Wohnen am Fluss. Reiz und Risiko.

Annette Holzapfel

Am Ufer eines Flusses zu leben hat seinen Reiz. Aber auch Gefahren. Im Ahrtal fließt ein schmaler Fluss, in den zahlreiche Bäche einmünden, durch ein enges Tal. Steht ein Regengebiet am Himmel länger an derselben Stelle und kommt es dann zu einem mehrere Tage anhaltenden Dauerregen, kann das dramatische Folgen haben. Innerhalb weniger Stunden kann die Ahr um mehrere Meter ansteigen.

Hochwässer hat es im Ahrtal immer gegeben. Die Römer reagierten darauf, indem sie ihre Villen auf Anhöhen am Rand des Tales bauten. Vom 14. Jahrhundert bis heute hat es 75 Hochwässer gegeben. Manche davon ereigneten sich im Winter. Wenn der Schnee taute, gefährlicher Eisgang entstand und sich Eisschollen in der Ahr türmten, dann liefen auch die Bäche und der Fluss über.

Um die Schäden durch Hochwasser zu mindern und die Ausbreitung von Krankheiten einzudämmen, vor allem aber, um landwirtschaftliche Nutzflächen zu erschließen, unternahm man ab dem 18. Jahrhundert und insbesondere von 1880 bis zum 1. Weltkrieg Versuche, die Ahr zu regulieren.

Bild: Anjo Närdemann

Vorsichtsmaßnahmen gegen Hochwasserschäden trafen die Ahrtalbewohnerinnen und -bewohner, indem sie Ansiedlungen im „Hochwasserbereich“ mieden. Karten aus der Zeit von 1808 bis 1810 zeigen einen unverbauten Fluss. Dadurch war bei normalem Hochwasser ein schneller und ungehinderter Abfluss möglich. Trotzdem boten der Abstand zur Hauptstromrinne und die Lage auf Anhöhen nicht immer ausreichend Schutz vor Überflutungen geboten. Zudem war die frühere Bauweise weniger widerstandsfähig als heute. Bei der schweren Flut im Jahr 1804 wurden 129 Wohnhäuser vollständig zerstört und 469 beschädigt.

Im Zuge mittelalterlicher Siedlungsgründungen und insbesondere neuzeitlicher Siedlungsentwicklungen breiteten sich die Orte mehr und mehr im hochwassergefährdeten Raum aus.

Am Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Siedlungsdichte in den Tallagen in fast allen Orten des Ahrtals zu. Allerdings waren die Flächen weniger versiegelt als heute. Nach dem 1. Weltkrieg, vor allem ab den 1950er Jahren nahm der Anteil der Asphaltflächen erheblich zu. Darin liegt nach Ansicht des Biologen Prof. Dr. Dr. Wolfgang Büchs ein Grund für die verheerenden Folgen des Hochwassers am 14. und 15. Juli 2021.

Bild: Anjo Närdemann

Wurden zu erwartende Schäden durch folgenschwere Hochwässer vielleicht deshalb hingenommen, weil man annahm, dass diese sich höchstens alle 100 Jahre ereignen würden? Spielte die rheinländische Lebenseinstellung mit hinein? Im „Kölschen Grundgesetz“ heißt es: „Et hätt noch imer jot jejange.“ Gottvertrauen und positives Denken sind dem Menschen angenehmer als eine Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Forschungen, zumal das Leben schon genug Sorgen birgt und niemand sich gern vorstellt, dass sie oder er die lieb gewonnene Heimat verlieren könnte.

Büchs schreibt zum Altarm der Ahr um den Altenburger Umlaufberg, der schon immer zu Wasseraufstauungen neigte, dieser sei bis in die 1960er Jahre unbesiedelt gewesen. 1960 nahm dort aber die Besiedlung kontinuierlich zu und der Ahraltarm wurde immer mehr zugebaut. Karten des Landesumweltamtes haben möglicherweise deshalb auf keine große Überschwemmungsgefahr hingewiesen, weil nur Pegelstände ab 1947 ausgewertet und frühere Hochwässer nicht berücksichtigt wurden. Vielleicht werden ja auf zukünftigen Karten potenzielle Überschwemmungsgebiete und „Gefahrenbereiche“, die nicht bebaut werden sollten, anders eingezeichnet. Büchs weist darauf hin, dass in den „Gefahrenzonen“ des Ahrtals schon Wohnhäuser stehen bzw. nach der Flut von 2021 wiederaufgebaut wurden. Er vermutet, dass die Festlegung von Überschwemmungsgebieten „offenbar nicht nach wissenschaftlichen, sondern nach politisch-sozialen Kriterien erfolgte“. Er meint, dass nach „streng wissenschaftlichen Überlegungen eine Art Entsiedlungsprogramm für das Ahrtal aufgelegt werden müsste“, und fragt zugleich: „Wer wollte das vorschlagen und als Lokalpolitiker überstehen?“ Fatale Auswirkungen bei zukünftigen Hochwässern könne der Lückenschluss der A1 haben, weil 520 Hektar versiegelte Fläche hinzukämen. Gefahren berge auch die Einengung des Tales durch Verkehrswege, Wirtschaftswege und Eisenbahn.

Bild: Ehepaar Krischok

Die Entsiegelung von Flächen im Wassereinzugsgebiet der Ahr hält Büchs jedoch für durchführbar. Ein Anreiz könne durch Entsiegelungsprämien geschaffen werden. Solche Maßnahmen zusammen mit der Einrichtung von Rückhaltebecken, Retentionsflächen, der Schaffung von mehr Grünland (denn durch die Abnahme von Grünland verkürzt sich die Fließgeschwindigkeit und das Hochwasser steigt schneller an) und neuen Bebauungsplänen gemäß einem Schwammstadtprinzip könnten seiner Meinung nach Schäden durch zukünftige Starkregen und Hochwässer erheblich mindern.

Der Kreis hat ein Konzept entwickelt, um die Schäden an der Ahr und ihren Zuflüssen Adenauer Bach, Nohner Bach und Trierbach zu beseitigen und die Gewässer wieder in einen guten Zustand zu versetzen. Diese „Gewässerwiederherstellung“ soll den Gesamtzustand der Ahr und ihrer Zuflüsse verbessern. Dabei werden sowohl die Hochwasservorsorge als auch ökologische Belange berücksichtigt. Forschungsprojekte der Hochschulen Mainz und Koblenz begleiten das Projekt. Abstimmungen mit vielen verschiedenen Akteuren sowie Flurbereinigungen sind erforderlich.

Bild: Wiebke Reuter-Claesgens