Kraftraubender Wiederaufbau

Annette Holzapfel
Oktober 2024

Der private Wiederaufbau hat viele Facetten. Er gelingt und er scheitert, er verzögert sich und treibt Menschen in die Verzweiflung. Angesichts der Befürchtung, in das zerstörte Zuhause nie mehr zurück zu können, nahmen sich Menschen das Leben. Wer sein Zuhause schnell wiederaufgebaut hatte, war dem Neid seiner Nachbarn ausgeliefert. Manche Häuser wurden erst sehr spät abgerissen. Familien wurden auseinandergerissen, untergebracht in weit voneinander entfernt liegenden Behelfswohnungen, während bei anderen Betroffenen schlechte Handwerker jeden Fortschritt zunichtemachen. Das passiert drei Jahre nach der Flutkatastrophe immer noch. Wiederkehrende Rückschläge ersticken die Zuversicht tagtäglich aufs Neue. Der schleppende Wiederaufbau, das Gefühl, von der Politik und den Behörden missachtet zu werden, die Unerreichbarkeit der zuständigen Behördenvertreter: all das schlägt tiefe Wunden. Die Bürokratie kann man verdammen, aber das hilft nicht. Viele Menschen stemmen sich mit letzter Kraft gegen Aneinanderreihungen nicht einleuchtender Hindernisse, glauben niemandem mehr, halten jedes Versprechen für leer. Sie verschließen den Blick vor sich auftürmenden Schulden, um weiter „kämpfen“ zu können. Einige flüchten in Gedankengebäude, in denen sich Zuversicht und Verbitterung vermischen. Viele trauern um das, was von ihrer Heimat für immer verloren ging.

Bild: Annette Holzapfel

Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe dachten die Menschen noch laut nach, sie machten Frust und Ärger über den schleppenden Wiederaufbau Luft, indem sie Journalisten davon erzählten. Drei Jahre nach der Flut will niemand mehr erzählen. Die Autorin hat dennoch das Gespräch gesucht: Die folgenden Äußerungen geben wieder, wie Ahrtalbewohner, deren Häuser noch nicht fertig sind, ihre Situation empfinden.

… Etwas Neues schaffen oder das Alte wiederherstellen? Eine schwierige Frage. Es braucht viel Geduld. Ein ganzes Jahrzehnt - so sagen viele - wird es dauern. Dass man nichts überstürzen solle, hört man oft. Aber dass es so langsam geht, ist frustrierend. Unsere Heimat hat an vielen Stellen ihr Gesicht verloren. Wir brauchen den Mut, zu verändern. Man sollte nicht von Wiederaufbau, sondern von Aufbauen sprechen, auch wenn es schmerzt, dass so viel Liebgewonnenes verloren ist.

Bild: Annette Holzapfel

Wir haben keine Kraft mehr, um darüber zu sprechen. Wir wollen unsere letzte Kraft für den Wiederaufbau nutzen.

Sorgen und Ängste quälen uns, weil die ISB [Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz] so schrecklich lahm ist. Wir haben einen Mehrkostenantrag gestellt. Seitdem erhalten wir keine Zahlungen mehr. Das ursprüngliche Gutachten soll geprüft werden. Bis dahin bekommen wir kein Geld. Es wird drei bis neun Monate dauern. Wir würden gern in unser Haus einziehen und Miete sparen. Um die Rechnungen der Handwerker zu bezahlen, haben wir alle Ersparnisse zusammengekratzt und einen Kredit aufgenommen. Doch das reicht nicht. Unser Sohn wird uns noch Geld leihen.

Bild: Annette Holzapfel

Wir haben die Bürgerbeauftragte angeschrieben, weil es nicht weitergeht. Wir hören nichts von der ISB. Eine Kontaktaufnahme ist nicht möglich. Selbst die seinerzeit von der ISB ins Land geschickten Gutachter können sich nicht mit der ISB austauschen, jetzt, wo ihre Gutachten angezweifelt werden.

Bild: Annette Holzapfel

Überall trifft man Angehörige, die berichten, dass der Wiederaufbau mehr Zeit beansprucht als manchem bis zum Lebensende bleibt.

Ich wollte das Haus für meine Mutter wiederherrichten, die die Wartezeit in einem Altersheim überbrückte. Nun ist sie gestorben. Der Wiederaufbau stockte für viele Monate, als die Versicherung schrieb: ‚Sie haben Ihre Schadenssumme erreicht. Wir stellen die Zahlungen ein.’ Später gab es dann bei der ISB einen Erfassungsfehler. Ein Häkchen war nicht gesetzt worden.

Bild: Annette Holzapfel

Meine Frau ist ein Jahr nach der Flut gestorben. Da hätte für mich eigentlich ein Bungalow ausgereicht. Die Auflage der ISB ist jedoch, dass das neue Haus nicht kleiner sein darf als das alte.

Inzwischen ist so viel Zeit vergangen, dass man bei der ISB vergessen hat, dass manches Haus abgerissen werden musste, weil es von der Flut so stark zerstört war, dass Einsturz- und damit Lebensgefahr für die Helfer bestanden hätte. Auch das verzögert den Wiederaufbau: Die ISB verlangt ein Gutachten, in dem die Notwendigkeit des Abrisses erläutert wird.

Bild: Annette Holzapfel

Wenn Menschen erzählen, weisen sie darauf hin, dass ihre keine Einzelschicksale sind, sondern dass es an ihrem Ort vielen ähnlich geht.

Dreieinhalb Jahre sind vergangen und mein Haus ist immer noch nicht wiederaufgebaut. Ein halbes Jahr habe ich auf die Baugenehmigung gewartet. Zum Glück half ein persönliches Gespräch mit der Landrätin. Ich erhielt die Baugenehmigung. Zwischenzeitlich hatte der Bauunternehmer aber andere Aufträge angenommen. Ich musste wieder warten. Die Summe, die benötigt wird, um das neue Haus zu bauen, war um 40 Prozent gestiegen. Ich musste wieder mit der ISB verhandeln, weil diese Summe von der ursprünglich mit ihr vereinbarten Summe abwich. Seitdem sind 20 Monate vergangen. Auf den endgültigen Bescheid der ISB warte ich noch. Immer wieder werden neue Gutachten angefordert. Will man vielleicht die Auszahlung des Geldes hinauszögern? Viele Menschen hier haben ein ähnliches Problem. Kürzlich fragte die ISB in Mainz den Gutachter, der mir vom InfoPoint, also der ISB-Vertretung hier vor Ort, zugeteilt wurde, ob er überhaupt berechtigt sei, das Gutachten zu erstellen. Nun hat man mich auch im InfoPoint gefragt, ob ich einen anderen Gutachter beauftragen könne. So musste ich für eine Nachjustierung einen weiteren Gutachter beauftragen. Den muss ich jetzt auch bezahlen. Ich schulde ihm 30.000 Euro - Geld, das die ISB irgendwann zurückzahlen will. Im hiesigen InfoPoint hatte man mir gesagt „Bau!“. Das Bauamt Ahrweiler, der Abteilungsleiter der Kreisverwaltung sowie der Wiederaufbaubeauftragte des Landes waren vor zwei Jahren hier. Sie haben den Plan für den Neubau in Ordnung befunden. Die Kreisverwaltung hat eine schriftliche Baugenehmigung erteilt. Das hatte sie mit dem Wiederaufbaubeauftragten abgesprochen. Als ich bei diesem schriftlich nachfragte, erhielt ich anstatt von ihm vom Opferbeauftragten ein Schreiben, in dem dieser mir vorwarf, ich hätte in meinem Brief den Wiederaufbaubeauftragten angegriffen.

Bild: Annette Holzapfel

Damit ich beim Wiederaufbau meinem behinderten Bruder gerecht werde, der bei mir lebt, sollte ich einen Aufzug einbauen. Die ISB hatte damit aber ein Problem, weil das alte Haus keinen Aufzug hatte. Sie wandte sich mit Bettelbriefen an zwei Wohlfahrtsverbände. Die Diakonie sagte zu, zwei Drittel des Aufzuges zu bezahlen. Die Caritas hat den Rest zugesagt. Wo mein behinderter Bruder und ich immer noch wohnen, sind wir inzwischen nur noch geduldet. Spätestens Weihnachten müssen wir dort raus. Die Bürgerbeauftragte versprach, mit der ISB zu sprechen und sagte am Telefon, das Problem sei nun gelöst. Aber jetzt verlangt die ISB eine nochmalige Qualitätskontrolle.

Bild: Annette Holzapfel

Das, was jetzt mit den Menschen geschieht, wird von vielen Flutbetroffenen als noch schlimmer als die Flut selbst empfunden. So sagte eine Bewohnerin, die nach über drei Jahren immer noch zur Miete wohnen muss:

Der ganze Stress mit der ISB, das ständige wieder-hinaus-Zögern und die Ungewissheit sowie die Art und Weise, wie wir behandelt werden, sind schlimmer als die Flut. Das Verhalten der Behörden ist an Gleichgültigkeit und Respektlosigkeit nicht mehr zu überbieten. Wir glauben keinem Politiker mehr. Zurzeit wissen wir nicht, ob und wann wir weitere Zahlungen erhalten, ob das Gutachten akzeptiert wird, ob weitere Herausforderungen auf uns zu kommen. Wir kämpfen, auch gegen den finanziellen Ruin. Wir sind kein Einzelfall. Es gibt hier sehr viele, denen es genauso geht wie uns.