Der Verlauf der Flutkatastrophe

Erlebnisbericht R. Füllmann

Ehlingen
September 2023
Robert Füllmann

Die Flutkatastrophe 2021 in Ehlingen

Aus Ehlingen berichtet Robert Füllmann:

Die Flut kam am 15. Juli 2021 um etwa 02:00 Uhr morgens nach Ehlingen. Bereits in den Tagen zuvor verzeichnete man starke, dauerhafte Niederschläge und einzelne Keller und Höfe mussten von der Feuerwehr ausgepumpt werden. Die Kanalisation war überlastet. Dennoch rechnete in Ehlingen wohl kaum jemand mit einem außergewöhnlich starken Hochwasser, da die Niederschläge am späteren Nachmittag des 14. Juli 2021 wieder nachließen und gegen 18:00 Uhr komplett endeten.

Am Abend gegen 21:30 Uhr trat dann jedoch die Ahr über die Ufer und überflutete den Fahrradweg am Bahnhof Heimersheim. In Ehlingen hörte man erste Äste von Bäumen und Sträuchern brechen. Obwohl es nicht mehr regnete, beschlossen einige Bürgerinnen und Bürger trotzdem ihre Häuser und Kellereingänge mit Sandsäcken zu schützen und versammelten sich hierzu auf dem Dorfspielplatz. Dort unterstützte man sich gegenseitig und füllte Sack für Sack und sogar Plastiktüten mit dem Spielsand. Noch vor der Dunkelheit erreichten erschreckende Videos und Bilder von schwimmenden Wohnwagen und entwurzelten Bäumen an der Oberahr die Menschen im ganzen Ahrtal.

Mangels offizieller Warnungen durch öffentliche Stellen war es jedoch schwer vorstellbar, dass ein Hochwasser auch Ehlingen, seit den 1970ern hinter dem Damm der B266 gelegen, an der unteren Ahr erreichen könnte.

Bild: Heinz Grates

Gegen 00:30 Uhr waren alle verfügbaren Sandsäcke befüllt und verteilt. In der nächtlichen Stille hörte man nun ein starkes Rauschen und Knacken von der etwa 300 Meter entfernten Ahr. Unruhe machte sich unter den Anwohnern breit, das Hochwasser könnte die Lärmschutzwand der B266 vielleicht durchbrechen und nach Ehlingen hineinströmen. Der Grundwasserspiegel stieg erheblich und erste Keller wurden mit Grundwasser geflutet. Wie in vielen Gemeinden an der Ahr unterstützten sich die Nachbarn gegenseitig und man half sich beim Wasserausschöpfen in den Kellern.

Etwa um 01:30 Uhr trafen Nachrichten von Feuerwehrleuten im Einsatz ein, die vor einem unmittelbaren Eintreffen der Fluten in Ehlingen warnten. Die Ahr hatte in Heimersheim längst die B266 überspült und den Ort hinter dem Damm überflutet. Selbst das sogenannte Jahrhunderthochwasser von 2016 war damit bei Weitem überschritten.

Plötzlich war Eile geboten, Strom und Handy-Netze waren am Abend bereits ausgefallen. Die Ehlinger liefen selbst durchs Dorf und alarmierten klopfend und rufend ihre Nachbarn. Zügig und nur mit dem Nötigsten ausgestattet, flohen die Ehlinger Bürgerinnen und Bürger – teils mit ihren Haustieren – in die höher gelegenen Bereiche des Dorfes und zum Dorfgemeinschaftshaus. Das Wasser folgte zügig und stieg stetig in die höheren Dorfbereiche auf.

Gegen 02:30 Uhr war die Ehlinger Senke dann etwa fünf Meter hoch geflutet und etwa 50 Häuser im Dorf, teils schwer beschädigt. Alle im Ort lebenden Menschen konnten mit Hilfe der Dorfbevölkerung aus ihren Häusern gerettet werden, wenngleich zum Teil erst am nächsten Morgen.

Gegen 04:00 Uhr am 15.07.2021 hatte die Flutwelle in Ehlingen ihren Höhepunkt erreicht. Wer nun dachte, schnell in sein Haus zurückkehren zu können, wurde enttäuscht. Die Ehlinger Senke hinter dem Damm der A571 und B266 hatte sich mit einer geschätzten halben Million Kubikmeter Wasser gefüllt. In Ehlingen entstand ein riesiger Stausee, der eine Fläche von etwa 200.000 Quadratmetern und keine Möglichkeit zum Abfließen hatte.

Ab Tag 2 begannen die kräftezehrenden Aufräumarbeiten. Viele Menschen gelangten zunächst nur mit THW-Booten zu ihren Häusern. Müll und Schlamm türmten sich in den Straßen. Es dauerte fünf Tage bis der Grundwasserspiegel so weit gesunken war, dass Hochwasser und etliche 1000 Liter Heizöl über die Kanäle abgeflossen oder im Boden versickert waren. Erst dann konnte das THW Heusweiler, welches aus dem Saarland angereist und in der „Alten Ehlinger Schule“ untergebracht war, die letzten Keller in Ehlingen auspumpen.

Bild: Robert Füllmann

Nun galt es mit vereinten Kräften den kontaminierten Schlamm und den komplett zerstörten Hausrat aus den gefluteten Häusern zu entsorgen. Es entstanden Müllberge im ganzen Dorf, nach und nach waren die Straßen blockiert. Was für ein Glück, dass Helfer aus ganz Deutschland mit schwerem Gerät angereist waren und in Ehlingen sehr früh ihre Arbeit aufnahmen. Die Ehlinger opferten ihren Bolzplatz als Mülldeponie und viele ehrenamtliche Helfer befreiten das Dorf mit Hilfe von Bau- und Bergefahrzeugen von Tonnen des verseuchten Schlamms und Sperrmülls.

Bereits am ersten Abend nach der Flut öffneten der 81-jährige Ernst Füllmann, seine Tochter Iris und sein Schwiegersohn Thomas Koglin ihren Innenhof für alle Ehlinger und leisteten Ersthilfe. Etwa 80 Tiefkühlpizzas wurden aufgrund des Stromausfalls und der abtauenden Tiefkühltruhen im Dorf gesammelt und im hauseigenen Steinofen gebacken, um Betroffene, Bürger und Helfer mit Speisen und Getränken zu versorgen.

Aufgrund zerstörter Brücken und versperrter Wege ins weitere Tal strandeten freiwillige Helfer und Hilfsorganisationen in Ehlingen. Die Ehlinger nutzten die Gunst der Stunde und öffneten für sämtliche anwesenden Helfer die „Alte Ehlinger Schule“ als Quartier und Übernachtungsunterkunft. Die Hilfsorganisationen waren froh, abends nicht zur weit entfernten Zentrale am Nürburgring abrücken zu müssen und verbrachten die Abende, gemeinsam mit den Betroffenen im Hof von Ernst Füllmann. Dort entstand in den Folgetagen nicht nur ein Verpflegungs- und Hilfsgüterlager, sondern auch eine Begegnungsstätte für Ehlinger, Heimersheimer und Greener Bürger zum gegenseitigen Austausch.

In dieser Versorgungszentrale, die nur mittels überwältigender, privat organisierter Spendensammlungen auf die Beine gestellt werden konnte, wurden sodann Werkzeuge, Schutzausrüstung, Medikamente, Reinigungs- und Lebensmittel, elektrische Heizöfen, Dampfstrahler, Trocknungsgeräte, Kühlschränke und Waschmaschinen ausgegeben. In der Ehlinger Schule organisierte man sogar Informationsveranstaltungen und konnte wichtige, psychologische Ersthilfekontakte vermitteln.

Bild: Robert Füllmann

Der Schock nach der Flutkatastrophe war riesengroß, das Ausmaß unfassbar. Nicht nur etliche Häuser waren unbewohnbar geworden, die Fahrrad- und Wanderwege entlang der Ahr hatte die Flut einfach weggerissen. Die Ahr hatte sich zwischen Ehlingen und Lohrsdorf auf etwa 800 Meter Breite ausgedehnt und Dimensionen des Rheins angenommen. Danach war die Heimat im sonst so schönen Ahrtal nicht mehr wiederzuerkennen.

Die Ehlinger sind dankbar, dass keine Todesopfer im Dorf zu beklagen sind und gleichzeitig überwältigt von der unfassbar großen Hilfsbereitschaft aus ganz Deutschland. Mit Zukunftsperspektive durch eine Wiederaufbauförderung von Bund und Land, besserte sich die Stimmung bei den Flutbetroffenen ein wenig und man blickte im Frühjahr 2022 etwas hoffnungsvoller in die Zukunft. Viele der etwa 50 in Ehlingen betroffenen Häuser wurden entkernt und waren zum Sommer 2022, zumindest in Teilen, wieder bewohnbar.

Mehr als zwei Jahre nach der Flut im Herbst 2023 erweist sich der Wiederaufbau - trotz einiger schneller Erfolge - als kräftezehrender Marathon, der den Menschen im Ahrtal weiterhin viel abverlangt. Angesichts bislang kaum nennenswerter Hochwasserschutzmaßnahmen und einer Häufung vieler vergleichbarer Flutkatastrophen in der ganzen Welt, blickt man angespannt in die Zukunft des Ahrtals.