Der Verlauf der Flutkatastrophe

Erlebnisbericht G. Schmitt

Ahrweiler
März 2023
Günther Schmitt

Günther Schmitt aus Kempenich, langjähriger Redaktionsleiter des Bonner Generalanzeigers in Ahrweiler berichtet:

„Nicht Pest und Krieg, nicht Not und Brand, besiegten unsre Stadt, die alt, doch immer wieder jung, aufs neu geblühet hat.“ Nichts umschreibt die Ahrweiler Seele mehr als diese Zeilen im „Ahrweiler Lied“, das Franz-Werner Josten Jahrzehnte vor der Flut 2021 geschrieben hat. Es zeugt von Mut, Trotz, Heimatliebe und dem eisernen Willen zum Wiederaufbau nach katastrophalen Ereignissen.
Derer haben sich drei in das kollektive Gedächtnis der alten Kreisstadt eingebrannt: Der große Brand von Ahrweiler am 1. und 2. Mai 1689, den nur zehn von 255 Häusern überstanden, der alliierte Bombenangriff vom 29. Januar 1945, der hauptsächlich die Ahrhut samt Ahrtor in Schutt und Asche legte und 85 zivile Todesopfer forderte, und eben die Flutkatastrophe vom 14. und 15. Juli 2021, deren Schadensdimension in der Ahrweiler Geschichte bislang einzigartig ist.
Um die Flutschäden en Detail zu beschreiben fehlen die Worte. Nackte Zahlen sprechen da für sich: Im gesamten Ahrtal hat die Flut 136 Todesopfer gefordert.
Vom Standesamt Bad Neuenahr-Ahrweiler sind 75 Opfer beurkundet worden, 65 hatten in Bad Neuenahr-Ahrweiler gewohnt, ein Drittel von ihnen in Ahrweiler. Die Bevölkerungszahl im Stadtteil Ahrweiler hat vor der Flut (Stand: 14. Juli 2021) 7.530 Einwohner betragen. Nach der Flut (Stand Jahresende 2022) waren es noch 6.764. Das Minus von 766 Einwohnern entspricht einem Rückgang von 10,1 Prozent.

Bild: Annette Holzapfel

Die Verwüstung, die mit der Flut einherging, war verheerend. Mehr als 5.000 Gebäude in der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler wurden stark beschädigt oder gar vollständig zerstört. Rund 2.000 davon laut Vize-Ortsvorsteher Ferdi Heuwagen im Stadtteil Ahrweiler.
Allein am kommunalen Eigentum sind im gesamten Stadtgebiet nach Schätzung der Stadtverwaltung in rund 1.450 Einzelmaßnahmen Schäden in Höhe von ca. 1,7 Milliarden Euro entstanden. Im Stadtteil Ahrweiler beläuft sich die Schadenssumme nach dieser Ermittlung für etwas über 350 Einzelprojekte auf rund 375 Millionen Euro. Die größten Einzelprojekte sind dabei nach Angaben des Rathauses das Feuerwehrhaus Ahrweiler, die Aloisius-Grundschule, die Marktgarage, alle Brücken sowie die Carl-von-Ehrenwall-Allee und der Ahrtorfriedhof.

Bild: Annette Holzapfel

Die Schäden an Privateigentum lassen sich schwer hochrechnen. Grobe Schätzungen gibt es hingegen zur Laurentiuskirche, in der die Ahr hüfthoch gestanden hat: drei Millionen Euro, Tendenz steigend. Zwei Jahre nach der Flut trocknet die Kirche immer noch nicht. In einem Meter Tiefe ist laut Architekten-Messungen der Fußboden des 750 Jahre alten Gotteshauses noch nass.
Ein Blick auf Einzelereignisse verdeutlicht, was sich in der Flutnacht und danach abgespielt hat: ein Wechselspiel zwischen Tragik, Wunder, Hilfsbereitschaft, Verlust und Ironie des Schicksals.
Da war ein Ehemann, der seiner von der Flut weggerissenen Frau in der Oberhut nicht mehr helfen konnte und der nur noch die immer schwächer werdenden Hilferufe hörte. Wie durch ein Wunder hat die Frau überlebt und wurde Tage später von ihrem Mann, der die Suche nicht aufgegeben hatte, in einem Neuwieder Krankenhaus gefunden. Dazu passt die Zeile eines Titelliedes des Ahrweiler Filmemachers Wolfgang Arends: „Es gab so viel Leid in dieser Stadt, aber auch Tränen des Glücks.“

Bild: Annette Holzapfel

Bestes Beispiel praktischer und sinnvoller Hilfe ist der aus dem Stand gegründete Verein AHRche e.V. um Lukas Bornschlegl. Mit Hauptquartier auf dem früheren Campingplatz an der Brückenstraße wurden Hilfen gebündelt, koordiniert und eingeleitet. Tausende Menschen wurden von Helfern der AHRche verpflegt oder mit notwendigem Werkzeug für Aufräumarbeiten versorgt. Vom Duschcontainer bis zu Zelten für Schulsport oder Veranstaltungen, alles wurde von der AHRche aus dem Boden gestampft. Es wurde eine Pop-up-Mall, von der Stadt entlang der Stadtmauer errichtet, um dem Einzelhandel ein Überleben zu ermöglichen.
Unnötigen Verlust erlitt hingegen die Aloisius-Jugend. Ihr Magazin im Keller der Grundschule wurde geflutet und ortsfremde „Helfer“ entsorgten beim „Aufräumen“ auf Nimmerwiedersehen Musikinstrumente, Uniformen, Säbel, Fahnen oder Armbrüste in Containern. Schaden: 80.000 Euro. Nicht gut gelaufen. Ebenso die Aktion eines ehemaligen Oberst der Bundeswehr, der mit der rechten Szene zugeordneten Leuten die Grundschule als Anlaufstelle für einige Zeit quasi besetzt hielt. Ende Juli machte die Stadt dem Spuk ein Ende. Derselbe Oberst stand später im Rahmen des „Putschversuchs der Reichsbürgerszene“ auf der Fahndungsliste des Bundeskriminalamtes.
Eine Ironie des Schicksals gab es auch. 2013 wurde per Ratsbeschluss das Museum der Stadt im Weißen Turm, der die Flut nahezu unbeschadet überstanden hat, aufgelöst. Die Kunstwerke kamen in ein Depot. Dort wurden 2.800 Exponate der Kunstsammlung der Stadt dann von den Schlammmassen erwischt, teilweise massiv beschädigt oder zerstört. Das wäre im Weißen Turm, der wie ein Fels in der Brandung alle Katastrophen in Ahrweiler überstanden hat, nicht passiert.

Bild: Annette Holzapfel
Bild: Annette Holzapfel
Bild: Annette Holzapfel
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