Starkregen und Klimawandel
Annette Holzapfel
Juni / Juli / August 2024
Am 14. Juli 2021 ereignete sich an der Ahr eine der größten Naturkatastrophen in Deutschland seit der Sturmflut von 1962. Ein durch das Tiefdruckgebiet „Bernd“ verursachter dreitägiger Regen verwandelte Bäche und Nebenflüsse der Ahr in Sturzbäche, die Hangrutsche verursachten und Ortsteile überfluteten. Die Regendauer überstieg die Fließzeit der etwa 85 km langen Ahr. Somit schaukelte sich der Abfluss des Gesamtgebiets hin zum Unterlauf auf. Die Orte auf den Talhöhen blieben größtenteils von dem Ereignis verschont. Endbetonte Starkregenanteile der nördlichen Zuflüsse an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen brachten den meisten Abfluss zum Gesamtgeschehen.
In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli stieg die Ahr am Pegel Müsch auf 6,25 Meter und fand ihren maximalen Wasserstand am Pegel Altenahr am Anfang der Mäanderstrecke mit bis zu 9,85 Meter. Ab Walporzheim flachte die Welle hin zur Rheinmündung auf knapp 5 Meter am Pegel Bad Bodendorf ab. Sie brachte Häuser in Bereichen hoher Fließgeschwindigkeiten zum Einsturz, spülte Bäume frei und riss Autos, Wohnwagen sowie Gastanks mit sich. Diese Trümmerteile blockierten an vielen Brücken den Durchfluss (Verklausung), wodurch Wasserstand und Wasserdruck der Flut erhöht wurden. Im Kreis Ahrweiler starben mindestens 136 Menschen. 69 Brücken, 14 Schulen, 9 Kitas, viele Straßen und 20 Kilometer Schienennetz der Ahrtalbahn sowie über 9.000 Gebäude wurden zerstört.
Unter den Wissenschaftler:innen, die zu den Hochwassern an der Ahr und bzw. oder Hochwassern in anderen Regionen Deutschlands forschen, dominieren zwei Standpunkte:
1) Ob das Extremereignis vom 14.07.2021 eine Folge des Klimawandels war, lässt sich weder belegen noch negieren.
2) Das Hochwasser vom 14.07.2021 steht nicht in Zusammenhang mit dem Klimawandel. Bei dieser Aussage handelt es sich keineswegs um die Leugnung des Klimawandels. Sie basiert vielmehr auf Analysen früherer Starkregen- und Hochwasserereignisse im Ahrtal und in anderen Regionen Deutschlands. Hochwasser gab es im Ahrtal immer wieder. Seit dem 14. Jahrhundert wird über sie berichtet. Dabei waren die Sommerhochwasser von 1601, 1804 und 1910, insbesondere das von 1804, in Umfang und Auswirkungen mit dem vom 14. Juli, 2021 durchaus vergleichbar.
Die Arbeitsgruppe „Klimaveränderung und Wasserwirtschaft“ (KLIWA), eine Kooperation zwischen Deutschem Wetterdienst (DWD) und mehreren Landesumweltministerien, hat historische, extreme Niederschlagsereignisse in Deutschland untersucht. Dabei haben sie festgestellt, dass alle bis auf eine Ausnahme eine statistische Wiederkehrzeit von mehr als 100 Jahren hatten. Dieser Erkenntnis ist jedoch entgegenzusetzen, dass die Landschaft der hydrologischen Kennwerte aufgrund der unterschiedlich langen Zeitreihen heterogen ist und die Häufigkeitsverteilung von Hochwassern zukünftig über eine Verlängerung der Beobachtungszeitreihen noch besser bestimmt werden kann.
Wenngleich die Forscher der AG KLIWA Anzeichen dafür sehen, dass „extremste Starkniederschläge und Niederschläge kurzer Dauerstufen zumindest in Teilen Süddeutschlands in den vergangen Jahren zugenommen haben“, betonen sie zugleich, dass sie noch Modelle entwickeln, um „Aussagen über zukünftige Starkniederschlagsänderungen“ machen zu können.
Der Hamburger Klimaforscher Mojib Latif prophezeite 2004 das häufigere Auftreten von Hochwasser in Mitteleuropa. Eingriffe in die Fließgeschwindigkeit von Flüssen durch Flussbegradigungen, Dammbau, Bewässerungssysteme, Abholzungen, Änderungen der Bodennutzung in Flusseinzugsgebieten sowie länger anhaltende Starkniederschläge wurden als Auslöser genannt.
Für Katja Frieler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sind zunehmende Starkniederschlagsereignisse Folgen des Klimawandels. Bei seinen Vorhersagen stützt sich das Institut auf Simulationen und Modellrechnungen. Laut der „Helmholtz Klima Initiative“ tragen Modellrechnungen, auf denen zukünftige Szenarien der Klimaentwicklung basieren, dem komplexen Charakter des Klimas durchaus Rechnung.
Extremwetterforscher Michael Kunz vom „Institut für Meteorologie und Klimaforschung“ am Karlsruher Institut für Technologie beobachtet in den letzten Jahren eine Zunahme von Starkniederschlägen. Grund hierfür sei die durch den Klimawandel gestiegene Lufttemperatur. Die Wolken können mehr Wasser aufnehmen, sodass stärkere Niederschläge entstehen.
Auch der Deutsche Wetterdienst (DWD) verzeichnet einen Temperaturanstieg, der zu mehr Wasserdampf in der Luft führt. Durch den Klimawandel werde die Trockenheit überall auf der Erde, auch in Mitteleuropa, zunehmen. Diese Trockenheit lasse Niederschlagsereignisse tendenziell stärker werden und erhöhe die Frequenz von Gewittern. Verstärkt werde dieser Effekt durch die ansteigende Temperatur der Meeresoberfläche, wodurch mehr Wasser in die Atmosphäre übergehe.
In der Hydrologiegeschichte haben sich folgende Personen in der Vergangenheit in Mitteleuropa profiliert: Romuald Iszkowski (1848-1904) in Polen, Walter Wundt (1883-1967) in Deutschland und Maurice Pardé (1893-1973) in Frankreich. Sie ermittelten Abflussmengen in Liter pro Sekunde und Quadratkilometer für Einzugsgebiete im Bergland und der Ebene und kamen zu etwa gleichen Ergebnissen, die ein großes Spektrum sowie eine Variabilität von Gewässern aufzeigten. Ihre Angaben finden Bauingenieur:innen und Architekt:innen heute in gängigen Bautabellenbüchern. Ihre Analysen ergeben, dass eine Flut wie die von 2021 auch früher schon erwartbar war und solche Fluten in der Vergangenheit auch schon stattgefunden haben.
Hoch- und Tiefdruckgebiete bewegen sich in den letzten Jahren langsamer von der Stelle. Durch diese geringere Verlagerungsgeschwindigkeit werden extreme Regenfälle in kurzer Zeit am selben Ort und somit Überschwemmungen wahrscheinlicher. Das führen einige Forscher und Forscherinnen darauf zurück, dass sich der Jetstream, ein Höhenwind, der die dynamischen Druckgebilde unserer Breiten entstehen lässt und der für die typische Zugbahn von West nach Ost verantwortlich ist, durch den Klimawandel abschwächt. Warum der Jetstream sich verändert hat, wird jedoch aktuell noch erforscht. Während manche Forscher:innen davon ausgehen, dass der Jetstream wegen des durch den Klimawandel bedingten Schmelzen des Eises und der Erwärmung in der Arktis schwächer wird, halten andere Forschenden normale Schwankungen innerhalb des globalen Wettersystems als Auslöser für möglich.
„Die Kombination aus mehr verfügbarem Wasser in der Atmosphäre und einer zunehmenden Persistenz der Wetterlagen birgt ein sehr hohes Gefahrenpotential“ befand der DWD 2021. Deshalb könnten extreme Niederschlagsereignisse in Zukunft zunehmen. Zwar ist die Menge des Sommerniederschlags in den letzten 50 Jahren um 14 Prozent zurückgegangen, dafür haben aber die sommerlichen Starkniederschläge durch Gewitter zugenommen.
Bedeuten diese Aussagen für das Ahrtal, dass in Zukunft häufiger mit Starkregen und Überschwemmungen zu rechnen ist?
Eine Aussage hierzu ist nicht möglich, da die Forschung sowohl noch zu sehr in den Kinderschuhen steckt als sich auch zum Auftreten von Starkregen schwer Aussagen machen lassen:
Zwar versucht man nachzuweisen, dass Starkregen durch Klimawandel häufiger werden, aufgrund fehlender Langzeitbeobachtungen ist dies jedoch schwer möglich und daher nicht nachweisbar. Wie sich der durch den Klimawandel bedingte Temperaturanstieg auf den Regen auswirkt, lässt sich wegen nicht erfolgter Langzeitbeobachtungen schwer beurteilen.
Vergleicht man die drei bis vier bisher aufgezeichneten jeweils 30-jährigen Klimaperioden, gewinnt man noch keine aussagekräftige Beobachtung. Diese wäre erst bei weitaus längeren Messzeitreihen möglich.
Nicht nur im Ahrtal, sondern auch an der Nordsee traten im Mittelalter große Überschwemmungen und damit einhergehende Schäden auf. Es gab sogar Perioden, in denen menschliches Überleben kaum möglich war. Jedoch ist auch durch dieses Wissen der Beobachtungszeitraum noch nicht lang genug, um für die Zukunft Aussagen zu machen.