„Helfen helfen“ - Das Phänomen Helfershuttle

Jürgen Gehring
Juni 2024

Wenn sich innerhalb eines knappen Kalenderjahres etwa 120.000-mal Menschen im Rahmen einer Spontanhilfsorganisation ins flutbetroffene Ahrtal bewegen und dort tatkräftig anpacken, wenn diese Organisation insgesamt (Eigenorganisation und externe Unterstützung eingerechnet) eine gute Million an Arbeitsstunden generiert und wenn diese Helfenden zusammen mit anderen zum Motivations- und Hoffnungsanker für die Flutbetroffenen wird, dann scheint hier einiges richtig gemacht worden zu sein.

Bild: Jürgen Schnabel

Ausgangspunkt war die brillante Idee zweier Unternehmenden aus dem Ahrtal, den unkoordinierten Spontanhelfenden der ersten Tage einen Anlaufpunkt zu bieten, von dem aus sie kontrolliert und zielgerichtet zu erkundeten Aufträgen im Flutgebiet „geshuttelt“ wurden. Buchstäblich mit einem Campingtisch auf einer freien Parzelle im Schatten des Haribo-Werks in der Grafschaft ging es für Marc Ulrich und Thomas Pütz los.

Innerhalb weniger Tage und Wochen entwickelte sich die Ad-hoc-Initiative zu einer arbeitsteilig und effektiv aufgestellten Organisation mit hohem Bekanntheitsgrad, breiter Akzeptanz und enormen Zulauf aus Nah und Fern. Aber wie gelang dies?

Bild: Jürgen Schnabel

Bekanntheit und Glaubwürdigkeit
Von Beginn an professionell bespielte, intensive Präsenz in den sozialen Medien und Berichte in örtlichen und recht schnell überregionalen Medien sowie Mundpropaganda engagierter „Mehrfachtäter“ sorgten für einen hohen Bekanntheitsgrad der Initiative und sehr schnell für einen stetigen und teilweise überwältigenden Zulauf an Helfenden. Als Rekord zu Buche standen 3488 Helfende, denen an einem Samstag im Oktober Aufträge vermittelt wurden.
Im flutbetroffenen Ahrtal sorgten die (sozial-) mediale Präsenz, aber auch das flächendeckende Netzwerk von Helfershuttle-Scouts und örtlichen Verantwortlichen sowie die Einrichtung einer Hotline, Flugblattaktionen und natürlich das nicht zu übersehende Wirken der Hilfsteams für Bekanntheit, Akzeptanz und Glaubwürdigkeit unter den Anwohnenden des Tals.
„Das Helfershuttle ist die Schweiz“: mit diesem Credo gelang es dem Helfershuttle darüber hinaus in verschiedenen schwierigen Situationen ausgleichend und vermittelnd zu agieren.

Bild: Annette Holzapfel

Rundum-Sorglos-Paket
Wesensmerkmal des Helfershuttles war unter anderem, dass quasi jede Ausrede genommen wurde, nicht zu helfen. An alles war in einem Rundum-Sorglos-Paket gedacht: Parkplätze, Verpflegung, sanitäre Anlagen, Duschmöglichkeiten, Werkzeuge sowie Maschinen, Arbeits- und Schutzbekleidung. Sanitätsversorgung und Physiotherapie standen zur Verfügung. Hilfseinsätze waren von der Dispo vorbereitet und man brauchte nur noch gut ausgestattet und informiert in das richtigen Shuttle zu steigen um dann vor Ort loszulegen. Nach der Abholung vom Einsatzort ging es dann zurück ins Helfershuttlecamp zu heißer Dusche, Abendessen und Kaltgetränk. In der teilweise live im Internet übertragenen „Abendandacht“ ließ man dann den Tag - von nachdenklich-bewegt bis fröhlich-euphorisch Revue passieren. Dabei sorgte dieses feste Ritual nicht nur für Zusammenhalt bei den Helfenden vor Ort und bei den Unterstützenden in der Ferne, es diente auch der Bewältigung von belastenden Eindrücken im Gespräch. Zu diesem Zweck waren immer Notfallseelsorgende und Psycholog:innen im Camp. Auf diese Weise kam der Helfershuttle stets seiner fürsorgerischen Verpflichtung gegenüber den Helfenden nach.

Bild: Jürgen Schnabel
Bild: Jürgen Schnabel

Flexibilität und Effektivität
Sehr schnell entwickelte sich im Helfershuttle ein detailliertes Lagebild über die „Baustellen“ im Tal.
Mit geo-referenzierter Auftragsdarstellung und online per App erfolgenden Lagemeldungen der Teams war es möglich, quasi in Echtzeit flexibel zu reagieren und z.B. Folgeaufträge, Teamverstärkungen oder Materialnachlieferungen einzuleiten. Auch wenn nicht immer alles rund laufen konnte, wurde so doch eine erstaunlich hohe Effektivität erreicht.

Bild: Jürgen Schnabel

Diese Erfolgsfaktoren und die daraus resultierende hohe Effektivität- und Akzeptanz machten das Helfershuttle zu einem in dieser Größenordnung noch nie dagewesenen Phänomen spontanen Hilfsaufkommens. Zusammen mit anderen, kleineren Organisationen wie den Dachzeltnomaden machte das Helfershuttle damit den Unterschied für die Flutbetroffenen im Ahrtal. Dies war notwendig, da keine staatlich organisierte Instanz aufgestellt ist, um in einer so unklaren Lage, derart flexibel, zielgerichtet und nah am betroffenen Menschen zu agieren.

Bild: Jürgen Schnabel