Der Verlauf der Flutkatastrophe

Erlebnisbericht E. Wischnewski

Liers
Dezember 2022
Elke Wischnewski

Lierser Bürgerinnen und Bürger berichten:

Flutnacht
Am 14. Juli 2021 veränderte die Ahr auch bei uns in Liers das Leben aller.

Auch wenn einige wenige ältere Dorfbewohner sich noch an das Hochwasser von 1910 aus Erzählungen erinnern konnten – so hatte niemand damit gerechnet, wie dramatisch sich die Sturzflut an diesem Tag entwickeln sollte. Zunächst sah alles nach einem „gewöhnlichen“ Hochwasser aus, bei dem die Ahr ein wenig über die sonst so romantischen und grünen Ufer tritt. Erst nach dem Hochwasser von 2016 war das Ahrufer entlang des Dorfes vertieft und am Ortseingang von Liers ein kleiner Damm als Hochwasserschutz angelegt worden. In den Wettervorhersagen wurde von 200 l/m2 Niederschlag berichtet. Diese Vorhersage in einen geschätzten Pegelstand zu übertragen, hätte allen geholfen, die Lage anders einzuschätzen.

Als am frühen Nachmittag der Liersbach sein gewohntes Bett verließ, ahnte noch niemand, mit welcher Wucht Ahr, Liersbach und Zippelsbach kurz darauf unseren schönen Ort überfluten würden. Um 15:00 Uhr löste die Freiwillige Feuerwehr Liers Sirenenalarm aus und informierte über Lautsprecher, soweit die Straßen noch befahrbar waren, dass ein höherer Pegel als 2016 zu erwarten war. Viele Dorfbewohner waren damit beschäftigt mehr als 500 Sandsäcke zu füllen und zu verteilen. Zeit, die rückblickend für die Evakuierung hätte verwendet werden können. Die meisten Einwohner bereiteten sich auf ein vergleichbares Hochwasser wie 2016 vor.

Doch es kam deutlich schlimmer. Der Pegel des Liersbachs stieg rasant – innerhalb von einer Minute um unglaubliche 10 Zentimeter. Auch die Ahr stieg innerhalb von Minuten.

Um 18:00 Uhr wurden erste Anwohner evakuiert. Die Parallelstraßen zur Ahr waren ab 18:30 Uhr nicht mehr passierbar. Gegen 19:00 Uhr gab es für viele Lierser und Lierserinnen keine Möglichkeit mehr, ihre Häuser zu verlassen.

Das Wasser stieg rasant und erreichte um 22:00 Uhr den Höchststand mit einem Pegel von bis zu 2,60 m an den Häusern in der Ahr- und Bergstraße. Zusätzlich lief oberhalb des Dorfes das Rückhaltebecken über, so dass sich der Zippelsbach über den Haag und die Bergstraße ins Dorf ergossen. Liers war nahezu komplett überflutet. Lediglich 200m Straße im Bereich Herrenwiese blieben verschont.Ab 17:30 Uhr fielen nach und nach die Telekommunikationsnetze und die Stromversorgung aus. Somit gab es keine Möglichkeiten mehr, Familie oder Freunde zu erreichen. Die Lage war beängstigend und gespenstisch. Dunkelheit und lautes Rauschen der Ahrfluten dominierten die Nacht.

Hab und Gut sowie zahlreiche Erinnerungsstücke wurden unwiederbringlich fortgespült, und das bisher selbstverständliche Leben war abrupt vorbei. Viele persönliche Dramen spielten sich in dieser Nacht ab, doch glücklicherweise haben in Liers alle Einwohner das Hochwasser überlebt - auch wenn einzelne noch Tage brauchten, um wieder ins Dorf zu gelangen.

Füreinander da
Am nächsten Tag bot sich ein Bild der Verwüstung. Unmengen von Schlamm, Treibgut, zerstörten Häusern, Möbeln, Autos, Öllachen, privaten Gegenständen und einzelne tote Tiere prägten das Dorfbild. Hinzu kam ein fremder, ungewohnter und mehr als unangenehmer Geruch – der uns noch wochenlang begleiten sollte und manchen heute noch nicht aus der Nase geht. Von ca. 100 Häusern waren 73 betroffen. 6 Häuser inklusive Gemeindehaus mussten abgerissen werden. Wie viele noch abgerissen werden müssen, ist unklar. Die historische Brücke wurde zerstört und brach unter den Wassermassen sowie dem Schwemmgut ein. Alle Brücken, die bislang das Dorf mit der Bundesstraße oder den Nachbarorten verbunden hatten, waren zerstört. Liers war in den ersten Tagen von der Außenwelt abgeschnitten. Die erste Hilfe war ein Rettungshubschrauber aus München, der frühmorgens am 15. Juli landete und Verletzte und Pflegebedürftige ausflog. In diesen ersten Tagen versorgte die Bundeswehr das Dorf am späten Nachmittag mit Wasser und Essen.

Am 16. Juli räumte die Feuerwehr einen Notweg von Liers nach Sierscheid frei, sodass die ersten Hilfslieferungen Liers erreichten. Am 17. Juli konnten die Einwohner von Liers über den Fahrradweg Richtung Hönningen den Ort erstmalig verlassen. Das Eintauchen in die „normale“ Welt war für viele schwer auszuhalten.

Bevor die unzähligen freiwilligen Helfer, Landwirte und Hilfsorganisationen eintrafen, waren es die Menschen aus Liers, die begannen, auf vielfältige Art und Weise aufzuräumen, anzupacken und einander in den verschiedensten Formen und Lebensbereichen zu unterstützen.

So übernahmen Freiwillige die Essenausgabe, kochten Suppen/Mittagessen, bestückten den schnell eingerichteten „Hoffi’s Hofladen“, organisierten den Wäscheservice, koordinierten die Helfereinsätze für Liers, kümmerten sich um die Hilfsanträge und vieles mehr.

Der Ortsvorsteher und die Feuerwehr luden täglich zur Dorfversammlung ein, um die wichtigsten Informationen zu teilen und Fragen zu beantworten. Die Versammlungen waren gut besucht und stärkten die Gemeinschaft.

Dieser Zusammenhalt hat viele und vieles getragen und ist mit Worten auch heute noch nicht beschreibbar. Wir sind dankbar.

Blick nach vorne
Neue Brücken galt es zu bauen - dies durften wir erst durch Soldaten der Bundeswehr und dann durch das THW erleben. Bis zur Flut war die historische Brücke ganze 111 Jahre zuverlässige Verbindung zur B257 und ein markantes Wahrzeichen. Bald soll ihre Ruine abgerissen werden.

Seit dem 14. Juli 2021 erlebt und sieht man viele Veränderungen im Dorf, das mittlerweile einige ehemalige Einwohner weniger, und einige neue mehr als am Tag der Flut hat. Es gibt behobene Schäden und offene Baustellen, Visionen über neue Energieformen und Mobilität, aber vor allem gibt es uns - die Lierser und Lierserinnen, die manchmal mit Wehmut an die alte Heimat denken aber mit Zuversicht nach vorne blicken!

Bild: Elke Wischnewski
Bild: Iris Hoffmann