J. Peter Tatsch an seinen Sohn J. Jacob Tatsch in Raversbeuren: Brief vom 12.11.1834
Colonie St. Leopoldi, 12. November 1834
Vielgeliebter Sohn!
Deine mir sehr werten Schreiben vom 12. Februar und 19. Mai sind mir am 25. des vorigen Monats zu meiner und unserer aller Freude zu Händen gekommen und vorzüglich freute uns Euer aller Wohlsein, so wie wir denn Gott sei Dank auch noch alle sind, welche wir hier sind. Dein Bruder Johann Nicolaus ist seit der Zeit, als er an Dich geschrieben, schon wieder hier gewesen und hat uns 8 Tage mit Christian besucht. Nun ist es schon ungefähr wieder ein halbes Jahr her, dass sie in Porto Alegro die Anker lichteten und nach New York in Nordamerika abfuhren. Lieber Sohn! Du wirst Dich sehr wundern, wenn ich Dir sage, dass Christian sich ebenfalls entschlossen hat, ein Seemann zu werden und die Steuerkunst lernen will. Sie versprachen mir vor ihrer Abreise von Porto Alegro, etwas in einem Brief von sich hören zu lassen, sobald sie in New York angekommen sind (denn dort wird immer aus- und eingeladen). Dann wirst Du Dich auch wundern, wenn ich dir sage, dass Deine Schwester Catharina seit Pfingsten vor einem Jahr verheiratet ist[1]. Ihr Mann ist Jacob Spindeler, Sohn von Johannes Spindeler von Niederhosenbach bei Herrstein. Sie sind auch noch alle gesund und wohnen bei seinem Bruder Joh. Nicolaus Spindeler. Sie lassen von da nebst allen Verwandten und Bekannten recht herzlich grüßen, sie sind Zimmerleute und verdienen schönes Geld auf der Profession. Der liebe Gott segnete sie auch schon mit einem kleinen Sohn, welcher jetzt 5 Monate alt ist und den Namen Wilhelm in der heiligen Taufe erhielt. Deine Schwester ist sehr groß und stark für ihr Alter, übrigens lebt sie recht vergnügt mit ihrem Mann. Sie sind auch alle gesund und wohl, sie wohnen ¾ Stunde von uns. Ich hatte Dir schon in einem früheren Brief ihre Vermählung angemeldet, wie ich aber aus Deinem Brief ersehe, hast Du denselben nicht erhalten. Um wiederum auf mich selbst zu kommen, so muß ich Dir sagen, dass ich nicht mehr auf meiner 1. Colonie wohne, sondern ich habe dieselbe vertauscht auf eine halbe Kolonie und eine halbe Wassermühle, welche uns hinlänglich unser Brot verdient und es uns daher viel leichter macht als früher, als wir unseren ganzen Unterhalt in der Plantage suchen mußten. Die erwachsenen Kinder hatten keine Lust zur Plantagenarbeit und die kleinen konnten wenig wirken, folglich war es für mich sehr viel. Ich habe jetzt einen Portugiesen zum Nachbarn und Mitteilhaber der Mühle, welcher mir dieses Jahr die Mühle in Pacht gab für einen sehr billigen Preis, weil er vom Mahlen nichts versteht.
Vorgestern habe ich wieder für mich angefangen zu mahlen und mahle bis 1835 auf den nemlichen Tag. Ich verdiene auch manchen Wendien auf der Tischlerprofession, worin ich mich ziemlich eingeübt habe seit wir hier sind. Ich habe das vorige Jahr und auch dieses Jahr geholfen, zwei neue Häuser zu bauen, wo ich in jedem über fünf Wochen gearbeitet habe. Ich bekomme nebst Kost 20 Wendien oder 2 ½ Franks pro Tag. Ich darf auch nicht vergessen, Dir zu sagen, dass Du wiederum eine kleine Schwester hast, welche Du nicht kennst. Am 22. dieses Monats wird sie 7 Monate alt und heißt Julianna-Josephina, sie ist recht munter und fängt schon an, an den Bänken zu gehen. Übrigens ist unsere Haushaltung ganz klein, Nicolaus und Christian sind nach Nordamerika, Catharina ist bei ihrem Schwiegervater und Wilhelm ist bei ihr und Peter ist mit einem deutschen Kaufmann ins Land gereist, 15 Tagesreisen von hier auf die sogenannte Iesse bei Krusatten. Mithin bin ich, Deine Mutter, Ferdinand, Conrad und die kleine Julianna allein. Auf die Frage meines lieben Enkelchens Joh. Nicolaus[2], wie groß der kleine Conrad seines Brasilien Großvaters sei, so wird derselbe am 1. Februar kommenden Jahres 5 Jahre alt und wird bald so groß sein wie er. Ich wünschte, daß er mit ihm in die Schule gehen könnte, damit ist es hier noch sehr mangelhaft. Conrad wünscht, wenn sein Vetter Nicolaus einmal nach Amerika kommen sollte, daß er doch einmal mit hierher kommen sollte, damit er ihn auch kennenlerne. Einen schönen Papagei, auch zwei wollte er ihm geben, welche schon sprechen können. Die Todesfälle meiner seligen Schwiegereltern sowie der meiner lieben Fraubaß in Kappel haben uns sehr betrübt, am allermeisten aber der Tod der Tochter meiner Gote, weil sie gewiß den Ihrigen noch nötig und nützlich gewesen wäre. Auf ihrem Grabe ließ ich eine stille Zähre in meinem Herzen folgen. Auf die Frage, wie es mit dem Aufschwung der Kultur hier beschaffen ist, so muß ich Dir sagen, dass die hiesigen Einwohner nichts davon wissen und es bei unseren lieben Deutschen mehr ab- als zunimmt. Der Urwald wird umgehauen; wenn das Holz trocken ist, wird es angezündet und verbrannt, welches um die Zeit geschieht, wonach Welschkorn oder auch Kürbis gepflanzt werden. Dieser Kürbis ist aber eine Art, wie die, welche bei Euch unter dem Namen Fleschen bekannt sind, denn die hier sind so fest wie die Erdkohlraben, sie wachsen in großer Menge und geben ein sehr gutes Futter für das Vieh und sind gut zum Essen. Einheimische Gewächse sind Reiß, Zuckerrohr, Maniokwurzel, der zahme zum Kochen, der wilde wird zu Mehl gemacht, auch schwarze Bohnen, diese sind die tägliche Kost der Portugiesen.
Die Deutschen pflanzen weiße Bohnen. Dann werden gepflanzt: Korn, Weizen, Gerste, Hafer, Erbsen usw. Das eine oder andere gerät manchmal gut, im ganzen genommen ist es damit ziemlich mißlich. Baumfrüchte sind: Loracirschen, welche sehr gut wachsen, man kauft so schwer als ein Pferd trägt bei den Portugiesen, wenn sie reif werden, so um 5-6 Wendien, dann Limonen, Zitronen, Pfirsiche und die kühlenden Melonen nicht zu vergessen. Dieselben wachsen sehr häufig und sind sehr wohltuend bei der großen Hitze. Um wieder auf die Anbauart des Landes zu kommen, sobald der Wald gebrannt hat, wird mit einer Hacke locker gemacht und die Körner von Welschkorn und Kürbis hineingelegt und zugescharrt, diese werden immer untereinander gepflanzt - das ist die ganze Behandlung. Auch geraten die Kartoffeln sehr gut in dem frisch gebrannten Lande. Das nächste Jahr wird wieder mit der Hacke das Unkraut hinweg geschaufelt und Korn, Hafer, Flachs oder dergleichen gesät. Dieses wird ganz dünn untergehackt, an Pflügen ist in dem Urwalde nicht zu denken. Unsere Wohnungen waren am Anfang nur kleine Nothütten, die nach und nach verbessert und dauerhafter gebaut und jetzt allmählich in gezimmerte Häuser verwandelt sind. Dann endlich das Klima betreffend, so ist es im Sommer sehr heiß, so arbeitet man bis 10 oder 11 Uhr und muß bis 2 oder 3 Uhr unter Dach bleiben. In dieser Zeit ist es für einen Deutschen schwer auszuhalten. Im Winter ist es an einigen Tagen auch etwas rau, es hat auch schon zweimal während meines Hierseins Schnee gegeben, er hatte aber keine bleibende Stelle. Viele Winter gehen vorüber, ohne dass es Reif gibt, manchmal gefriert aber auch Eis. Am Tag ist es aber so warm wie bei Euch im Sommer. Das Beste ist aber, daß wir reine Luft und sehr gutes und gesundes Wasser haben, man kann so viel davon trinken, als man will bei der großen Hitze, ohne dass man Unwohligkeiten spürt. Die alltäglichen Kleider sind nicht kostspielig, die Mannspersonen gehen sozusagen in Hemd, Hosen und Pantoffeln, die Weibspersonen ebenfalls in einem leichten Rock. Da ich nun alle Gegenstände so ziemlich erwähnt habe, so will ich noch einige Worte über Kirche und Schule sagen. Wenn wir uns im Leiblichen betrachten, so müssen wir sagen, daß die, welche arbeiten wollen, an Lebensunterhalt keine Not haben. Aber in der Anschauung des Geistlichen und der Seele sieht es desto gefährlicher aus, es wird zwar Schule gehalten in allen Bigaden, aber sehr unterbrochen. Einmal hat der Lehrer keine Zeit, das andere Mal das Kind. Kaum hat die Schule ihren Anfang genommen, dann kommt die Pflanzzeit und so hört sie wieder auf. Was die Kinder in einem Monat lernen, vergessen sie in anderen wieder. So gern ich alles aufopferte, meine Kinder etwas lernen zu lassen, so reichen meine und manches Vaters Kräfte nicht, um dieses bewerkstelligen zu können. Es ist aber in dieser Hinsicht sehr traurig und wird es in der Zukunft noch mehr werden, wenn die alle hinweggestorben sind und der liebe Gott nicht Mittel schafft, daß diese kleine Herde erhalten bleibt. Jedoch der Glaube hält uns aufrecht, dass der, der uns bis hierher so wunderbar geleitet, uns auch nicht wird zu Grunde gehen lassen. In der Anschauung des Gottesdienstes ist es auch noch lange nicht vollkommen, denn manche Kolonisten haben 2 bis 4 Stunden zur Kirche zu gehen und daher wird diese sehr schlecht besucht. Es gibt noch vieles, welches dem Fortkommen des Christentums im Wege steht. Ich und mein Nachbar Scheid halten sonntags, wenn uns nichts Erhebliches im Wege steht, unsere Privatbetstunde. Nur zu diesem Zweck möchte ich ein schönes und zweckmäßiges Buch haben und auch ein schönes Gebetbuch, welches zum häuslichen Gottesdienst zweckmäßig ist. Du möchtest Dich also mit Sr. Hochehrwürden, Herrn Pfarrer Braun, über die gewünschten Werke besprechen. Wenn Du mir sie schicken könntest, würdest Du mir eine herzliche Freude machen, jedoch vorausgesetzt, daß sie Dir nicht zu teuer sind. Ich muß abbrechen, nur muß ich Dir noch eine Reihe von Colonisten nennen aus Eurer Nachbarschaft und aus Raversbeuren, wenn die Ihrigen nach ihnen fragen. Die Familien Barth und Faller sind so viel ich weiß noch gesund. Die Euch bekannten aus unserer Bigade sind die beiden Gebrüder Gewähr von Laufersweiler. Faller, Renner, Kleen und Kehl von Niederweiler, Wittib Schorn, Unfried und Diderich aus Burg. Wittib Glasmann und Dillenburger von Sohren, Weirich Peter und Weirich Nicolaus von Womrath, Heck und Becker von Lötzbeuren, welche aber 3 Stunden von uns wohnen und Arenhart von Briedel, der bei Unfried wohnt, Michael Heinz von Womrath, dessen Kinder alle verheiratet sind, Petrie von Sargenroth, Els von Sulzbach, Laner von Dillendorf. Alle diese Familien sind so viel ich weiß noch gesund. Wir sind noch alle gesund und auch die Familie meines Bruders. Noch bitte ich Dich, inliegenden Brief per Post an Jakob Scheid in Waldalgesheim bei Stromberg zu schicken. Meine lieben Geschwister, Sr. Hochwürden Herr Pfr. Braun, seine Frau Gemahlin sowie alle unsere Bekannten und Verwandten und Freunde nicht zu vergessen, namens meiner herzlich zu grüßen. Dich nebst den lieben Deinigen grüßet Deine Mutter und Geschwister, dann Dein Dir unbekannter Schwager, allermeist und besonders aber
Dein Dich ewig liebende Vater
Peter Tatsch