Landen

Dorothee Landen aus Fuchshofen berichtet:

Es war klar, dass es Hochwasser geben würde. Im Frühjahr hatte es viel geregnet, die Böden waren nass und konnten kein Wasser mehr aufnehmen. Mit diesen Wassermassen hatte allerdings keiner gerechnet. Niemand, der noch lebt, hatte jemals so viel Wasser in der Ahr gesehen.

Am 14.07.2021 hatte ich Geburtstag. Diesen Tag werden ich und viele andere Menschen nun für immer mit Schrecken, Angst und Verlust verbinden. Ich versuche, diesen Tag ungefähr zu rekonstruieren, was mir schwerfällt, da jedes Zeitgefühl irgendwann verloren ging und Pegelstände für mich nur anhand von Landmarken zu erfassen sind, von denen nun einige nicht mehr existieren.

Auf der Arbeit in Bonn erfuhr ich am frühen Nachmittag, dass in Antweiler die Straßen unter Wasser standen und Autos weggespült wurden. Verantwortlich dafür war ein kleiner Bach, der dort in die Ahr fließt. Gegen halb vier machte ich mich auf den Weg nach Hause. Meine Familie hatte mir mitgeteilt, dass sich die Lage zuspitzte. Ab dem Tunnel bei Altenahr wurden die Straßenverhältnisse zusehends schlechter. Die Ahr hatte die B 257 noch nicht überspült, stand aber bis an ihren Rand. Die Campingplätze waren von brauner Brühe überspült. Die Felshänge an der Straße bis Dümpelfeld waren zu Wasserfällen geworden. Überall schoss Wasser die Felsen hinunter und brachte Steine und Geröll mit. Es regnete ohne Unterlass. Vielerorts waren Feuerwehren im Einsatz, pumpten Keller und Häuser leer. In Insul rauschte der Lückenbach über die Straße. Gegen halb fünf erreichte ich den Mühlenweg in Fuchshofen und fuhr direkt wieder rückwärts heraus, um mein Auto sicher abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt floss die Ahr gerade vorne aus unserer Haustür, obwohl das Flussbett eigentlich auf der anderen Seite des Hauses liegt.

Bild: Torsten Hinze

Mein Lebensgefährte, der ungefähr eine Stunde vor mir zu Hause war, hatte schon viele Dinge aus der unteren in die obere Etage gebracht. In dieser Stunde muss der Wasserpegel rapide gestiegen sein. Gegen halb vier war in etwa die Hälfte unseres Grundstücks unter Wasser, was ungefähr dem Stand von 2016 entsprechen müsste.

Die nächste halbe Stunde brachten wir nun damit zu, die Waschmaschine und Ähnliches nach oben zu schleppen, Das Wasser stieg schnell. Als es kurz unter dem Sicherungskasten in der unteren Etage stand, haben wir die Hauptsicherungen rausgedreht und das Haus verlassen. Ob zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch Strom auf der Leitung war, kann ich nicht sagen. Meine Eltern hatten ihre Einliegerwohnung im Haus schon verlassen und halfen meiner Tante gegenüber, Kleidung, Dokumente und andere Dinge in höher gelegene Zimmer zu tragen.

Bild: Torsten Hinze

Um einen großen Hof herum bilden unsere Häuser eine U-Form. Die langen Seiten markieren unser Haus und das meiner Tante, der kurze Bogen sind die Garagen, die die Häuser verbinden. Die Ahr fließt um dieses U herum, nicht komplett, aber um den Bogen und eine lange Seite, wobei die lange Seite unserem Haus entspricht. Die Garagen sorgten also dafür, dass im Hof zwischen unseren Häusern das Wasser niedriger war als dahinter. Als mein Lebensgefährte den Hund meines Vaters zu meiner Tante trug, brach irgendwo etwas weg und Wasser schoss in den Hof, was den Pegel rasch ansteigen ließ. Pitschnass retteten wir uns auf ihre Eingangstreppe. Von sechs Stufen standen nun fünf unter Wasser, was geschätzt 1,30 Meter entsprochen haben müsste. Die Treppe ist Luftlinie etwa 35 Meter vom Ahrufer entfernt und es steht noch ein Haus dazwischen.

Im Hof trieben unsere Mülltonnen, Gartenbänke, und alles, was nicht niet- und nagelfest war. Innerhalb kürzester Zeit stieg das Wasser wieder und war nun auf dem Plateau vor der Haustür meiner Tante. Noch eine Stufe und es kam ins Haus. Wir versuchten zu retten, was noch zu retten war, brachten alles, was wir in der Eile zusammenraffen konnten, die Treppe hoch.

Bild: Torsten Hinze

Ein paar Minuten später lief das Wasser ins Haus, allerdings von vorne und von hinten gleichzeitig. Der Korkboden hob sich. Als das Wasser an der Balkontür ca. 50 Zentimeter hoch stand, haben wir das Haus durch selbige verlassen. Vollkommen durchnässt liefen wir die Wiese hoch und kletterten über den Zaun, um unseren Häusern von der nächsten Straße aus beim Versinken zuzuschauen. Zeitgleich waren plötzlich Feuerwehrmänner da, die uns verboten, unsere Häuser wieder zu betreten. Nicht, dass wir Verlangen danach verspürt hätten.

Es regnete immer noch ununterbrochen. Man fühlte die Nässe kaum noch. Die Schuhe quietschten bei jedem Schritt.

Bild: Torsten Hinze

In der Straße oberhalb unserer Häuser hatten sich einige Leute aus dem Dorf versammelt. Zusammen gingen wir die Parallelstraßen der überfluteten Häuser ab, versuchten Kontakt herzustellen zu den Menschen, die es nicht schnell genug herausgeschafft hatten. Zum Glück waren alle in höheren Etagen und schienen erst einmal sicher. Eine ältere Dame holten wir noch aus ihrem Haus. Es hatten sich mehrere Gruppen wie die unsere gebildet, die die Straßen im Dorf abliefen, Informationen austauschten und halfen.
Zu diesem Zeitpunkt floss das Wasser schon aus unserer Straße ab, wieder den Berg hinunter Richtung Ahr. Eine Uhrzeit kann ich hierzu leider nicht benennen. Der riesige Walnussbaum am Ortseingang war da schon krachend zerborsten und mitgerissen worden, unser Gastank schwamm samt Fundament weg, überall Treibgut, lautes Rauschen und der Geruch von Heizöl.

Der Pegelstand in unserem Hof betrug nun ca. 2,20 Meter. In den nächsten Stunden würde er auf 3,50 Meter ansteigen, denn es regnete noch immer im Strömen. Das Wasser kroch langsam in die obere Etage unseres Hauses.

Bild: Torsten Hinze

Uns erreichte die Nachricht, dass zwei Personen auf der Treppe der Milchkammer des ortsansässigen Bauernhofs festsaßen. Beim Abschätzen der Situation hatten wir den Eindruck, dass wir hier nichts ausrichten konnten. Also beschlossen wir, fünf Kilometer den Berg hoch Richtung Reifferscheid zu fahren, um einen Notruf abzusetzen, da niemand so richtig wusste, ob dies erfolgt war. Erst später erfuhren wir, dass der Landwirt schon früher am Abend den Notruf gewählt hatte.
Mittlerweile wurde es dunkel. Man muss nun wissen, dass Fuchshofen in einem Funkloch liegt, ungefähr fünf Kilometer in jede Richtung. Zwei Wege waren durch die Ahr gesperrt, also blieb nur der Weg über eine schmale Serpentinenstraße den Berg hoch. Wassermassen liefen uns auf der Straße entgegen, überall Schlamm, Steine und Geröll. Wir fuhren langsam weiter, der anhaltende Regen erschwerte die Sicht auf die Straße zusätzlich. Sobald wir Empfang hatten, versuchten wir den Notruf zu wählen. Die Leitungen waren jedoch überlastet. Nach einer Ewigkeit kamen wir durch. Wir versuchten, den Menschen auf der anderen Seite klar zu machen, wo und wie wir Hilfe brauchten. Dann fuhren wir entmutigt zurück, denn wir hatten zwar geschafft, den Notruf abzusetzen, aber es war klar, dass wir nicht die Einzigen waren, die Hilfe brauchten.
Als wir nach Fuchshofen zurückkehrten, war es dunkel. Man hatte den Eindruck, das Wasser stagniere. Um die Milchkammer des Bauernhofs herum waren viele Gebäude teilweise oder komplett weggespült worden, nur die Kammer stand noch. Das Wasser floss in reißenden, braunen Strömen rechts und links vorbei. Treibgut in allen erdenklichen Formen schwamm mit: Wohnwagen, Bäume, Gebäudeteile, Güllefässer, einfach alles. Immer wieder knickten Bäume weg. Die beiden Personen harrten auf einem Balkon aus.

Bild: Torsten Hinze

Früh morgens konnten sie endlich mit dem Frontlader des Traktors gerettet werden. Zu diesem Zeitpunkt war das Wasser schon stark zurückgegangen.

Gegen halb sechs morgens besahen wir uns den Schaden am Haus. Kurz gesagt: dass Einzige, was noch zu gebrauchen war, waren das Dach und einige Sachen aus den Hängeschränken. Überall waren Schlamm, Heizölgestank, Treibgut und noch mehr Schlamm. Das Wasser stand noch bis zur Rückseite des Hauses, so dass wir den Zustand des Grundstückes nur erahnen konnten.

So wie bei uns, sah es in jedem Haus aus, dass überschwemmt worden war, auch in unserem Gemeindehaus, das sich in der Ahrstraße befindet.

Besonders schlimm hatte es den Bauernhof erwischt. Einzig der alte Stall mit der Milchkammer und der Treppe existierte noch.

Bild: Torsten Hinze

In den nächsten Stunden ging das Wasser weiter zurück. Auf unserem Grundstück klafften mehrere Meter tiefe und breite Löcher. 30 Meter Hainbuchenhecke, drei Meter hoch, weg. Sechs 30 Jahre alte Obstbäume weg. Gebäudeteile der Garagen weg. Kanäle kaputt und freigespült.

Die Brücke am Ortseingang war stark beschädigt, hatte aber standgehalten. Uferbepflanzung gab es keine mehr, überhaupt, wo war denn eigentlich das Ufer der Ahr?

Bild: Torsten Hinze

In den nächsten Tagen und Wochen erfuhren wir erst nach und nach, was in den umliegenden Dörfern oder aber auch in anderen Teilen des Landes passiert war. Die Informationen tröpfelten nur langsam herein, da es keinen Strom gab und wir uns im Funkloch befanden.

Der Lichtblick: als wir noch mit Entsetzen krampfhaft versuchten, den Schaden zu überblicken, kamen viele wunderbare Menschen, halfen uns, versorgten uns und packten einfach mit an. Ohne ihre körperliche, geistige und mentale Kraft hätten wir das nie geschafft. Wir können uns gar nicht oft genug bedanken. Also auch an dieser Stelle: DANKE!