Zur Entstehung eines Kochbuchs
Angelika Furth
Januar 2023
Angelika Furth hat in den Monaten nach der Flut ein Kochbuch geschrieben.
Die Idee, ein Kochbuch zu schreiben und "Lieblingsrezepte" zu sammeln, kam uns im letzten Monat der Versorgung im Versorgungszelt. Monatelang nach der Flut hatten wir, erst in der Denntalschule in Ahrbrück, anschließend im großen Zelt auf dem Sportplatz, das Catering mit frischen Salaten und Desserts ergänzt.
Der Ortsteil Brück, sowie Teile von Pützfeld und Ahrbrück waren im Ganzen betroffen und so mussten in den ersten Tagen Hunderte von Betroffenen und Helfenden versorgt werden. Wir hatten „Glück im Unglück“, da der ortsansässige Supermarkt selbst betroffen war und die Lebensmittel aus dem Ladengeschäft ausgelagert werden mussten. Wir lagerten die Lebensmittel im provisorischen Lager in der Denntalschule. Auch aus der schwer getroffenen Metzgerei Olschewski wurden Wurst und Fleischwaren gerettet. Die Kühlwägen wurden von einem Getränkevertrieb und einem Lebensmittelgroßhandel kostenlos zur Verfügung gestellt. So konnten wir auf große Vorräte zurückgreifen.
Am Anfang unterstützten wir den Koch Daniel Stein, der nach ein paar Tagen zu uns stieß, und anfing, das Kochen zu strukturieren. Morgens versorgten wir Betroffene und Helfende mit belegten Brötchen. Den Baggerfahrenden brachten wir die belegten Brötchen an die Einsatzorte, weil sie ihre Arbeit nicht unterbrechen und vom Bagger steigen wollten. Rene löste nach einiger Zeit Daniel ab und übernahm die Organisation der Versorgung. Und er machte es gut!
Nach und nach begannen wir, das gespendete frische Gemüse zu Salaten zu verarbeiten. Es war eine Herausforderung, die Mengen von gespendeten Waren zu bewältigen. Was macht man mit 60 Blumenkohlen, 10 Steigen Tomaten und Paprika sowie säckeweise Kartoffeln, Kartons von Pfirsichen, Heidelbeeren, Äpfeln und Birnen. Erst wurde das Obst einfach so dazu gestellt, das kam jedoch nicht an. Auch eine Schüssel Obstsalat reizte nicht wirklich. Die Lösung waren schließlich Teller mit geschnittenem Obst und rote Grütze. Ganz wichtig: „Süßes“ in jeder Form. Kuchen aller Art, Teilchen gespendet von Bäckereien und wenn gar nichts mehr da war, Kekse oder Schokolade von Ritter Sport. Das war gut für die Seele.
Kreativität war gefragt. Wir nahmen die Herausforderung an. „Ihr seid unsere letzte Station und wir haben noch „xy“, war ein Standardsatz. 1.000 Eier, 400 Brötchen, Kaffeekochen im Dauereinsatz standen auf dem Plan. Riesenkürbisse aus Rheinhessen, Kisten voller Äpfel, Unmengen von Wirsing und Blumenkohl, Salate aus der Pfalz und aus Bornheim wollten zubereitet werden.
So kam es zu abenteuerlichen Zusammenstellungen; wir entwickelten Rezepte mit dem, was gerade da war. Unverhoffte Geschmackserlebnisse, manchmal ging es auch schief. Wir versorgten Feuerwehren, Polizist:innen sowie Helfende aus ganz Deutschland und erschöpfte Betroffene, die immer noch paralysiert im Hof der Schule saßen und nicht fassen konnten, was passiert war. Wir konnten es auch nicht. Wir umarmten und trösteten, hörten zu und wussten, dass wir das Richtige taten. "Momente, die sich nicht so ohne weiteres beschreiben lassen, die wir aber nie vergessen werden."
Es fällt einem schwer, alles in Erinnerung zu behalten. Wem man alles begegnet ist, gerade in den ersten Wochen; Menschen, die mit Laptops im Hof saßen und fragten, was wir am nötigsten brauchten. „10 Bautrockner? Kein Problem! Ruf einfach an.“
Aber nun zurück zu den Küchengeistern. Im neuen Zelt angekommen, mussten wir erstmal improvisieren: Arbeiten auf Bierzelttischen und immer noch Plastikgeschirr sowie -besteck. Nach und nach erhielten wir weitere Ausstattung und eine Geschirrspülmaschine, sodass wir auf Porzellan umstellen konnten. Es gab viele Menschen, die im Zelt versorgt wurden, unter anderem die Kinder der Betreuung der Denntalschule, Kinder der Grundschule Altenahr und des Kindergartens Ahrbrück. Die Schulen in Altenahr waren zerstört worden und die Kinder in anderen Schulen untergebracht. Das brachte Leben in das Zelt! Und der Kicker brachte einige zur Verzweiflung, aber was und wo sollten die Kinder spielen? Sie lebten mit ihren Eltern in kleinen Wohnungen und im Chaos, das die Flut hinterlassen hatte. Für Abwechslung sorgte da auch schon mal ein Theaterstück, das im Zelt angeboten wurde.
Das Catering versorgte weiter mit Fleisch und Beilagen, wir kreierten Salate sowie Desserts und stellten irgendwann fest, dass die Reste des Caterings, auch Speisen, die völlig in Ordnung waren, weggeworfen werden mussten. Selbst Äpfel, die übrig waren. Was für ein Wahnsinn! Diese Herausforderung nahmen wir gerne an. Das Zauberwort war „Teufelssalat“. Das Rezept findet man am Ende des Buches. Reissalate und Nudelsalate waren nicht der Renner, aber es gab ja auch noch Schinkennudeln und Curries, die mit original indischen Gewürzen von Security-Montis Mutter gewürzt wurden.
Von Monat zu Monat „hangelten“ wir uns von Beschluss zu Beschluss. Geht die Versorgung weiter oder nicht? Wird die Verpflegung weiter finanziert? Eine Rückkehr zur Normalität sollte nach und nach stattfinden. Das „Rundumsorglospaket“ sollte es nicht mehr geben. Bei so vielen Sorgen und Ängsten sollte wenigstens die Versorgung funktionieren, sodass man sich hierum nicht auch noch den Kopf zerbrechen musste. Gleichzeitig trafen auch weiterhin viele Spenden ein. Eine Helfergruppe aus dem Schwarzwald organisierte 90 kg Schäufele und 60 Würstchen der Firma Adler, Manni aus Aulendorf brachte Debreziner und „Saitenwürstle“ und etwas später 180 Maultaschen. Stefan tauschte weiterhin Nudeln gegen Sauerkraut und brachte palettenweise pürierte Tomaten. Das bedeutete Tomatensuppe verschiedener Art, orientalisch, italienisch oder ungarisch. Und da war noch Michael Genn von der Ahrtalhilfe Ahaus, der nicht nur jeden Samstag mit seinem Caddy anreiste und Lebensmittel aller Art lieferte; Gewürze, Tee, Grundnahrungsmittel, Bananen und vieles mehr. Nebenbei sammelte er Spenden und fand Paten, damit er Öfen für Betroffene kaufen konnte. Er ist immer noch unterwegs und hilft weiter, wo er gebraucht wird.
Die Versorgung wurde endgültig durch den Beschluss der Kreisverwaltung zum 1. Mai 2022 eingestellt. Besonders von Seiten der Betroffenen wurde diese Entscheidung bedauert, da nun viele Helfende nicht mehr versorgt wurden. Wie sollte man diese und die eigene Familie nun versorgen, nachdem man den ganzen Tag im Chaos gearbeitet hatte? Das Dorf war im Versorgungszelt zusammengewachsen. Menschen, die sich sonst nicht kennengelernt hätten, trafen sich, fanden Ansprache und Zuhörende, konnten sich über Erfahrungen austauschen und wurden getröstet. Ein wichtiger Treffpunkt war entstanden.
Zehn Monate in der Versorgung brachten uns aber auch an unsere Grenzen. Wir beschlossen dennoch, immer mittwochs das Zelt für alle, die kommen wollten, für gemeinsame Stunden bei Kaffee und Kuchen und ein Abendessen zu öffnen. Das war eine rein private Initiative und ehrenamtliche Aktion der „Küchengeister“. Viele Mitbürger:innen nahmen das Angebot an und trafen sich bis zum 30. August 2022 jeden Mittwoch im Versorgungszelt. Mit dem Rückbau stellte sich die Frage, wie es weiterging und wo wir uns nun treffen können? Es soll eine Zwischenlösung geben, die hoffentlich auch angenommen wird, bis im neuen Wohngebiet an der Kesselinger Straße ein lang überfälliger Treffpunkt für alle entstehen wird.
Nachwort:
Unser großer Dank geht an alle, die uns seit der Flut unterstützt haben. An das Team der Küchengeister und alle anderen Unterstützenden bei der Versorgung. An alle Spendenden, von denen nun einige erwähnt werden: An die Bauern, die uns unentwegt frisches Obst und Gemüse lieferten oder vorbeibringen ließen, ob aus Rheinhessen, der Vorderpfalz oder Bornheim; an die Bäckereien, die uns mit frischen Brötchen und Brot versorgten; gerade in den ersten Wochen. An die Metzgereien, die uns mit Grillgut versorgten. An Teddy Volkmann aus Bingen, der uns mit vielen Dingen, die wir gut gebrauchen konnten, unterstützte. An Stefan, den Unermüdlichen. Seine Anrufe werden wir vermissen. „Was braucht Ihr? Ich hab‘ da noch eine Palette Tomaten mit Chili oder Knoblauch für Euch.“ Davon zehren wir immer noch.
An die Frauen aus Zipshausen, die im Zelt ein grandioses Kuchenbüffet aufbauten. An die Menschen, die einfach vorbeikamen und sagten: „Schaut mal in den Kofferraum, ihr könnt alles haben, was ihr wollt. Woher kommst Du denn? Ich bin aus Luxemburg.“ Wir verteilten Berge von Weihnachtsüberraschungen aus ganz Deutschland an Kinder und Erwachsene. Sie kamen von überall her. „Wir haben beschlossen, euch Nikolaustüten vorbeizubringen. Wieviel braucht ihr?“ „Wir haben hier im Ort 270 Kinder vor Ort in Kita und Grundschule.“ „Na gut. Wir bringen euch 500 Stück!“ Vor Weihnachten füllte sich das Zelt mit Weihnachtspäckchen. Sie nahmen etwa ein Viertel der Fläche des Zeltes ein. Stefan Werling aus Wörth kam mit seinen geschmückten Traktoren, Weihnachtstrucks machten halt. Michael Genn von der Ahrtal Hilfe Ahaus füllte das kleinere Zelt mit Geschenken und der Weihnachtsmann verteilte sie an Kinder und Erwachsene. Unvergessen auch die Emsländer. Die Gruppe um Peggy und Daniel Fischer halfen überall, wo es nötig war und sie gehörten bald zur Zeltfamilie. Ihre Kinder brachten Leben ins Zelt.
Wir können nicht alle benennen, aber wir danken euch allen von Nah und Fern, von West und Ost sowie Nord und Süd.
Wo wären wir ohne euch nach dieser großen Katastrophe gewesen, die das Ahrtal und seine Menschen erschüttert hat? Aber wir schauen auch in die Zukunft. Es wird alles wieder gut, sagte mir in der ersten Woche nach der Flut ein Feuerwehrmann aus Sachsen. Es wird dauern, aber es wird wieder gut!
Dafür haben wir gearbeitet und werden auch weiterarbeiten.