Hilfe aus aller Welt
Annette Holzapfel
Januar 2023
Abir Jawhars gerade eingerichteter Kosmetiksalon in Ahrweiler wurde durch das Hochwasser völlig zerstört. Wie sie verloren viele Menschen, die aus anderen Ländern nach Sinzig, Bad Bodendorf, Bad Neuenahr, Ahrweiler oder Antweiler gekommen waren und hier leben, einen großen Teil von dem, was sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hatten: ihre Häuser, Wohnungen, Geschäfte, ihr Hab und Gut.
Mohammad hat alles, was er in Deutschland besessen hatte, in der Flutnacht verloren. Private Spender kauften ihm neue Deutschbücher, sodass er dem Sprachunterricht wieder folgen konnte. Viele Menschen, die aus ärmeren Regionen der Erde nach Deutschland gekommen waren, zeigten eine bewundernswerte Stärke im Umgang mit der Katastrophe, denn sie hatten in ihrer Heimat Schlimmeres erlebt.
Mohammad aus Afghanistan wurde aus der Flüchtlingsunterkunft in der Friedrich-Spee-Straße in Sinzig evakuiert. Als der Deutschunterricht wieder begann, konnte seine Schule ihn zunächst nicht finden. Nach Tagen machte seine Deutschlehrerin ihn ausfindig.
Es müssen auch Menschen wie der 38-jährige Hasan Mahmoud genannt werden, die Menschen retteten, die sonst ertrunken wären.
Seit dem Tag nach der Flut waren nicht-deutschstämmige Menschen unermüdlich im Einsatz, um gegen die Auswirkungen des Hochwassers anzukämpfen. Hunderte, die nach Deutschland geflohen oder zum Arbeiten gekommen waren, reisten aus der gesamten Republik zur Katastrophenhilfe und Unterstützung des Wiederaufbaus ins Ahrtal. Der Offenbacher Verein Time to Help startete unmittelbar nach der Flut einen deutschlandweiten Aufruf und sammelte Spenden. In Zusammenarbeit mit 28 Vereinen mobilisierte er über 1.200 ehrenamtliche Helfer und Helferinnen, darunter zahlreiche Menschen, die selbst vor einiger Zeit ihre Heimat verloren hatten. Sie verteilten Essen, Trinkwasser, Kleidung und Decken, halfen bei Aufräumarbeiten und organisierten Kochzelte. Die angereisten ehrenamtlichen Zuwandernden waren überwiegend als Asylsuchende nach Deutschland gekommen, hatten hier Hilfe erhalten und freuten sich, etwas zurückgeben zu können.
In Sinzig koordinierte Songül Erdem von Merida, einem Verein der normalerweise Sprachkurse organisiert und sich im interreligiösen Dialog und im Empowerment von Frauen engagiert, die Ehrenamtlichen. So kümmerten sich Mitglieder von Merida und von Time to Help um die Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser, organisierten Sachspenden und leisteten mit den angereisten und ansässigen Unterstützerinnen und Unterstützern humanitäre Hilfe im Ahrtal.
Ob Schlammschippen, Brötchen schmieren oder Verbandsmaterial austeilen, die „Meridas“ waren überall dort im Einsatz, wo starke Arme und ein offenes Ohr gebraucht wurden. Sie reinigten unzählige Gebäude, darunter Wohnhäuser, aber auch Schulen, Vereinsheime und Kirchen überall an der Ahr. Als besonders wichtig erwies sich das Kochen und Backen in der Küche der Merida-Vereinsmitglieder, die Versorgung mit gesunden Mahlzeiten an den betroffenen Orten und das Verteilen von Speisen im Außendienst.
Faris Allaham übersetzte die Hilferufe von der Ahr ins Arabische und gründete zusammen mit Anas Alakkad und Barakat Oubaid eine Facebook-Gruppe, um Helfende ins Ahrtal zu bringen, die nicht gut Deutsch sprachen. Hunderte syrische Männer und Frauen folgten dem Aufruf und kamen zum Treffpunkt für Flutopfer, einem zur Anlaufstelle für Helfende umgewandelten Coworking-Space von Melanie Brücken in Sinzig. An der Fensterscheibe des Coworking-Space machten sie mit dem Aufkleber „Syrische Freiwillige in Deutschland“ auf sich aufmerksam. Was sie bewog, vor Ort zu helfen, formulierte Faris Allaham so: „Als unsere Heimat zerstört wurde, konnten wir gegen den Krieg nichts machen, aber hier im Ahrtal, da können wir helfen und unsere neue Heimat ist Deutschland.
Zuwanderinnen und Zuwanderer, die selbst nicht betroffen waren, engagierten sich ehrenamtlich über viele Wochen in Hilfsinitiativen, die an ihren Wohnorten gegründet wurden.
Dass der Wiederaufbau nicht ohne Menschen aus anderen Ländern gelingen würde, erkannte das Bundesministerium des Innern früh. Deshalb schuf es im August 2021 eine Sonderregelung für eine erleichterte Einreise und sorgte für eine Beschleunigung der Visaverfahren. Arbeitgebende, die für den Wiederaufbau Arbeitskräfte aus nicht-EU-Ländern beschäftigten, wurden von der Zentralstelle für Fachkräfteeinwanderung Rheinland-Pfalz unterstützt. Meist hatten die Arbeitskräfte wegen ihren kurzfristig entschiedenen und nur kurze Zeit währenden Aufenthalten keine Gelegenheit, die deutsche Sprache zu lernen. Man traf in Wohnungen, die wiederhergestellt oder renoviert wurden, sowie im Straßenbau, Saisonarbeitende aus dem Kosovo, Albanien, Bulgarien, Rumänien, Polen, der Ukraine und Spanien. Peruaner, die die spanische Telekom für die Verlegung des Glasfasernetzes im Ahrtal nach Deutschland schickte, arbeiteten mit Menschen anderer Herkunft an der Verlegung dieses Netzes. Ihre Unterkünfte waren provisorisch, mitunter Wohnwagen.
Da es 2023 immer noch erforderlich war, Arbeitskräften aus dem Ausland eine erleichterte Einreise nach Deutschland zu ermöglichen, wenn sie am Wiederaufbau beteiligt waren, setzte das rheinland-pfälzische Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration sich dafür ein, dass die bis zum 31.12.2022 befristete Regelung bis zum 31.12.2023 verlängert wurde.