Der Verlauf der Flutkatastrophe

Erlebnisbericht P. Lang

Altenahr
November 2022
Petra Lang

Petra Lang, Hoteleigentümerin und Gastronomie aus Altenahr berichtet:

Es regnete bereits einige Tag lang, jedoch kam es uns nicht so bedrohlich vor. Am Mittag war der Pegel der Ahr immer noch normal. Die Warnungen vor Hochwasser kamen den ganzen Tag.

Am Nachmittag beobachtete ich den Pegel Altenahr. Laut Prognosen wurde ein Hochwasser erwartet, das geringer als das von 2016 sein würde. Also alles kein Problem.

Gegen 17.00 Uhr veränderte sich die Prognose. Eine gestrichelte Linie stieg bis auf fünf Meter an. Das veranlasste mich, den Pegel Müsch auf der Internetseite des Landesamtes für Umwelt anzuschauen. Der Pegel befindet sich ca. 20 km ahraufwärts. Er blieb aber immer gleich. Dann kann es nicht so schlimm werden, dachte ich noch. Dass dieser Pegel da schon nicht mehr existierte, konnte ich nicht wissen.

Ab 17.30 Uhr füllte sich unser Restaurant mit Gästen; nach und nach waren alle Tische besetzt.
Gegen 18.00 Uhr fiel unsere Telefonanlage aus. Mein Mann ging in den Keller, um nach der Sicherung zu sehen. Dabei stellte er fest, dass im Tiefkeller unsere Blockheizkraftwerke im Wasser standen. Er versuchte, mit Mitarbeitern und Freunden einen Eingang mit Sandsäcken abzudichten. In der Zwischenzeit stieg das Wasser so schnell, dass es fast auf unsere Parkplätze lief. Wir versuchten, allen Autobesitzern mitzuteilen, dass sie ihre Autos möglichst hoch parken sollten. Die meisten fuhren sie dann zum Bahnhof. Leider war dies nicht hoch genug. Fast alle Fahrzeuge sind von der Flut mitgerissen worden.

Bild: Petra Lang

Gegen 18.30/19.00 Uhr informierten mich unsere Servicemitarbeiter darüber, dass in unserem Post-Saal die Decke herunterzufallen drohte. In meiner Aufregung lief ich zum Parkplatz am Bahnhof. Dort stand die Feuerwehr mit mehreren Fahrzeugen und beobachtete die Hochwasserlage. Einige der Feuerwehrmänner kamen mit mir zurück ins Hotel, erkundeten die Situation im Saal und evakuierten die Räumlichkeiten sofort. Viele Gäste verstanden nicht, was los war. Sie wollten noch zahlen, fertig essen oder Essen bestellen. Unsere Mitarbeiter und wir sagten: „Das erledigen wir alles morgen“.

In der Zwischenzeit war der Strom komplett ausgefallen. Wir schickten die Gäste hoch auf ihre Zimmer ins Hotel und ins Gästehaus. Dort sollten sie sich aufhalten bis die Lage sich wieder entspannen würde. Derweil stieg das Wasser weiter. Gegen 19.30 Uhr versuchten wir mit unseren Mitarbeitern und Gästen, das Wasser durch Barrieren daran zu hindern, ins Restaurant und durch die Haustüre in den Rezeptionsbereich zu laufen. Vergebens. Das Wasser drang überall ein, durch den Rezeptionseingang, den Hoteleingang, die Abflüsse in den Toiletten und der Küche.

Daraufhin entschieden wir, zunächst auf die erste Etage zu fliehen. Dort stellten einige Gäste, Mitarbeiter und wir selbst uns zunächst auf die Dachterrasse oberhalb des Restaurants, aber das Wasser stieg immer weiter. Als wir merkten, dass das Wasser fast auf die Terrasse lief, klopften wir an alle Zimmertüren und schickten die Gäste auf die 2 Etage. Zuletzt gingen auch wir dorthin.

Immer wieder beobachteten wir den Wasserstand aus Fenstern im Treppenhaus. Mittlerweile wurde es dunkel. Dennoch sahen wir ein ganzes Haus über die Brücke schwimmen.

Bild: Petra Lang

Und das Wasser stieg immer noch. Im Treppenhaus konnten wir sehen, wie es immer höher kam. Wir verbarrikadierten die Feuerschutztüren. Noch hatten wir die Hoffnung, dass das Wasser dort nicht durchkommen würde. Um die Gäste zu beruhigen, verteilten wir Wasser, Wein, Bier, Cola und andere Getränke aus den Minibars. Das half, eine Panik zu verhindern.
Immer wieder versuchten wir, Kontakt zur Außenwelt zu bekommen. Manchmal war für einen kurzen Moment Mobilfunk vorhanden. Der Notrufnummern 112 und 110 waren nicht erreichbar. Gegen 23.30 Uhr bemerkten wir erstmals, dass das Wasser nicht mehr stieg. Gegen 23.45 Uhr begann das Wasser langsam zu fallen. Gott sei Dank, die 1. Etage blieb größtenteils verschont. In einige Zimmer war das Wasser durch die Terrassentüren gelaufen oder durch Heizungsrohre gedrückt worden. Aber es stieg nicht mehr.

Gegen 0.00 Uhr schickten wir die Gäste und Mitarbeiter, mit sauberen Laken und Kerzen bewaffnet, auf die Zimmer in der 2. Etage, damit sie sich hinlegen und etwas ausruhen konnten. Wir selbst versuchten auch, uns etwas auszuruhen, gleichzeitig behielten wir den Wasserstand im Blick.

Am frühen Morgen, gegen 5.00 Uhr, als es langsam heller wurde, schauten wir aus den Fenstern. Es war nicht zu begreifen, was in unserem Ort geschehen war. Kein Strom und kein Wasser im ganzen Haus. Wie geht es unseren Gästen, die im Gästehaus ihre Zimmer bezogen hatten? Was können wir nun machen? Was passiert mit unseren Gästen? Wie können wir Frühstück machen? Solche Gedanken gingen uns als allererstes durch den Kopf. Manche Gedanken waren total absurd.

Gegen 6.30 Uhr versuchten wir, uns durch das zerstörte Erdgeschoss unseres Hotels bis auf die Straße durchzukämpfen. Das Wasser hatte nur Chaos und Zerstörung hinterlassen.
Wir arbeiteten uns gerade durch den Schlamm und Morast ins Gästehaus vor, als einige unserer Feuerwehrmänner vorbeigingen. Sie sagten uns: „Eure Gäste sind in Sicherheit. Sie haben die Nacht mit vielen anderen Menschen aus Altenahr in der Kirche verbracht. Wir haben sie nachts noch aus dem Gästehaus über eure Wiese und Nachbars Garten evakuiert.“ Gott sei Dank waren alle gesund und hatten die Nacht überlebt.

Bild: Petra Lang

Die nächsten Tage vergingen wie im Nebel. An Vieles kann ich mich nicht mehr oder nur sehr dunkel erinnern. Es war ein Anblick des Grauens. Irgendwann begannen wir mit dem Aufräumen. Freunde, Gäste und Mitarbeiter halfen, den ersten Unrat zu beseitigen. Dann hieß es plötzlich, wir dürfen nicht mehr ins Hotel. Einsturzgefahr!!! So standen wir hilflos da. Wir packten dann bei den Nachbarn an.
Abends nahm eine unserer Mitarbeiterinnen Kolleginnen und Kollegen und auch uns mit zu sich nach Hause.
In ihrem Haus schliefen wir einige Tage und neun weitere Personen. Da die Kommunikationsnetze zusammengebrochen waren, konnte niemand seine Angehörigen erreichen. Unsere Autos waren auch weggeschwommen. Deshalb konnten wir nicht in den oberhalb von Altenahr gelegenen Ort Kalenborn fahren, um dort zu telefonieren.
Wie sah die Situation in den anderen Orten aus? Was machten unsere anderen Mitarbeiter? Ging es ihnen gut? Wie ging es Freunden und Bekannten? Erst nach drei oder vier Tagen gelang es uns, eine SMS an Familienangehörige zu schicken. Zum Telefonieren war die Verbindung zu schwach. Nach einer Woche baute die Telekom Mobilfunkmaste im Ort auf. Nun waren wir wieder telefonisch erreichbar.

Schon am Morgen nach der Flut versorgten die Bewohner, die selbst nicht betroffen waren, alle Betroffenen mit Kaffee und belegten Brötchen. Auch in den nächsten Tagen waren viele Altenahrer Bürger zum Helfen, Kochen und für seelische Unterstützung da.

Bild: Petra Lang

Im Laufe der Zeit trafen zunächst auswärtige Feuerwehren, dann auch THW und Bundeswehr ein sowie freiwillige Helfer aus ganz Deutschland und den Nachbarländern. Eine Welle der Hilfsbereitschaft strömte ins Ahrtal. Etwas, womit wir nie gerechnet hätten. Sie kamen mit Schubkarren, Schaufeln, Hacken und Bohrhämmern. Und alle packten mit an. Immer mehr reisten mit eigenem PKW an, aber auch die großen Fahrzeuge von THW wie z. B. Wasserwerfer oder Panzer der Bundeswehr rollten an. Ein Problem waren jedoch die Zufahrtsstraßen und Brücken, die nur teilweise oder gar nicht mehr vorhanden waren, das Verkehrschaos war vorprogrammiert. Dann wurden die Straßen von der Polizei abgeriegelt, viele Helfer einfach weggeschickt. Nur Anwohner, die einen Personalausweis mit sich führten, wurden eingelassen. In den Medien gab es die Nachricht, Helfer seien nicht erwünscht. Das verstanden wir nicht. Wir alle brauchten doch Unterstützung. Schließlich organisierte sich der Helfer-Stab; er koordinierte die Arbeitseinsätze der Helfer. Eine tolle Idee!!

Leider tauchten gerade in den ersten Tagen auch viele Schaulustige auf, die mit weißen Turnschuhen durch Altenahr liefen. Wir mussten teilweise aufhören, Schlamm zu schippen, damit diese Herrschaften an uns vorbei gehen konnten und nicht beschmutzt wurden. Das hat uns sehr betroffen gemacht.

In den folgenden Monaten räumten wir gemeinsam mit freiwilligen Helfern sowie Mitgliedern von Bundeswehr und THW Unrat, Schlamm, Baumstämme, Wohnanhänger und vieles mehr weg.

Bild: Heinz Grates

Nach dem Aufräumen kam das Denken. Was sollten wir jetzt machen? Wie ging es weiter?
Welche Pläne sollten wir für die Zukunft machen? Wo sollten wir eine Wohnung finden? Dazwischen drängten sich immer noch die Verhandlungen mit der Versicherung.

Im Februar 2022 begann der Krieg in der Ukraine. Die Preise für Material und Handwerker schnellten in die Höhe. Überhaupt Handwerker zu finden, war schon ein Glücksfall. Wenn sie dann noch zügig und gut arbeiteten, freuten wir uns wie Kinder.
Baugenehmigungsverfahren dauern lange, manche bis zu neun Monate. Wie sollen wir da noch Zukunftspläne schmieden? Der Wiederaufbau dauert lange und wird wahnsinnig teuer. Mitarbeiter können wir kaum noch halten. Wenn wir mit dem Wiederaufbau fertig sind, haben wir vielleicht keine mehr. Wie sollen wir dann ein Hotel unserer Größe führen? Ohne Mitarbeiter? Ohne Nachkommen?

Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Das Ahrtal und Altenahr werden wieder schön. Vielleicht sind wir in zehn Jahren so weit.
Eine lange Strecke liegt noch vor uns.

Bild: Annette Holzapfel