Der Verlauf der Flutkatastrophe

Erlebnisbericht F. Linnarz


Altenahr
gekürzt aus dem Heimatjahrbuch August 2023
Frank Linnarz

Frank Linnarz, der Wehrleiter der Verbandsgemeinde Altenahr und Stellvertretende Brand- und Katastrophenschutzinspekteur des Kreises Ahrweiler berichtet über die Flutnacht:

Die Feuerwehren wurden, wie auch die Bevölkerung, ab Montag, den 12.07.21, über die Wettervorhersagen eines drohenden Starkregenereignisses informiert. Stellenweise seien 200l/m2 zu erwarten. Deshalb beobachtete die Feuerwehr im Ahrtal Pegelstände und Vorhersagen. Am späten Vormittag des 14. Juli erhielt sie die Meldung eines regionalen Meteorologen, der aussagte, unter Umständen komme es zu einem vergleichbaren Hochwasser wie 2016 (Pegel Altenahr: 3,71 m). Im Internet wurde die Prognose gegen 15.30 Uhr auf 5,20 m angehoben. Am frühen Nachmittag wurden die Feuerwehren zu einem ersten Einsatz im Ort Kreuzberg alarmiert. Vorsorglich wurden die Menschen auf den Campingplätzen, die Naturschutz-Jugendherberge Altenahr und die direkten Ahranlieger mit Lautsprecherdurchsagen gewarnt. Nachdem die Prognose gegen 15.30 Uhr auf 5,20 Meter angehoben worden war, wurden alle Feuerwehren der Gemeinde Altenahr alarmiert und die Warnungen ausgedehnt. Die Katastrophe war aber noch nicht absehbar.

Bild: Petra Lang
Bild: Heinz Grates

Nach 18.20 Uhr stieg das Wasser innerhalb von vier Minuten stellenweise um bis zu 2,50 Meter und kurz darauf in einer noch nie dagewesenen Dimension. Feuerwehren und Anwohner wurden von der Flut erwischt. Viele versuchten vergeblich, ihr Hab und Gut aus dem Keller ins Erdgeschoss zu retten. Mit fatalen Folgen: einige ertranken in ihren Häusern. Zahlreichen Menschen blieb nur noch die Flucht in höhere gelegene Etagen und zuletzt auf Dächer. Feuerwehrleute konnten nur noch vereinzelt Menschen mittels tragbarer Leitern und Radladern unter Einsatz ihres Lebens retten. Es wurden Hubschrauber angefordert. Mir war klar, dass die Hubschrauber aufgrund des Starkregens, Gewitters, der schlechten Sicht und beginnenden Dunkelheit an diesem Abend nicht mehr zu Hilfe eilen konnten.

Bild: Petra Lang
Bild: Petra Lang

Anfangs konnten wir uns zeitweilig über Mobiltelefon und Digitalfunk verständigen, dann waren die Netze überlastet und am späten Abend versagten sie völlig. In letzter Sekunde konnten wir noch zwei Hotelbetriebe mit bis zu 200 Gästen retten und in der benachbarten Pfarrkirche in Sicherheit bringen.

Wir wussten, dass „draußen“ unzählige Menschen in und auf ihren Häusern um ihr Leben bangten - und wir konnten nur hilflos zusehen. Viele Betroffene schauten erschüttert auf die Fluten. Fahrzeuge trieben durch die Straßen. Die Atmosphäre war gespenstisch, die Stimmung war ruhig, vermutlich, weil alle unter Schock standen.

Gegen 22.45 Uhr stagnierte der Wasserstand in der Ortsmitte. Es war ein Pegel von gut zehn Metern erreicht. Gegen 23.00 Uhr fiel der Wasserstand leicht. Hoffnung machte sich breit. Keiner von uns wusste, welche Dramen sich anderswo im Ahrtal abspielten.

Bild: Annette Holzapfel
Bild: Petra Lang

Am folgenden Tag waren noch alle Straßen überschwemmt. Ein Bus lag auf den Gleisen. Die Eisenbahn- und Fahrradbrücken am Winzerverein waren vollkommen zerstört. Ein tiefes Loch klaffte unterhalb des Straßentunnels. Die örtliche Feuerwehr war mit der Lage überfordert, viele Feuerwehrangehörige waren selbst stark betroffen. Als die ersten Katastrophenschutzeinheiten am Morgen des 15. Juli eintrafen und die ersten Hubschrauber Menschen von den Dächern retteten, war uns die Lage immer noch nicht vollumfänglich bewusst. Die Versorgung der Bevölkerung hatte oberste Priorität, die dringend benötigen Einsatzkräfte und Hilfen kamen jedoch nicht an. Ohne die vielen freiwilligen Helfer aus dem ganzen Bundesgebiet hätten wir die Situation bei Weitem nicht so zügig abarbeiten können. Diesen zahlreichen Helfern zolle ich noch heute meinen höchsten Respekt. Aus Tagen wurden Wochen, Monate.

Jetzt geht es darum, unsere geliebte Heimat wieder aufzubauen, das Erlebte zu verarbeiten und in die Zukunft zu schauen, obwohl das vielen schwerfällt. Aus Sicht der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes müssen wir viele Maßnahmen überarbeiten, vor allem die frühzeitige Warnung der Bevölkerung.

Bild: Petra Lang
Bild: Petra Lang