Intro
Begeben Sie sich auf eine faszinierende Zeitreise und erkunden Sie die Geschichte der Auswanderer aus der Pfalz und dem Hunsrück, die vor 200 Jahren den mutigen Schritt nach Brasilien wagten.
Im Jahr 2024 wird in Südbrasilien das Bicentenario begangen: Es erinnert an die Ankunft der ersten deutschen Einwanderer in Rio Grande do Sul vor 200 Jahren. Überschattet werden die Feierlichkeiten durch die schlimme Flutkatastrophe Anfang Mai 2024, die insbesondere in der Region um Porto Alegre zu einem Jahrhunderthochwasser führte.
1822 erklärte Brasilien seine Unabhängigkeit von Portugal. An der Spitze des Landes stand fortan Dom Pedro (Kaiser Peter I.), der Sohn des portugiesischen Königs. Zusammen mit seiner Ehefrau, der habsburgischen Erzherzogin Leopoldine, förderten beide die gezielte Anwerbung deutscher Einwanderer als Kolonisten. Viele Personen sind aus dem Hunsrück und der Westpfalz ausgewandert, meist ganze Familien. Sie mussten ihr Hab und Gut verkaufen, um die Reisekosten zu finanzieren. Wer zu arm war, dem bezahlten einige Gemeinden sogar die Auswanderung.
Die ersten deutschen Siedler erreichten am 25. Juli 1824 Rio Grande do Sul und gründeten die Gemeinde São Leopoldo. Solche Ansiedlungen bezeichneten die Zeitgenossen damals als Kolonie. Rio Grande do Sul ist das südlichste Bundesland Brasiliens und umfasst eine Fläche von 282.784 km² – damit ist es etwa 28 mal so groß wie Rheinland-Pfalz. Dort leben ca. 11,4 Millionen Einwohner, von denen rund drei Millionen deutschstämmige Vorfahren haben.
Noch heute bestehen Kontakte zwischen den Verwandten aus dem Hunsrück und Brasilien – oftmals wiederentdeckt oder wiederbelebt durch nachfolgende Generationen und deren Suche nach ihren Wurzeln.
Begeben Sie sich auf eine faszinierende Zeitreise und erkunden Sie die Geschichte der Auswanderer aus der Pfalz und dem Hunsrück, die vor 200 Jahren den mutigen Schritt nach Brasilien wagten.
Willkommen zur Ausstellung Neuland! Hier wirst du viel Spannendes über die Auswanderung von Pfälzer und Hunsrücker Familien nach Brasilien erfahren. 200 Jahre ist es her, seit sich die ersten Mutigen aus der alten Heimat ins Ungewisse aufgemacht haben!
Heute möchte ich dich zu einer Reise einladen, die uns nicht nur zu anderen Orten, sondern auch durch die Zeit führt. Ich möchte dir erzählen, welche Hoffnungen, Enttäuschungen, Sorgen und Ermutigungen die Menschen aus der Pfalz und dem Hunsrück forttrieben und nach Brasilien führten.
Die Tochter des Kaisers Franz (1768-1835) heiratete 1817 den portugiesischen Kronprinzen Pedro. Ab 1822 war sie daher die erste Kaiserin des unabhängigen Brasilien. Die Kolonie São Leopoldo trägt ihren Namen.
Der aus Franken stammende Geschäftsmann und Abenteurer Georg Anton v. Schaeffer gewann das Vertrauen des jungen Kaiserpaares und begann als brasilianischer Geschäftsträger in Hamburg mit der systematischen Anwerbung deutscher Siedler. Ziel dieser Politik war vor allem die Erschließung und Sicherung des südlichen Landesteils, wo ein Krieg mit spanischen Kolonisten bevorstand, denn das heutige Uruguay gehörte bis zur Erkämpfung der Unabhängigkeit 1830 zum Kaiserreich Brasilien.
Schaeffers Aktivitäten erregten in Deutschland Aufsehen und wurden teilweise scharf angegriffen. Das Großherzogtum Hessen untersagte 1826 die Auswanderung nach Brasilien.
Die realen Umstände der Reise entsprachen nicht immer den vertraglichen Vereinbarungen. An Bord der „Germania“ sollen sieben Personen wegen Meuterei hingerichtet worden sein.
Vor Johann Nicolaus Peter Beckendorff, Notar der freien, Hansestadt Hamburg, waren gegenwärtig S. E. Herr Major und Ritter pp Georg Anton von Schaeffer, wohnhaft bey dem Herrn Ehrenpfort in der Vorstadt St. Georg auf dem Steindamm No. 209, als Befrachter an einem – und der Kauffardey -Kapitän Hans Voss, führend das jetzt im hiesigen Hafen liegende Hamburger Schiff Germania genannt, ungefähr ein hundert dreißig Kommerz Lasten groß, als Verfrachter am andern Theile; welche erklärten: daß sie durch Unterhandlung des hiesigen beeidigten Schiffsmaklers, Herrn Friedrich Brödermann, über die Be- und Verfrachtung des besagten Schiffs von Hamburg nach Rio de Janeiro auf folgende Bedingungen mit einander kontrahirt und geschlossen hätten, nämlich: Mehr anzeigen
§1 Der Kapitän Hans Voss ist verpflichtet sein Schiff bis zum dritten des nächstkommenden May Monats dieses Jahres in segelbaren Stande und mit den gehörigen Schlafstellen versehen, bereit zu halten, und eine Anzahl von ungefähr zwey hundert und fünfzig Kolonisten in daßselbe einzunehmen, und solches zu einem solchen Zweck, dicht, hecht [=seetüchtig], gut kalfatert [=mit Pech abgedichtet] und mit allen zu der bestimmten Reise erforderlichen Nothwendigkeiten, besonders mit dem behörigen Hamburger See-Paße, wohl ausgerüstet, zur freien und alleinigen Disposition des Herrn Befrachters zu liefern.
§2 Der Herr Befrachter verbindet sich seinerseits, in das gedachte Schiff, am gedachten dritten May eine Anzahl von ungefähr zwey hundert und funfzig Kolonisten, worunter jedoch nur zwanzig Kinder unter sechs Jahren, und zwanzig Kinder von sechs bis zwölf Jahren seyn dürfen, hieselbst oder auf der Elbe zu verschiffen, womit der / Kapitän nach erhaltener Abfertigung sogleich mit erstem guten Wind und Wetter unter Segel gehen und seine Reise directe nach Rio de Janeiro befördern muß.
§3 Die bedungene Fracht ist zwey und vierzig Spanische Thaler für jeden erwachsenen Kolonisten und ein und zwanzig Spanische Thaler für jedes Kind, von sechs bis zwölf Jahren (Kinder unter sechs Jahren bezahlen nichts), für welche oben besagte Fracht – von welcher die Hälfte alhier vor Abgang des Schiffs, und die andere Hälfte in Wechsel auf die Kaiserlich Brasilianische Regierung in Rio de Janeiro unter Garantie des Herrn Majors von Schaeffer bezahlt wird – der Kapitän verbunden ist, die Kolonisten und deren Kinder nach Rio de Janeiro überzufahren und sie mit Eßen und Trinken, wie solches in folgenden Paragraphen angegeben werden wird, während der Reise zu versorgen.
§4 Der Kapitän ist verpflichtet die Kolonisten im Zwischen-Deck zu placiren und deßhalb die benöthigten Kojen oder Schlafstellen dazu einrichten zu laßen, jedoch müßen dieselben sich mit dem benöthigten Bettzeuge selbst versehen. Dieselben erhalten zu ihrer Equipirung und zu ihrem Unterhalt des Morgens Thee, zum Mittag alßdan Speck oder gesalzenes Fleisch oder Stockfische mit Erbsen, Kartoffeln, Grütze oder andere Hülsenfrüchte, sowie zweymahl in der Woche Mehlspeise, so wie ein Pfund Butter auf den Kopf die Woche, Brod so viel sie verlangen und mitunter etwas Brandtwein, als denn auch bey eintretender Krankheit, dem Kranken Wein gereicht wird.
§5 Der Kapitän ist verpflichtet drey bis fünf Kajüts Paßagiere / in der Kajüte mitzunehmen, welche mit ihm an seinem Tische speisen, und wofür derselbe, außer der vorbesagten Fracht von zwey und vierzig Spanischen Thalern die Person, annoch eine Gratification von zwey hundert Stück Spanischen Thalern im Ganzen, oder ein Douceur vom nemlichen Werthe, erhält.
§6 Die Kleidungsstücke und sonstigen Geräthschaften der mitgehenden Kolonisten bezahlen keine Fracht, sollten die Kolonisten aber Güter zu verladen haben so wird die laufende Fracht dafür bezahlt.
§7 Der Herr Befrachter garantirt dem Kapitän freie Hafenkosten in Rio de Janeiro. Zur Erfüllung alles Vorbeschriebenen verpflichten sich die Partheyen gegen einander wechselseitig; insonderheit verbindet der Herr Befrachter seine Person samt Güter soviel daran dazu vonnöthen, und der Kapitän gleichfalls seine Person so wie sein Schiff und Fracht, und unterwerfen solches alles den Rechten und Gebräuchen der See. Auf Treue und Glauben. Worüber Urkunde. So geschehen und volzogen zu Hamburg im Notariat Geschäftszimmer am acht- und zwanzigsten April eintausend achthundert vier und zwanzig und haben die Herren Kontrahenten dazu von mir, Notar, darüber errichtete und in meinem Gewahrsam verbliebene Original Chartepartie nach geschehener Vorlesung mit mir unterzeichnet.
Chev. G.A. de Schaeffer
Hans Voss
Beckendorff.
(Der Vertrag befindet sich im Staatsarchiv Hamburg) Weniger anzeigen
Die Germania verließ Glückstadt (Elbmündung) am 3. Juni 1824 und erreichte am 14. September 1824 Rio de Janeiro.
Verschiedene Motive trugen dazu bei, dass viele Deutsche ihre Heimat verließen und auswanderten. Im Hunsrück spielte die Auswanderung aus politischen Gründen, die vor allem nach der Revolution 1848 einsetzte, keine Rolle. Zahlreiche Gesuche auswanderungswilliger Hunsrücker zeigen, dass hauptsächlich wirtschaftliche Gründe zum Tragen kamen. Der gesamte Hunsrück war industriell stark unterentwickelt und zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist die Bevölkerung vergleichsweise stark angewachsen. Zudem führte das Realerbteilungsrecht, bei dem das Land gleichmäßig auf alle Erben verteilt wurde, zu einer starken Zersplitterung und Verringerung des jeweiligen Landbesitzes. Viele Kleinbauern mussten deshalb zusätzlich als Tagelöhner oder Handwerker tätig sein, um die Familie zu ernähren.
Der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im April 1815 löste in weiten Teilen Europas ungewöhnlich starke Kälteperioden, Unwetter und Überschwemmungen aus und führte für mehrere Jahre zu Missernten, Preissteigerungen und Hungersnöten. Das erste Jahr nach dem Ausbruch 1816 ging als „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte ein. Auch in den Jahren 1845 und 1846 verschärften Missernten die ohnehin schon prekäre Situation der ländlichen Bevölkerung. Es fehlten Perspektiven für die Zukunft, die man im „Neuland“ Brasilien zu finden glaubte.
Im Hunsrück waren, wie in anderen Regionen, Agenten zur Anwerbung von Siedlern aktiv. Die Siedler sollten in Südbrasilien eigene, großflächige Ländereien, Vieh, finanzielle Unterstützung in den ersten beiden Jahren sowie Steuerfreiheit für zehn Jahre erhalten.
Erfahren Sie von den bewegenden Schicksalen der Menschen im Hunsrück und der Pfalz des 19. Jahrhunderts, die nicht aus Fernweh, sondern aus bitterer Not ihre Heimat verließen.
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn, Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, Kennst du es wohl? Dahin! Dahin Möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!
Johann Wolfgang von Goethe schrieb dieses schöne Gedicht Ende des 18. Jahrhunderts, um der Sehnsucht nach Italien Ausdruck zu verleihen. Damals zog es viele junge Bürger und Adelige in den sonnigen Süden.
Doch was, wenn nicht das Fernweh, sondern die Notwendigkeit zum Aufbruch treibt? Wenn die Große Reise eine Fahrt ohne Wiederkehr ist, wenn man alles zurücklässt? Die vertrauten Gesichter von Freunden und Verwandten, den Geruch der Guten Stube, den schwieligen Händedruck des Großvaters, den Grund und Boden, auf dem die Familie jahrhundertelang lebte… Und das, ohne das Ankunftsland je gesehen zu haben?
In dieser Situation war ein großer Teil der ländlichen Bevölkerung in Pfalz und Hunsrück im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts.
Doch wie war das eigentlich um 1824 in Pfalz und Hunsrück und warum trieb es plötzlich so viele von dort weg?
Die Regionen waren Anfang des 19. Jahrhunderts weitestgehend abgehängt. Von der Industrialisierung profitierte dort kaum jemand. Im Gegenteil, einige der traditionellen Einkommensquellen versiegten nach und nach fast vollständig.
Der einzige Reichtum der Bauern und Landarbeiter in den armen Gebieten war Kinderreichtum. Traurigerweise war die Kindersterblichkeit über Jahrhunderte enorm hoch. Besonders gefährdet waren die Nachkommen ärmerer Familien. Das änderte sich jetzt durch ein besseres Hygieneverständnis in der Medizin, das Voranschreiten der Kinderheilkunde und den Ausbau flächendeckender Impfungen. Eine wundervolle Entwicklung, die aber auch dafür sorgte, dass die Familien immer größer wurden.
Das Leben in den ländlichen Provinzen war von harter Arbeit und Entbehrungen geprägt. Unwetter, Missernten, Schädlingsplagen oder die Kartoffelfäule konnten ganze Existenzen vernichten. All das übte einen so immensen Druck auf die Menschen aus, dass sie ihr Glück in der Ferne suchten.
Doch warum gerade Brasilien? Ein faszinierendes Land, sicher, aber auch so fern, so fremd, mit einer anderen Sprache, anderem Klima, völlig fremden Sitten und Gebräuchen… Nun, 1822 erlangte Brasilien die Unabhängigkeit. Der Kaiser und die Kaiserin des jungen Staates warben aktiv um Kolonisten.
Eine Ansiedlungsurkunde des Brasilianischen Konsulats vom 19. Januar 1828 dokumentierte große Versprechen.
Laut dieser Urkunde sollten den Familien je nach Größe vier- bis sechshundert Morgen Land als Eigentum zugewiesen werden, teils in Form von Wiesen und Ackerland, teils in Form von Waldungen.
Zusätzlich sollte man, je nach Familiengröße, unentgeltlich Pferde, Kühe, Ochsen, Schafe, Schweine und Hühner erhalten.
Als Startkapital versprach man den Neuankömmlingen für das erste Jahr ein festes tägliches Taschengeld, das im zweiten Jahr immerhin in halber Höhe weiter ausgezahlt werden sollte.
Außerdem, so stand es in der Urkunde, bleibe man als Siedler die ersten zehn Jahre frei von Abgaben und dürfe nicht zu Frondiensten herangezogen werden.
All das klang nach einem Ausweg aus der drückenden Not und nach einer Möglichkeit, auch den Nachkommen eine gute Zukunft zu sichern. So wagten viele den Start ins Ungewisse.
Für Abenteurer war es vielleicht sowas wie ein Ausbruch aus einem Gefängnis, ein Schritt ins verlockende Neue. Für andere war es beängstigend, überwältigend und ein Weg voller Zweifel und Hadern. Vor allem aber war es für viele eine Reise ohne Wiederkehr. Die Reisekosten variierten je nach Schifffahrtsgesellschaft, aber hoch waren sie immer. Um die Überfahrt zu finanzieren war es für viele Familien nötig, ihr Hab und Gut zu verkaufen.
Vom Hunsrück aus ging es mit dem Fuhrwerk oder zu Fuß an den Rhein und von dort zu den Hafenstädten zur Einschiffung auf das Segelschiff. Erreichte man Brasilien, wurden die Siedler und Soldaten zu den Küstenstädten in Santa Catarina und Rio Grande do Sul gebracht. Erst dort wurden ihnen dann die einzelnen Parzellen in den Kolonien im Landesinneren zugeteilt. Mehr anzeigen
Der Reiseweg vom Heimatort bis zur Kolonie in Südbrasilien dauerte bis zu sechs Monate, manchmal auch länger, und war gefährlich. Viele Auswanderer schreiben ihren Verwandten kurz vor der Einschiffung, dass sie den Hafen lebend erreicht haben. Erkrankten wurde der Zutritt zum Schiff verwehrt, im Falle erkrankter Kinder sogar der ganzen Familie. Anderen wurde der Zutritt aufgrund fehlender oder ungültiger Papiere verweigert und sie blieben nahezu mittel- und heimatlos zurück.
Die Seereise selbst barg das größte Risiko, denn nicht jedes Schiff erreichte sein Ziel. Die Überfahrt dauerte ca. zehn Wochen, in denen man wenig Platz, kaum Privatsphäre und schlechten Proviant hatte. Nicht selten kam es zu Krankheitsausbrüchen, Gewalt und Todesfällen.
Johann Peter Tatsch, der 1827 mit seiner Frau und sechs Kindern auswanderte, verließ am 29. Mai des Jahres seine Heimat Raversbeuren, legte Ende Juni in Amsterdam zur Überfahrt ab und erreichte die Kolonie Novo Hamburgo über Rio de Janeiro und Porto Alegre erst am 15. Dezember – ein halbes Jahr später. Weniger anzeigen
Eine beschwerliche Reise von über 10.000 Kilometern führte die Auswanderer zu Fuß zum Rhein und dann per Segelschiff nach Brasilien - viele erreichten ihr Ziel nie.
Der Weg nach Brasilien war lang und beschwerlich. Erst einmal machte man sich mit dem Leiterwagen zu Fuß auf zu einer tagelangen Reise zum Rhein und gelangte von dort nach Amsterdam, Bremen oder Hamburg. Dort schiffte man schon völlig erschöpft nach Rio de Janeiro ein. Bis das Schiff den Hafen von Rio erreichte, war man monatelang unterwegs. Die Glücklichen, die die Strapazen der Reise überlebt hatten, wurden mit kleineren Schiffen nach São Leopoldo gebracht. Von den beengten Verhältnissen auf den Auswandererschiffen und den Beschwernissen der Überfahrt kann man sich heute kaum noch ein Bild machen. Die ersten Schiffe, mit denen sich unsere Reisenden auf den langen Seeweg von über 10.000 Kilometern machten, waren noch Segelschiffe. Man war den Elementen ausgeliefert, wurde von hohen Sturmwogen umhergeschleudert oder dümpelte bei Flauten tagelang vor sich hin.
Es gab auch damals schon Luxusschifffahrten. Prinzessin Leopoldine von Österreich, die spätere Kaiserin Brasiliens, berichtete von allerlei Annehmlichkeiten inklusive Äquatortaufe während ihrer Überfahrt.
Viel anstrengender ging es bei den weniger betuchten Passagieren zu: Im Schiffsbauch drängte man sich in den spartanischen Kajüten, die Kojen waren dicht neben- und übereinander angebracht. Die bleierne Länge der Zeit versuchte man mit Musik, Kartenspielen oder Plaudern totzuschlagen. Auf manchen Überfahrten ging der Proviant aus und die Menschen verhungerten qualvoll unter Deck. Doch nicht nur die viel zu geringe Menge an Nahrung, auch ihre miserable Qualität sorgte dafür, dass viele Reisende immer kränker und schwächer wurden: Verschmutztes Trinkwasser, Schimmel im Brot, faulige Kartoffeln – die Liste ist lang! Die Enge förderte zusätzlich das schnelle Ausbreiten von Krankheiten. Im Jahre 1827 stach das holländische Auswandererschiff Epaminondas von Amsterdam Richtung Rio de Janeiro in See. 48 Personen hatten die Reise nicht überlebt. Ein Teil starb schon auf dem Weg nach Amsterdam, die Schiffspassage forderte weitere Todesopfer. Listen von der Überfahrt zeigen, dass besonders Ältere und kleine Kinder hingerafft wurden. Michael Burckhard aus dem Hunsrücker Ort Kirchberg war Passagier der Epaminondas, seine Frau war während der zehrenden Reise schwanger. Sein Resümee: „(…) doch fällt mir hier beständig das Sprichwort ein: bleibe im Lande und nähre dich redlich, und hätte ich es noch einmal zu thun, so würde ich auch nicht mehr fortreisen.“
Erzherzogin Leopoldine schiffte sich am 15. August 1817 in Livorno auf der João VI ein und erreichte am 5. November Rio de Janeiro. Wilhelm v. Grandjean, Sekretär des mitreisenden Botschafters auf dem Begleitschiff São Sebastião, hielt seine Eindrücke in einem Reisetagebuch fest:
Mit unbezähmbarer Wuth ließ [der Wind] diesen Morgen Alles um sich zittern. […] Das Gewimmel der Matrosen auf den Strickleitern, das Getöse des Windes, der endlich so stark wurde, daß man die Stimme der kommandirenden Officiere nicht mehr vernehmen konnte und sie gezwungen waren, das Commando durch Sprachrohre fortzusetzen, gab der Sache eine so ernsthafte Wendung, daß man dem Begriffe von einem Sturm wirklich näher rückte. Mehr anzeigen
[…] Man sah itzt nichts als Gebirge auf dem Wasser, wovon einige in sich zusammenstürzten, andere an ihrer Stelle wieder erstanden, im Kampfe unter sich selbst einander aufrieben und oft ächzend ein Thal bildeten, in welches man sich gleichsam zu versenken schien. Bald lag das Schiff auf der einen Seite, bald neigte es sich zum Empfang einer aufgethürmten Welle auf die andere. Bald wurde man vorn, bald hinten gehoben. Alles unterlag der schwankenden Bewegung. Beim Essen wurden die Stühle am Tische mit ihrer darauf befindlichen Last davongetrieben. Speisen ergossen sich aus größeren Schüsseln ohne Rücksicht auf ihren Werth. Gläser und Flaschen suchten sich im Laufe zu üben. Weniger anzeigen
Nichts was ich bisher gesehen habe, lässt sich mit der Schönheit dieser Bucht vergleichen. Neapel, der Firth of Forth, der Hafen von Bombay und Trincomali [Sri Lanka], deren Schönheit ich in ihrer Art für vollkommen hielt, sie alle müssen dieser Bucht […] huldigen. Hohe Gebirge, Felsen wie aufeinander gestülpte Säulen, üppige Wälder, Inseln mit leuchtenden Blumen, saftgrüne Ufer, überall hervorlugende weiße Gebäude, auf jedem kleinen Hügel eine Kirche oder Festung, vor Anker liegende Schiffe und zahllose Boote, die sich in einem köstlichen Klima bewegen; alles das trifft hier zusammen, um aus Rio de Janeiro das berückendste Schauspiel zu machen, das man sich vorstellen kann.
In den ersten Jahren der deutschen Einwanderung wurden die Neuankömmlinge im Hafen von Rio durch das Kaiserpaar persönlich begrüßt.
Dom Pedro und seine Gemahlin ließen nicht lange auf sich warten, sondern kamen bald darauf im Gefolge einiger Generalen und Kammerherrn an Bord. Mehr anzeigen
Der Kaiser, obgleich nicht schön, hat ein gefälliges Äußere […]. Ein weißer, runder Hut, ein buntseidenes Halstuch nach Art der Matrosen nachlässig um den Hals geworfen und auf der Brust geknotet, ein brauner Oberrock von leichtem Sommerzeuge; ein paar weiße Beinkleider und Stiefel mit silbernen Sporen vollendeten den einfachen Anzug dieses Beherrschers eines der größten Reiche der Erde.
In seiner Gemahlin konnte man auf den ersten Blick die Habsburgerin erkennen. […] Ein runder Mannshut, Beinkleider nach Art der Männer, eine Tunica, über diese ein Amazonenkleid und Reiterstiefel mit dicken, massiven silbernen Sporen geben ihr ein männliches Ansehen […]. Ihren hochrothen Teint schrieben Einige dem Klima zu, Andere aber meinten, daß er nicht allein vom Quellwasser herrühre. […]
Der Kaiser betrachtete mit sichtbarem Wohlgefallen die Ankömmlinge, hauptsächlich gefielen ihm Leute von ausgezeichneter Länge, zu deren Größebestimmung er keinen Anstand nahm, seine kaiserliche Person zum Maßstab zu gebrauchen […]. Wollte er sich mit dem Einen oder dem Andern in ein Gespräch einlassen, so rief er seine Gemahlin mit den Worten: Senhora, faz o favor (Madame, seyen Sie so gut […]), und ersuchte sie, den Dolmetscher zu machen. Die Letztere hat ganz die Wiener Mundart.
Auch bei dieser Gelegenheit hatte die Kaiserin Gelegenheit, dem Zuge ihres edlen Herzens zu folgen. Unter den Colonistenkindern befand sich ein kleines, recht artiges Mädchen von ungefähr vier Jahren. Dieses Kind gefiel ihr besonders: sie nahm es sogleich mit mütterlicher Liebe auf und versprach, es mit ihren eigenen Kindern erziehen zu lassen. Sie hat Wort gehalten und nur ihr frühzeitiger Tod hat sie verhindert, das Lebensglück dieses Kindes noch fester zu begründen.
(Wechselbilder […] einer Fahrt nach Brasilien […] in den Jahren 1825 bis 1834, Hamburg 1836.) Weniger anzeigen
In São Leopoldo erwartete die Neuankömmlinge statt des versprochenen Paradieses dichter Urwald. In diese Phase fällt auch eines der dunkelsten Kapitel der Einwanderung: Das Land, das versprochen wurde, war keineswegs unbewohnt!
Die Auswanderer aus dem Hunsrück und der Pfalz siedelten sich im Gebiet Rio Grande do Sul an. In der Nähe von Porto Alegre, der Provinzhauptstadt, liegt das kleine Städtchen São Leopoldo, benannt nach Kaiserin Leopoldine, von deren luxuriöser Überfahrt ich vorhin schon berichtet habe. São Leopoldo und sein Umland wurden zum Zentrum der deutschen Aussiedlung.
Vor Ort sah es für die ersten Neuankömmlinge gar nicht rosig aus: Das zugesicherte Land war dichtbewachsener Urwald, der gerodet werden musste. Kleine, notdürftige Hütten wurden zum Behelf hochgezogen. Die Siedler waren komplett auf sich gestellt. Infrastrukturen wie Straßen, Transport, Bildungseinrichtungen und medizinische Versorgung mussten erst geschaffen werden.
In diese Phase fällt auch eines der dunkelsten Kapitel der Einwanderung: Das Land, das versprochen wurde, war keineswegs unbewohnt! Neben einer unendlichen Vielfalt von Tieren und Pflanzen lebten hier indigene Völker. Diese Menschen wurden von den Siedlern mehr und mehr zurückgedrängt. Immer wieder kam es zu blutigen Auseinandersetzungen.
Viele der Neuankömmlinge hatten den Eindruck, dass sie vom Regen in die Traufe geraten waren. Auch hier haben die Stimmen der Menschen die langen Jahre in Briefen überdauert und geben Zeugnis von der Verzweiflung, Sorge und Verbitterung der Neuankömmlinge. Lassen wir nochmals unseren alten Bekannten Michael Burckhard zu Wort kommen! Ernüchtert fasst er seinen ersten Eindruck von Brasilien in einem Brief in die Heimat zusammen: „Was man nach Deutschland so schönes aus diesem Lande geschrieben hat, sind lauter Lügen(…)“
Wie in allen Regionen weltweit gibt es einen Unterschied zwischen städtischer und ländlicher Besiedlung. In den städtischen Zentren um Porto Alegre ließen sich vor allem Kaufleute, Handwerker, Journalisten und Beamte nieder und zwischen den neuen Einwanderern entwickelte sich rasch ein florierendes Leben und Gewerbe.
Die Siedler waren als Selbstversorger in Landwirtschaft und Viehzucht sowie im Handwerk tätig. Sie machten den Wald urbar und errichteten einfache Unterkünfte, die nach und nach gezimmerten Häusern wichen. Wenn das Holz trocken war, wurde der Wald angezündet, um Agrarfläche zu schaffen. Danach musste der Boden mit der Hacke aufgelockert und eingesät werden. Neben Kartoffeln pflanzten sie Getreide und Kürbis an sowie einheimische Gewächse wie Reis, Zuckerrohr, Maniok und schwarze und weiße Bohnen. Sie ernteten außerdem z. B. Lorakirschen, Limonen, Zitronen, Pfirsiche und Melonen. Viele waren stolz auf das, was sie hier im Vergleich zu ihrem alten Leben im Hunsrück erreicht hatten. Trotz hoher Geburtenraten und Familien mit vielen Kindern gab es keine Probleme bei deren Versorgung.
Zwischen den Ländereien schlugen die Siedler:innen Schneisen durch den Wald für Straßen und Kommunikationswege – sogenannte „Picadas“ – die sich in den Namen der Siedlungen wiederspiegelten, wie „Picada Café“ (Kaffeeschneis) und „Picada dos Baum“ (Baumschneis). Die ersten gemeinschaftlich genutzten Gebäude waren Schulen und Kirchen, zu Anfang im selben Gebäude.
Vom provisorischen Leben im Urwald entwickelten sich die deutschen Kolonien langsam zu blühenden Ortschaften - trotz aller Herausforderungen und Bürgerkriegswirren.
Mit der Zeit entwickelten sich die Siedlungen in den deutschen Kolonien zu ansehnlichen Orten. Man legte Straßen an, gründete Geschäfte, die Landwirtschaft und der Handel nahmen langsam Fahrt auf. Ruhig wurde es deswegen noch lange nicht! Durch den Bürgerkrieg kam es in Brasilien zwischen 1893 und 1895 immer wieder zu Kämpfen, die auch das Leben der Siedler auf den Kopf stellten. Aber hören wir doch auch hier wieder jemandem zu, der all das miterlebt hatte. Adam Claas schrieb am 27. Januar 1895 einen Brief nach Deutschland:
Nun will ich dir auch schreiben wie es uns in der Revolution gegangen hat, wir sind noch Gott sei Dank mit heiler Haut davongekommen. Wenn uns die Gefahr gedroht hat, dann haben wir Kisten und Kasten aufgepackt und sind in den Wald geflüchtet. (…)
Voriges Jahr am 10. Februar 1894 wurde Santa Cruz gestürmt. Morgens um 4 Uhr ward die ganze Stadt umstellt, da sollten alle Beamten getötet werden. Zwei von den Obersten waren so nahe dran dass sie nicht einmal Zeit hatten sich anzukleiden, und sie mussten sogar mit den Unterhosen das Haus verlassen. (…) Da plünderten die Aufständigen 3 Tage lang in der Stadt.
Die Orte waren anfangs noch sehr bescheiden, die vielen Kinder der Einwandererfamilien wurden erst in der Kirche oder in kleinen Gebäuden neben der Kirche unterrichtet, oft alle Jahrgänge in einem Raum. Vieles im Alltag lief anfangs mühevoll und provisorisch, aber nach und nach kehrten Annehmlichkeiten ein. Die Orte wuchsen weiter, die Gebäude wurden großzügiger, die Infrastruktur immer besser. Was für ein Unterschied zu den ersten notdürftigen Unterkünften mitten im Urwald!
Auch darüber berichtete Adam Claas, diesmal in einem Brief vom 17. Februar 1895:
Unsere Pikade Rio Pardinho zieht sich in die Länge von acht Stunden, darin stehen acht Geschäftshäuser, die kaufen alle unsere Produkte, da kaufen wir unsere Waren, und vier Wassermühlen, zwei Bierbrauereien und vier Sägemühlen, sechs Branntweinbrennereien und zwei Ziegeleien, die Ziegel werden mit Holz gebrannt, und fünf Schulen, zwei Evangelische und eine Katholische Kirche.
Wir haben letztes Jahr auch Glocken in unseren Kirchturm bekommen. Den 18. April 1894 hatten wir Glockenweihfest, drei Kirchen hätten die Menschenmenge nicht fassen können die zugegen waren. (…)
Die brasilianische Regierung warb mit großzügigen finanziellen Angeboten um Einwanderer aus Deutschland. Im Vergleich zu den bisherigen Lebensverhältnissen schien die Überfahrt verlockend.
Vom Kaiserlich-Brasilianischen Consulate in der freyen und Hansestadt Bremen wird in Gemäßheit einer Mittheilung des Kaiserlich-Brasilianischen Reichskanzlers und Ministers der Colonisation Monsenhor de Miranda allen Familien und einzelnen Personen, die nach Brasilien zu reisen wünschen, die Versicherung ertheilt, daß sie, wenn sie sich von hier aus einschiffen, und die vorschriftsmäßigen Bedingungen erfüllen, die einer gehörigen Legitimation und einzuzahlendem Passagegelde von Hundert Zwanzig Gulden Rheinisch, oder Zwölfeinhalb Stück Louis d’Or, für jeden Kopf über Zwölf Jahren, und Sechszig Gulden Rheinisch oder Sechs einviertel Stück Louis d’Or für jeden Kopf zwischen sechs und zwölf Jahren, Kinder unter Sechs Jahre sind frei, bestehen, als Kaiserlich-Brasilianischer Bürger auf- und angenommen, und daß ihnen alle von der Kaiserlich-Brasilianischen Regierung den deutschen Colonisten allergnädigst bewilligten Begünstigungen, die wie folgt, bestimmt sind, zugestanden werden sollen, als ... Mehr anzeigen
Land: Nach Größe der Familie erhalten sie vier bis sechshundert Morgen und darüber theils Wiesen und Ackerland, theils Waldung, als freies Eigenthum
Vieh: Ebenfalls nach Größe der Familie: Pferde, Kühe, Ochsen, Schaafe, Schweine, Hüner etc. unentgeltlich und als freyes Eigenthum
Unterhalt: Das erste Jahr täglich einen Franken pro Kopf und das zweite Jahr die Hälfte
Abgaben: Während der ersten zehn Jahre sind sie Abgabenfrei, sowohl von ihren Einkünften, als auch von Frohndiensten.
Es ist noch zu bemerken, daß, wie oben gesagt, die Colonisten alles unentgeltlich und als freyes Eigenthum erhalten, doch dürfen sie während er ersten zehn Jahre nichts davon veräußern, nach Verlauf dieser zehn Jahre kann ein Jeder damit schalten und walten wie er will, und dann betragen die Grundesabgaben an die Regierung ein Zehntel des Ertrags. Zur Vermeidung von Nachtheilen wird nochmals bemerkt, dass nur von hier aus Schiffe nach Brasilien expedirt werden, wodurch die Colonisten sich obige Rechte sichern, und daß in Rio de Janeiro auf keine, die von anderen Plätzen kommen, Rücksicht genommen werden kann.
Bremen, den 19. Januar 1828
In Abwesenheit des Kaiserlich-Brasilianischen Vice-Consuls
Herrn Ludwig-Friedrich Kalkmann
C.W. Meyser
Substituirter Vice-Consul
NB. Diese Urkunde wird vorläufig gratis verabreicht, bey Vorzeigung hier aber müssen für Stempel und Certifications Gebühren zwey Gulden Rheinisch erstattet werden. Weniger anzeigen
Briefe waren die einzige Möglichkeit, mit den daheimgebliebenen bzw. ausgewanderten Familienangehörigen in Kontakt zu bleiben. Ein Brief war zwischen sechs und zwölf Monaten unterwegs und nicht alle Schreiben erreichten die brasilianische Kolonie oder den Hunsrück. Mehr anzeigen
Durch die Briefe konnten die zurückgeblieben Verwandten in der Heimat erfahren, wie es den Auswanderern in der Kolonie in Brasilien erging, wie sich der Arbeitsalltag dort gestaltete – was wurde angebaut, was und wie oft wurde geerntet – und wie sich die Familien entwickelten. Die Rede ist von Hochzeiten, Kindern, Berufen und Erfolgen sowohl von der eigenen als auch von anderen Familien, die aus z. B. benachbarten Dörfern ausgewandert sind. Die Siedler blieben also auch untereinander in engem Austausch.
Aus vielen Briefen spricht auch eine tiefe Sehnsucht nach der alten Heimat und die damit verbundene Wehmut, Familienmitglieder zurückgelassen zu haben. Aber auch die Dagebliebenen erinnern immer wieder den Moment des Abschieds und berichten vom Dorfleben. Briefwechsel innerhalb einer Familie gibt es zum Teil über viele Jahrzehnte bis hin zu Jahrhunderten und riss der Kontakt einmal ab, wurde in manchen Fällen von Nachkommen wieder neuer Kontakt hergestellt. Weniger anzeigen
Die ersten Siedler wussten vor ihrer Abreise relativ wenig über Brasilien. Umfassende Kenntnisse zu Land, Natur und Menschen publizierte erstmals Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied.
Maximilian zu Wied (1782–1867) war ein deutscher Forschungsreisender, Ethnologe und Naturforscher. 1815 bis 1817 führte er gemeinsam mit anderen Forschern eine Expedition nach Brasilien durch und dokumentierte die Natur und die Lebenswelt der indigenen Völker. Bereits 1820 und 1821 publizierte er seine Ergebnisse in zwei Bänden mit Zeichnungen und Kupferstichen.
In Rio Grande do Sul lebten zahlreiche indigene Gesellschaften. Auch die Region um die neue deutsche Siedlung São Leopoldo war bewohnt, lange bevor sich die deutschen Siedler niederließen. Das belegen die zahlreichen Funde von Keramik, Pfeifen, Steinäxten und Pfeilspitzen. Die Indigenen unterstützen insbesondere in der Anfangsphase bei der Bewirtschaftung des Bodens und gaben nützliche Hinweise zu Naturphänomenen sowie zur Tierwelt. Da sich die Kolonien immer weiter in den Urwald ausbreiteten und in den Lebensraum der indigenen Bevölkerung eindrangen, den sie nun für sich beanspruchten, kam es auch zu Auseinandersetzungen.
In den ersten zehn Jahren der Einwanderung gelangten etwa 7.000 bis 10.000 Deutsche über São Leopoldo in die Region Rio Grande do Sul. Ihre Erfahrungen waren offenbar sehr unterschiedlich.
Man hat zwar den zuerst ankommenden Colonisten in so fern die gemachten Versprechungen gehalten, daß man ihnen regelmäßig die ausgeworfenen Subsidien während der zwei ersten Jahre […] zahlte und ihnen die Plantagen […] auf dem Campo (freien Felde) nebst Waldung anwies, auch ihnen eine festgesetzte Stückzahl Vieh lieferte; da indeß auch hier die Strenge des Klima‘s die Kultur des Kaffees, des Hauptreichthums der brasilischen Pflanzenwelt, und der edleren Gewächse Brasiliens, nicht gestattet, so müssen sie sich auf den Anbau von Mais, woraus die Deutschen ihr Brod backen, einer Art kleiner Bohnen (feixão); das vorzüglichste Nahrungsmittel der Brasilier, Maniock, woraus das bekannte Mehl (Farinha) bereitet wird, auf Reis, Taback, Kartoffeln, Melonen und Orangen beschränken; auch gedeihen fast alle Arten deutscher Gartengemüse. Federvieh ist in Menge vorhanden, und an Hornvieh ein Überfluß. Mehr anzeigen
Diesen Colonisten, die auf dem Campo […] wohnen, geht es auch so ziemlich gut, da sie bis jetzt von Abgaben und Steuern nichts wissen, und ihre Produkte leicht nach Porto Alegre verschiffen, und dort absetzen können. […]
Desto bedauernswerther ist das Schicksal der später angekommenen Colonisten, denen man die Plantagen in den Urwäldern (mattos virgens) anzeigte, die noch häufig von umherstreifenden Wilden, hier Boucres genannt, heimgesucht werden, und wo jede Handbreit Land zur Urbarmachung erst mit der Axt dem fast eisenharten Holz abgerungen werden muß. […] Während meiner einjährigen Anwesenheit auf dieser Colonie wurden diese Urwalds-Colonisten verschiedene Male von jenen Wilden überfallen, und mehrere Familien das Opfer dieser mörderischen Überfälle. Weniger anzeigen
Ganz anders erlebte Wilhelm Stricker zwei Jahrzehnte später seiner Ankunft in Brasilien.
Die Ansiedlung Sao Leopoldo in der Provinz Rio Grande do Sul (großer Fluß des Südens), am Sinosflusse, […] liegt in einer Ebene von ungefähr anderthalb geographischen Meilen im Umfange, von waldbedeckten Bergen umgeben, durch welche die Deutschen mit großer Anstrengung Wege gebahnt haben. […] Mehr anzeigen
Die Stadt S. Leopoldo gleicht einem deutschen Dorfe. An einer langen, mit Fußsteigen versehenen aber ungepflasterten Straße liegen die wohlgebauten einstöckigen Wohnhäuser, meistens Schenken, Werkstätten und Kaufläden, einige sogar mit Glasfenstern, die noch eine Seltenheit mit einem Kalkbewurf und mit Ziegeldächern ausstaffirt. Die meiste Pflanzennahrung der Bewohner von Porto Alegre kommt auf dem Sinos herab nach S. Leopoldo und außerdem viele Kunsterzeugnisse, denn die Landbauern, welche zugleich ein Handwerk verstehen, finden in den regnerischen Wintermonaten Zeit zu dessen Ausübung. […]
Jedesmal, wenn Gottesdienst ist, ziehen von allen Seiten zahlreiche Cavalcaden nach dem Sammelplatze, welcher gewöhnlich auf einem von Bäumen freien Hügel liegt. Alles erscheint dort zu Pferde im sonntäglichen Staat; die Predigt wird mit großer Andacht angehört und hernach zerstreut sich der belebte Zug in die verschiedenen Pfade, welche über Hügel und durch Gehölze zu den Wohnungen zurückführen. Dieser kirchliche Sinn bewahrt die guten Deutschen übrigens nicht vor einer ausgelassenen Vergnügungssucht. Sehr häufig wird in den Ventas (Wirthshäusern) bei herzlich schlechter Musik auf das Wildeste getanzt und Alt und Jung giebt sich diesem Vergnügen mit großem Eifer mehrere Tage lang hin. Bei solchen Gelegenheiten gönnen sich die Tänzer nur wenige Stunden Ruhe unter freiem Himmel oder unter offenen Schoppen. Durch übermäßiges Zechen werden auch nicht selten Schlägereien verursacht. Die große Gastfreiheit, welche in der Ansiedlung herrschte, hat durch vielfachen Mißbrauch von Seiten neuer Einwanderer, die so lange bis sie selbst eingerichtet waren, ein freies Unterkommen fanden, etwas abgenommen.
Nach der Lage und dem jetzigen Zustande der Colonie darf man ihr eine große Zukunft voraussagen, falls sie von weiteren Kriegsverheerungen verschont bleibt. Das ihr zugewiesene Gebiet genügt noch auf viele Jahre den Bedürfnissen der jährlich zuströmenden deutschen Einwanderung und man kann auf die künftige Bedeutung dieser Bevölkerung schließen, wenn man den undurchdringlichen Urwald mit der blühenden Colonie vergleicht, welche schon jetzt, ehe ein Menschenalter verflossen, an seine Stelle getreten ist. Wenn die Deutschen von S. Leopoldo sich abgesondert halten, wie sie bisher gethan, so werden sie lange, vielleicht immer, ihre Nationalität bewahren, und mit der Zeit den wichtigsten Theil der Bevölkerung von Rio Grande do Sul bilden.
(Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. 1851.) Weniger anzeigen
Jahreskalender gehörten zu den am weitesten verbreiteten Druckerzeugnissen. Führend waren lange Zeit die Verlage von Karl v. Koseritz (1832-1890) in Pelotas und von Wilhelm Rotermund (1843- 1925) in São Leopoldo, dem auch die abgebildeten Kalender entstammen.
Zwar übernahm man auch in Brasilien die Schulpflicht, jedoch, so berichtet Auswanderer Tatsch 1834, der sich als Landwirt, Schreiner und Lehrer in der Kolonie verdient machte, dass Unterricht eher unregelmäßig stattfand. Zu Pflanzzeiten sind alle im Einsatz und die Schule fiel aus. „Was die Kinder in einem Monat lernen, vergessen sie im nächsten…“. Mehr anzeigen
Wie im Falle Tatschs übernahmen anfangs intellektuelle Personen das Lehreramt in der Kolonie. Später wurden dann gezielt Lehrer aus den städtischen Zentren in die Peripherie entsandt. Der Historiker Hans Porzelt stellte 1937 fest, dass es 1930 es in Rio Grande do Sul für die ca. 500.000 Deutschstämmigen 900 Schulen mit ca. 32.000 Schülern gegeben hat. Seit 1825 gab es bereits staatliche und kommunale Verordnungen, die Unterricht in der Landessprache vorschrieben. Letztendlich durchgesetzt werden konnte dies jedoch erst ab den 1940er Jahren unter der Präsidentschaft Vargas. Weniger anzeigen
Die verschiedenen Einwanderer brachten durchaus unterschiedliche Vorstellung von Baukultur mit in ihre neue Heimat. Zugleich mussten sie sich den vor Ort geschaffenen Grundlagen anpassen. Das zugewiesene Land war vom Grundsatz her auf dem Reißbrett entstanden. Häuserbau war entlang der gerodeten Schneisen möglich. So entwickelten sich neue Nachbarschaften.
Die ersten Gebäude entstanden in einfachem Pfostenbau. Die hohe Luftfeuchtigkeit war für die aus Europa mitgebrachten Baukenntnisse nicht zuträglich. Schneller als dort verfaulten Holzpfosten und Dachschindeln. Auch die Ausfachung mit Lehm und Holzgeflecht war wenig geeignet und wich zunehmend den getrockneten Lehmziegeln. Solche in der Mitte des 19. Jahrhunderts gebauten Häuser sind in Brasilien noch zu finden. Die Bautradition wird in Freilichtmuseen überliefert. Die ursprünglichen Einraumhäuser wurden langsam um Wohn- und Wirtschaftsbereich erweitert. Die Küche, „Kich“, behielt ihre zentrale Funktion als Ess- und Wohnbereich.
In der Gegenwart versucht man den im 19. Jahrhundert verbreiteten Fachwerkstil oft nachzuahmen. Damit soll auch auf deutsche Bautraditionen verwiesen werden.
Es gab einen Unterschied zwischen jenen Siedlern, die zur Selbstversorgung wirtschafteten und jenen, die exportierten und gewerbliche Betriebe bis hin zu Großbetrieben aufbauten. Brauereien von deutschstämmigen Brasilianern wurden zu erfolgreichen Unternehmen, Handwerker nutzten die Ressourcen und Kenntnisse aus der neuen sowie bewährtes Wissen aus der alten Heimat und bauten Geschäfte auf.
Unsere Pikade Rio Pardinho zieht sich in die Länge von acht Stunden, darin stehen acht Geschäftshäuser, da kaufen wir unsere Waren, und vier Wassermühlen, zwei Bierbrauereien und vier Sägemühlen, sechs Branntweinbrennereien und zwei Ziegeleien, die Ziegel werden mit Holz gebrannt, und fünf Schulen, zwei Evangelische und eine Katholische Kirche.
Dietrich von Delhaes-Guenther beschrieb bereits 1973 die Zusammenhänge der Industrialisierung Südbrasiliens und der Unternehmensgründungen deutscher Einwanderer. Mehr anzeigen
Die Companhia Cervejaria Ritter, später Cervejaria C. Ritter & Irmão, war die erste Großbrauerei in Rio Grande do Sul. Sie wurde von den Söhnen des Hunsrücker Einwanderers Georg Heinrich Ritter, der 1846 aus Kempfeld nach Brasilien auswanderte, 1870 in Pelotas gegründet: den Deutschbrasilianern Karl (Carlos) und Friedrich (Frederico) Ritter. Bereits 1881 hatte die Brauerei auf der Deutsch-Brasilianischen Messe in Porto Alegre die Provinz mit ihren Biersorten vertreten. 1894 eröffneten sie dort eine weitere Brauerei, die Cervejaria H. Ritter & Filhos. Durch den Import deutscher Brautechniken gewann das Unternehmen schnell an Größe und erhielt internationale Auszeichnungen für die Qualität des Biers. Nach einer Fusion folgte in den 1940er Jahren die Übernahme des Betriebes durch die Cervejaria Brahma, die bis heute zu den größten brasilianischen Biermarken gehört. Nach dem Gründer Carlos Ritter ist heute das Naturwissenschaftliche Museum in Pelotas benannt.
Wichtige Industriezweige in Rio Grande do Sul sind heute: Metallbearbeitung und -verarbeitung, Maschinenbau, Chemie, Elektro-, Medizin- und Informationstechnik, sowie die Möbel-, Lederwaren- und Schuh-Industrie. Den größten Anteil am BIP 2021 hatte der Wirtschaftszeig Dienstleistungen mit 61%, Industrie mit 24% und die Landwirtschaft mit 15%.
Erfolgreiche Unternehmen waren in der Lederindustrie tätig, sowohl in der Herstellung als auch in der Lederverarbeitung Weniger anzeigen
Schon seit dem 16. Jahrhundert wurden zunehmend afrikanische Gefangene über den Atlantik nach Brasilien deportiert, um vor allem in der Landwirtschaft als Sklaven zu arbeiten. 1850 wurde die Sklaveneinfuhr in Brasilien beendet. Die gesetzliche Abschaffung erfolgte 1888.
Julius Mansfeldt veröffentlichte 1828 eine Beschreibung seiner Reise nach Brasilien. Er setzte sich darin auch kritisch mit dem Sklavenhandel auseinander. In seiner Argumentation für eine Abschaffung der Sklaverei versuchte er mit volkswirtschaftlichen Aspekten zu überzeugen.
Die damaligen Sprachgepflogenheiten in Europa waren von Diskriminierung geprägt.
Im Allgemeinen haben sich die Negersclaven in Brasilien jetzt allenthalben einer milden Behandlung zu erfreuen; sey es nun, daß dieselbe in dem Princip motivirt ist, Alles anzuwenden, um Revolte zu vermeiden, sey es, daß sie bey der Mehrzahl aus rein moralischen Quellen entsprossen. Dadurch, daß in diesem Reiche der Sclave dem freien Neger in vielen Rücksichten ziemlich gleich gestellt ist, wird sein Loos ein bei weitem besseres als das, welches die Sclaven in den Plantagen anderer Nationen, vorzüglich der Holländer, zu ertragen haben. […] Mehr anzeigen
Es ist daher sehr zu wünschen, daß einsichtsvolle und von Gefühl für Pflicht und Recht durchdrungene Männer in Brasilien aufträten und durch Wort, That und Schrift, nicht gehindert durch Eingriffe der Hierarchie, darstellten, wie schändlich der Sclavenhandel an und für sich selbst ist und wie er ihm selbst – dem Volke nämlich – zum Schaden gereicht. Aber damit muß auch die Regierung übereinstimmen, sie muß dies Werk unterstützen; dann aber schreite sie fort, die Sclaverei im Lande selbst zu unterdrücken. Sie wird einsehen, daß nicht nur die freien Eingeborenen und Freigelassenen hinreichend sind, das Land zu bebauen, sondern daß auch die Arbeit eines Freien eine ganz andere, als die eines Sclaven, daß jener ein zuverlässigerer Mensch als dieser ist! Auf einmal läßt sich freilich das große Werk nicht ausführen; die noch im lethargischen Schlafe liegenden Brasilianer müssen erst darauf vorbereitet und es muß ihnen Zeit gelassen werden, darüber reiflich nachzudenken, um sich zu überzeugen, daß ihnen diese Reform keine Vortheile rauben, vielmehr zur Beförderung ihrer eigenen Cultur beitragen wird. Natürlich muß dann die Geistlichkeit auch zu dieser Erkenntniß gelangt seyn oder gelangen wollen, und dabei ihren bedeutenden Einfluß auszuüben nicht ermangeln; denn nur dann kann etwas Großes geliefert werden, wenn von allen Seiten mit gleicher Kraft gewirkt wird.
[…] Ich bin der Meinung, daß nur durch eine allmählige Freilassung der Sclaven dem Zwecke, diese die lang entbehrten Freuden der Freiheit genießen zu lassen, entsprochen werden kann. Ein jeder Freier müßte dann zur Entschädigung seines Herrn, die dieser von Rechts wegen verlangen kann, von dem Erlöse des ihm angewiesenen Besitzthums einen Zehnten abliefern. So würden die neuen Staatsbürger einen vortheilhaften Einfluß auf das gesammte Wohl Brasiliens äußern, die Revenüen vermehren und die Cultur würde mit mächtigen Schritten vorwärts schreiten können; denn nur Freiheit ist wahres Leben und ihr Brautschmuck ist die Cultur. Weniger anzeigen
Mit der Auswanderung vieler Idar-Obersteiner nach Brasilien und ihrer Entdeckung der dortigen Edelstein- und Achatvorkommen, begann die wirkliche Edelstein- und Schleifereindustrie entlang des Idarbaches. Nach stetig versiegenden heimischen Vorkommen wurden in Brasilien neue, besser geeignete und vor allem größere Rohsteine entdeckt und zur Weiterverarbeitung eingeführt. Zu Anfang der Auswandererbewegung dienten die Rohsteine sogar als Ballast der Segelschiffe, so dass die Steine relativ günstig importiert werden konnten. Mehr anzeigen
Die meisten Auswanderer siedelten sich in der achatreichen südbrasilianischen Provinz Rio Grande do Sul als Bauern an und betrieben den Aufkauf und Export der Rohsteine nach Europa nebenher. Die erste Achatlieferung aus Brasilien kann auf das Jahr 1834 datiert werden, nach 1840 wurden regelmäßig brasilianische Steine in die beiden Ortschaften Idar und Oberstein gebracht. Die Suche nach verwendbaren Steinen dehnte sich nach und nach auf ganz Brasilien aus. Die florierenden Handelsbeziehungen führten dazu, dass viele deutsche Edelsteinschleifer und -händler bis ins 20. Jahrhundert nach Brasilien auswanderten. Idar-Oberstein entwickelte sich zu einem internationalen Zentrum der Edelsteinverarbeitung und des Edelsteinhandels.
Der Erfolg der Edelsteinindustrie von Idar-Oberstein basierte neben den örtlichen Voraussetzungen, nämlich natürliche Vorkommen und die zur Bearbeitung der Steine notwendigen Wasserkraft, vor allem auf dem Einsatz und dem fachlichen Können der Einheimischen. Entscheidend war aber auch, dass Idar-Obersteiner Auswanderer im 19. Jahrhundert die Einfuhr brasilianischer Edelsteine in Gang brachten.
1825 existierten 32 Schleifereien. 1868 existierten 123 Schleifereien. Weniger anzeigen
Eine Gruppe ehemaliger Schleifer aus Idar-Oberstein entdeckte qualitativ hochwertige Achate und informierte die Familien zu Hause in der Heimat. Die Männer beluden ihren Karren mit den Rohsteinen und fuhren zum Hafen. Damals gab es noch Segelschiffe, die vollbeladen von Europa nach Südamerika fuhren. Das Problem war dann für die Schiffer, dass sie für die Rückfahrt Ballast brauchten, um kein Spielball der Wellen zu werden. So waren die Kapitäne am Anfang froh, dass ihnen dieser Ballast in Form von Steinen gratis angeliefert wurde, und sie haben ihrerseits die Steine auch gratis transportiert. An den Ankunftshäfen (u.a. Le Havre, Rotterdam, Bremen) warteten schon die Idar-Obersteiner Verwandten, um die Ware in Empfang zu nehmen. Sie transportierten sie dann mit Ochsenkarren nach Hause.
Identität und Sprache sind untrennbar miteinander verbunden, sie ist ein wichtiges Merkmal der jeweiligen Identität. Aufgrund der Abgeschiedenheit der Kolonien konnten sich die verschiedenen Deutschen Sprachvariationen erhalten. Die Basis des „Hunsrückisch“ in Brasilien ist der Dialekt der ersten Einwanderer aus der Hunsrückregion. Da alle Einwanderer zunächst stark auf die eigene Gruppe bezogen waren, sprachen sie ihren lokalen Dialekt weiter. In den deutschen Siedlungen entstanden schon ganz früh Schulen, in denen die Kolonisten selbst und in deutscher Sprache unterrichteten. Schulbücher wurden aus Deutschland mitgebracht oder über Briefe angefordert. Die Siedlungen breiteten sich immer weiter ins Landesinnere aus, man lebte weitestgehend isoliert.
Als unter dem autoritären Regime des Präsidenten Getúlio Vargas 1938 die deutsche Sprache (und andere Fremdsprachen) verboten wurde und fortan ausschließlich auf Portugiesisch unterrichtet werden durfte, kamen einige Kolonisten zum ersten Mal mit der Landessprache in Kontakt.
„Ich hat ja son Bang, son Bang, son Bang vor der Schul. Ich konnt ja omds schon gar net mehr schlofe und han immer gedreemt. Ich wusst ich muss in die Schul gehen und inne Schul wird nur portugiesisch gesproch. … Ich han ja hunsrückisch gesprochen, das is ja mei Muttersproch, das ham ja alle Lait gesproche…“
Mit der Zeit hielten Begriffe und Wörter aus dem Portugiesischen und anderen Migrantensprachen Einzug in den Sprachgebrauch. Portugiesische Wörter werden in der Regel eingedeutscht und Verben deutsch konjugiert. Es entwickelte sich das „Riograndenser Hunsrückisch“, ein vom brasilianischen Sprachwissenschaftler Prof. Cleo Vilson Altenhofen eingeführter Begriff, das sich aus verschiedenen Dialekten zusammensetzt.
Sprachliche und kulturelle Konventionen haben einen großen Einfluss auf die Namengebung. Vornamen verraten oft einiges über die regionale Herkunft und Ethnie. Insbesondere in Migrationskontexten geben die Benennungen von Personen Hinweise auf die kulturelle Identität von Minderheiten. Nicht selten kommt es hier im Zeitverlauf zu einem Wandel im Vornameninventar, der durch den Kontakt mit der Mehrheitsbevölkerung geprägt ist. Mehr anzeigen
Wie die nach Brasilien eingewanderten Deutschen und deren Nachfahren ihre Kinder benannt haben, zeigen Taufregister der evangelischen Gemeinde von Hamburgo Velho, einem heutigen Stadtteil von Novo Hamburgo in Rio Grande do Sul. An den Vornamen von über 4000 Täuflingen aus dem Zeitraum 1840–1960 lässt sich ablesen, dass die Deutschstämmigen ihren Kindern in den ersten Jahrzehnten nach Beginn der Einwanderung deutsche Namen gegeben haben. Dies lässt sich einerseits dadurch erklären, dass sie in dieser Zeit abgeschottet von der portugiesisch-sprachigen Mehrheitsbevölkerung in deutschen Kolonien lebten und wenig Kontakt zu anderen Ethnien hatten. Andererseits gab es auch konfessionelle Beschränkungen bei der Vornamenwahl: Es herrschte die bei Protestanten übliche Nachbenennungspraktik vor, d. h. Kinder wurden in der Regel nach ihren ebenfalls deutschstämmigen Paten und Patinnen benannt.
Die meisten der gewählten deutschen Namen hatten jedoch ein romanisches (z. B. portugiesisches) Äquivalent, das im Kontakt mit der portugiesisch-sprachigen Bevölkerung verwendet werden konnte, wie Johann – João, Charlotte – Carlota.
Zu einem Umbruch in der Vornamenvergabe kam es Ende der 1880er Jahre, als die brasilianische Republik proklamiert wurde und in diesem Zuge Standesämter eingeführt wurden. Deutsche Vornamen wurden seitdem stetig seltener gewählt. An Jungen wurde vermehrt das romanische Äquivalent deutscher Namen vergeben (z. B. Carlos statt Karl). Insbesondere Mädchen wurden auch mit anderen, d. h. moderneren und kosmopolitischen Namen, die beispielsweise anderen Sprachen und Kulturkreisen entstammten oder sogar frei erfunden waren, benannt, z. B. Iracema, Nelsi oder Suely.
Gleichzeitig lässt sich für diese Zeit auch ein gegenläufiger Trend beobachten: Es verbreitete sich die Ideologie des Pangermanismus, wonach sich die in den verschiedenen Kolonien Brasiliens lebenden Deutschen vereinigen sollten. Der Anteil an deutschen Namen, die sich nicht in eine romanische Form übertragen lassen (z. B. Helmut, Hedwig, Günther, Brunhilde), nahm bis in die 1910er Jahre stetig zu.
Seit dem Verbot der deutschen Sprache ab 1938 entschieden sich nur noch wenige Eltern dafür, ihren Kindern einen deutschen Vornamen zu geben.
Heute sind deutsche Vornamen in Brasilien nicht mehr üblich. Die Nachnamen (z. B. Becker, Reuter oder Schmitt) haben die Deutschstämmigen allerdings in der Regel behalten. So setzen sich ihre Gesamtnamen typischerweise aus einem in Brasilien üblichen Vornamen und einem deutschen Familiennamen zusammen. Bekannte Deutschbrasilianer:innen heißen z. B. Gisele Bündchen (Model), Nelson Hoffmann (Schriftsteller), Alisson Ramsés Becker (Fußballspieler).
Ein Beitrag von Dr. Simone Busley, Institut für Geschichtliche Landeskunde Rheinland-Pfalz e.V. Weniger anzeigen
Deutsche Traditionen, Sprache und Bräuche prägten noch Generationen das Leben der Einwanderer, bis sie sich langsam für die brasilianische Kultur öffneten und erfolgreiche Unternehmen aufbauten.
Wenn wir heute in Deutschland Debatten über Einwanderung hören, wird oft gefordert, dass sich die neuen Bewohner möglichst sofort an die Sprache und Gepflogenheiten der neuen Heimat anpassen sollen. Von Integration wird gesprochen und nicht selten wird das Pflegen mitgebrachter Bräuche von Einwanderungsgegnern stark kritisiert. Umso interessanter ist es zu beobachten, dass die Familien, die aus Hunsrück und Pfalz nach Brasilien auswanderten, mit Stolz an ihrer Sprache, ihren Traditionen und Gepflogenheiten festhielten. Deutsch blieb Unterrichtssprache, bis das 1937/38 offiziell untersagt wurde. Man blieb unter sich, feierte seine Schützenfeste, sang im Chor deutsche Lieder. Auch die politischen Entwicklungen in der alten Heimat wurden aus der Ferne aufmerksam über speziell für Brasilien herausgegebene deutsche Zeitungen verfolgt. Es dauerte einige Generationen, bis sich die deutschen Einwandererfamilien langsam aus ihrem alten Umfeld lösten und sich für neue Einflüsse öffneten. Brauereien von deutschstämmigen Brasilianern wurden zu erfolgreichen Unternehmen, Handwerker nutzen die Ressourcen aus der neuen sowie bewährtes Wissen aus der alten Heimat und bauten sich florierende Geschäfte auf.
Nach und nach sind aus den Deutschen in Brasilien dann also waschechte Brasilianer geworden: Deutsch, bzw. die Mundart der Vorfahren wird noch einige Zeit als zweite Sprache gesprochen, verliert sich aber langsam bei den Nachkommen, die schon lange nicht mehr ausschließlich in den ehemals deutsch besiedelten Kolonien leben. Immer wieder findet man Hinweise, dass auch das pfälzische und Hunsrücker Brauchtum das große Land beeinflusst haben.
1924 jährte sich zum 100. Mal das Datum der Ankunft der ersten, planmäßig geworbenen Einwanderergruppe aus dem Rheinland, dem Hunsrück, Pommern und Italien in São Leopoldo. Damals wurde der 25. Juli amtlich als „Tag der deutschen Einwanderung“ anerkannt. Mehr anzeigen
Als „Vater des 25. Juli-Gedankens“ gilt Fritz Rotermund (1885–1965). Er kehrte 1911 von seinem Studium in Deutschland nach Brasilien zurück. Seinem Vorschlag, den 25. Juli als Erinnerungsfeier zu begehen, schlossen sich zahlreiche Vereine, Verbände und Organe des Staates an. Es entstand die 25. Juli-Bewegung unter der offiziellen Bezeichnung „Federacao dos Centros Culturais 25 de Julho“, die auch kritische Stimmen im Prozess der Assimilierung fand. Die Zielsetzung, Kultur und Sprache der deutschen Einwanderer zu bewahren und zu pflegen, entsprach nicht immer den Erwartungen der angestammten Brasilianer. Insbesondere in den 1930er und 1940er Jahren musste man sich gegen viele Versuche der nationalsozialistischen Unterwanderung zur Wehr setzen.
Bis zur Gegenwart existieren der 1951 gegründete „Verband Deutschbrasilianischer Kulturvereinigungen“ und das in den 60er Jahren aus den Kulturzentren „25. Juli“ hervorgegangene „Haus der Jugend“ in Gramado, zu dem der Rhein-Hunsrück-Kreis seit 1974 eine Partnerschaft pflegt. Über den Feiertag im Süden Brasiliens wurde übrigens in der Hunsrücker Zeitung 1924 und später nichts berichtet. Erst 50 Jahre später rückte die Initiative ins Bewusstsein der Region. Die offiziellen Feiern zum 150. Jahrestag der deutschen Einwanderung nach Rio Grande do Sul im Jahre 1974 und die Teilnahme des damaligen rheinland-pfälzischen Kultusministers Dr. Bernhard Vogel an den Feierlichkeiten waren wichtige Auslöser für Begegnungen zwischen Hunsrückern, Pfälzern und Brasilianern. Weniger anzeigen
Die gegenwärtig im Süden Brasiliens lebendige Fest- und Brauchkultur ist zweifellos von deutschen und europäischen Traditionen geformt. Neben dem weltbekannten Karneval in Rio gilt das Oktoberfest von Blumenau als zweitgrößte Festveranstaltung in ganz Brasilien. Blumenau wurde 1851 von dem aus Sachsen-Anhalt gleichnamigen Arzt gegründet. Das dortige Oktoberfest nach bayerischem Vorbild wird dort seit 1984 gefeiert. Das Oktoberfest in München gibt es seit 1810 und ist Vorbild für zahlreiche Oktoberfeste in der ganzen Welt. In Igrejinha wird es seit 1989 begangen.
Zu den klassischen Festen im Hunsrück gehörten bis zur Gegenwart die Feier der Kirmes und Tanzveranstaltungen, die aber in manchen Orten ihre früheren Bedeutungen verloren haben. In Brasilien hingegen hat Tanzen einen sehr hohen Stellenwert, und zwar für alle Rhythmen: Walzer, Polka, Polonaise, Tango oder Salsa.
Auch das Vereinswesen erlebte eine Blütezeit. Mehr anzeigen
Die Entwicklung des bürgerlichen Vereinswesens begann in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und breitete sich bis in die 1920er Jahre in unterschiedlicher Stärke aus. Vereine galten bis weit in das 19. Jahrhundert, zumindest in Preußen, als politisch verdächtig.
Zu den frühen Vereinsorganisationen gehörten zunächst Unterstützungs- und Hilfsvereine (z.B. im Handwerk, für Industriearbeiter oder für ehemalige Militärangehörige). Sie gründeten sich in Brasilien ebenso wie in Deutschland schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Im Hunsrück wurden viele Gesang-, Turn- und Schützenvereine erst nach 1890 gegründet. Solche Traditionen wurden somit von hier relativ spät mit nach Brasilien gebracht. Während in Deutschland der Erste Weltkrieg (1914–1918) das aufblühende Vereinswesen unterbrach, konnte es sich im Süden Brasiliens voll entwickeln.
Die brasilianischen Musik- und Gesangvereine im Süden pflegen bis zur Gegenwart deutsches Liedgut aus dem 19. Jahrhundert. In Orchestern und Chören sind manche von ihnen seit Jahrzehnten Gast im Hunsrück, in Deutschland und Europa. Weniger anzeigen
Die Spur des Spießbratens in Idar-Oberstein an der Nahe führt wahrscheinlich nach Brasilien. Mehr anzeigen
Der Idar-Obersteiner Stadtarchivar Hans Peter Brandt hat sich eingehend mit der Geschichte des Hunsrücker Spießbratens beschäftigt. Dabei analysierte er unterschiedliche Herkunftstheorien in der Heimatliteratur.
Der Idar-Obersteiner Historiker Klaus Eberhard Wild vertrat z.B. die Auffassung, dass der Idar-Obersteiner Spießbraten möglicherweise aus den Bergbau-, Köhler- und Wildererepochen des Hoch- und Idarwaldes stammt und sich bei den Idarbänner Schleifern noch bis zur Gegenwart erhalten habe. In der Tat ist das auf den Spieß gesteckte Fleischstück aus der spätmittelalterlichen Küche längst bekannt.
Verbreitet hingegen ist die Auffassung, dass der Spießbraten ein Import aus dem Süden Brasiliens ist und im Zusammenhang mit dem Achathandel steht. Nach mündlicher Überlieferung soll der Idarer Handelsmann Philipp Karl Becker im Jahre 1861 auf der sogenannten „Platt“ in Dietzen den ersten Spießbraten in Idar gemacht haben. Tatsächlich war Becker zuvor mehrfach in Südamerika und nachweislich 1851 in Uruguay, wo er im genannten Jahr bereits eine Firma (Schuch und Becker) gründete. Der Spießbraten hat wahrscheinlich in Südbrasilien, eben dort wo auch die ersten Rohsteine für die Idar-Obersteiner Industrie herkamen, seinen Ursprung. Heute ist er im ganzen Land, auch in Nordbrasilien, bekannt.
Man verwendet dort für das Feuer wie im Hunsrück harzfreies Holz, manchmal auch Holzkohle. In Idar und Oberstein war man sich nicht ganz einig, was die richtige Zubereitungsart sei. So schmunzelten die Idarer, wenn man in Oberstein den Spießbraten mit viel Kordel einwickelte (Roll- (Spieß-)Braten). In Idar bevorzugte man wie in Brasilien ein ganzes Stück Fleisch.
Während in Brasilien überwiegen Rindfleisch verwendet wird, besteht der Hunsrücker Spießbraten in der Gegenwart eher aus Schweinefleisch. Weniger anzeigen
Die Einwanderung aus Deutschland hielt über das gesamte 19. Jahrhundert an. Wie im europäischen Heimatland, wurde auch in Brasilien großer Wert auf die Zugehörigkeit zur deutschen Bevölkerungsgruppe gelegt, man sprach vom „Deutschtum“ in Brasilien. Sprache und kulturelles Leben wurden kollektiv gepflegt, ein großer Teil der Familiengründungen erfolgte innerhalb der Sprachgemeinschaft.
Als zwischen 1831 und 1845 mehrere Unruhen Brasilien erschütterten – insbesondere die Farrapen-Revolution –, führte das zum rapiden Rückgang der Einwanderung. Von 1859 bis 1895 verbot Preußen die Werbung für Brasilienauswanderung (Heydtsches Reskript). Der Hunsrück gehörte damals weitgehend zu Preußen.
Das Jubiläum der Ankunft der ersten deutschen Kolonisten wurde 1924 ausgiebig gewürdigt, der 25. Juli als nationaler Gedenktag festgelegt. Der in Zwickau geborene Ernesto Zeuner (1895-1967) schuf das Historiengemälde A chegada dos imigrantes alemaes als Auftragswerk für die Regionalregierung
Das Jubiläum der Ankunft der ersten deutschen Kolonisten wurde 1924 ausgiebig gewürdigt, der 25. Juni als nationaler Gedenktag festgelegt. Der in Zwickau geborene Ernesto Zeuner (1895-1967) schuf das Historiengemälde A chegada dos imigrantes alemaes als Auftragswerk für die Regionalregierung.
1930 ergriff der Jurist und Politiker Getúlio Vargas mit Hilfe des Militärs die Macht. Vargas, der selbst aus Rio Grande do Sul stammte und dort seit 1928 als Gouverneur amtiert hatte, regierte zunehmend autokratisch und schuf 1937 den sog. Estado Novo, der bis 1945 bestand. Gute Beziehungen zu den USA und die Zerstörung brasilianischer Handelsschiffe durch die deutsche Kriegsmarine brachten 1942 die Kriegserklärung an Nazi-Deutschland mit sich, die mit Repressionen auch gegen die deutsche Minderheit in Brasilien einherging. Die deutschen Schulen durften nur noch in portugiesischer Sprache unterrichten, teilweise konnte Deutsch in der Öffentlichkeit nicht mehr gesprochen werden.
Angriffe deutscher U-Boote führten zum Kriegseintritt Brasiliens auf Seite der Alliierten. Ab Sommer 1944 kamen bis zu 25.000 brasilianische Soldaten vor allem in Italien zum Einsatz.
„Guten Tag, liebe Hörer in Brasilien! Hier spricht wieder Hansheinz Keller aus dem Hunsrück.“
Zwischen 1960 und 1964 wurde über das Bundespresseamt in Bonn über die Deutsche Welle eine besondere Radiosendung für die Nachfahren der Hunsrücker Auswanderer in Brasilien ausgestrahlt. Hansheinz Keller (1926–1977) aus Deuselbach im Hochwald stellte diese Sendung zusammen. Mehr anzeigen
Hansheinz Keller war zuletzt Rektor an der Hauptschule in Rhaunen. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen im Heimatkalender der damaligen Kreise Bernkastel oder Simmern, darunter die Publikation „Lachender Hunsrück“, eine Sammlung von Anekdoten oder „Stickelscher“, wie es im Volksmund heißt. Viele seiner Veröffentlichungen widmete er der Auswanderung nach Brasilien.
Hansheinz Keller war Vorsitzender der Ortsgruppe Deuselbach im Hunsrückverein und Geschäftsführer des Hauptvereins. Er pflegte über viele Jahre die Beziehungen zwischen dem Hunsrück und Auswanderern in Brasilien. Dazu gehörte Gustav Ernesto Bauer, dessen Vorfahren 1848 aus Deuselbach ausgewandert waren.
Die Tonbänder der Radiosendung befanden sich über Jahrzehnte im Archiv von Gustav Schellack (1917–2006). Schellack war Mitarbeiter an der Sendung und sprach vornehmlich Beiträge zur Volkskunde und regionalen Geschichte. Keller führte aktuelle Interviews mit Amtsbürgermeistern, Handwerkern oder Landwirten. Christian Keller (1896–1974) lieferte ebenfalls historische und volkskundliche Beiträge aus der Hochwaldgegend. Patres von der Heiligen Familie in Ravengiersburg, Gedichte- und Gesangsbeiträge von Schulkindern, Musikvereinen, oder eine Sendung über den Besuch von Gustavo Ernesto Bauer.
Das wohl einmalige Tonbandkonvolut umfasst rund 40 Magnettonspulen, die inzwischen digitalisiert sind. Weniger anzeigen
Kommunalpolitiker und Leiter des Kulturreferats im Landkreis Simmern. Mehr anzeigen
Karl Faller, in Simmern geboren, begann seine berufliche Laufbahn bei der Verwaltung des alten Landkreises Simmern. Als Amtsinspektor leitete er später das dortige Kulturreferat. Er war in der Erwachsenenbildung tätig und betreute als Geschäftsführer und Kassenwart die Volkshochschule Simmern. Kommunalpoltisch war er Ratsherr in Simmern, Beigeordneter der Stadt und ehrenamtlicher Richter beim Verwaltungsgericht Simmern. Sein besonderes Interesse an der Geschichte bezeugen Publikationen und ungezählte Vorträge zur Geschichte und Kultur der Region. Sein besonderer Verdienst lag in der Organisation und im Aufbau der Beziehungen zwischen dem Hunsrück und den Hunsrücker Auswanderern im Süden Brasiliens. Mit dieser Arbeit begann er in 1960er Jahren.
Einen ersten und zugleich besonderen Höhepunkt erreichte diese Arbeit mit dem Besuch einer großen Gruppe aus dem Hunsrück zum 150. Jubiläum der Auswanderung im Jahre 1974.
Für seine vielseitigen ehrenamtlichen Tätigkeiten wurde Karl Faller mehrfach ausgezeichnet, auch in Brasilien. Neben zahlreichen Ehrenmitgliedschaften und Ehrennadeln wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. Weniger anzeigen
Erni Guilherme Engelmann war der Verfasser von „A Saga dos Alemãos – Epos der Deutschen“. Mehr anzeigen
Erni Guilherme Engelmann war Mitinitiator der Partnerschaft zwischen Igrejinha und Simmern. Im Hauptberuf war er als Betreiber von Schuhgeschäften und Tankstellen unternehmerisch tätig. In den Jahren 2004, 2006 und 2007 wurde sein dreibändiges Lebenswerk „A Saga dos Alemãos – Epos der Deutschen“, mit insgesamt 2000 Seiten im Hunsrück vorgestellt. Engelmann hatte in zeitaufwändiger Forschungsarbeit die Geschichte von zahlreichen Einwanderern, die mit dem Schiff ‚Anna Luisa‘ 1824 in Sao Leopoldo angekommen waren, zusammengetragen. Damit ist eine wichtige Grundlage für die Forschung dieser Geschichte geleistet. Erni Engelmann war in Simmern, als die Partnerschaftsurkunde im Jahr 2013 unterzeichnet wurde. Weniger anzeigen
Boppard - Arroio do Meio
Dickenschied - Salvador do Sul
Emmelshausen - Nova Petrópolis
Idar-Oberstein - Goiânia
Rheinböllen - Marata
Simmern - Igrejinha in Rio Grande do Sul
Auch heute kommt man in jeder Region mit Interkulturalität, Migrationsprozessen und Fluchtgeschichten in Kontakt. In jeder Kita, jeder Schule, in vielen Freizeit-Vereinen gibt es Personen mit unterschiedlichen Migrationshintergründen. Dabei haben die Menschen – ebenso wie in den letzten Jahrhunderten – ganz unterschiedliche Motive, warum sie nach Deutschland einreisen und einwandern. Zuletzt spielen vor allem Ursachen wie die Flucht vor Krieg und Verfolgung sowie die Aussicht auf eine bessere Lebensperspektive eine Rolle. Nicht alle kommen, um zu bleiben. Mehr anzeigen
Der Rhein-Hunsrück-Kreis hat in den letzten Jahrzehnten viele Erfahrungen mit der Aufnahme von Einwanderern und Flüchtlingen gemacht. 1986–2005 kamen etwa 15.000 Deutsche aus Osteuropa im Rhein-Hunsrück-Kreis an. Es handelte sich dabei um (Spät-)Aussiedler. Das sind Deutsche im Sinne des Grundgesetzes, die im Ausland als deutsche Minderheit leben und dann in die Heimat ihrer Vorfahren zurückkehren, um sich hier dauerhaft niederzulassen.
Seit 2015 kamen etwa 2.600 Schutzsuchende vorwiegend aus Afghanistan und Syrien in den Rhein-Hunsrück-Kreis. Aus der Ukraine haben im Rhein-Hunstück-Kreis etwa 1.430 Personen Schutz gesucht.
Im Jahr 2023 wurde vom Land Rheinland-Pfalz auf dem Gelände des Flughafens Hahn eine Erstaufnahmestelle eingerichtet, in der bis zu 600 Geflüchtete Platz finden können.
Im Rhein-Hunsrück-Kreis gibt es ehrenamtliche Initiativen, die sich um ein Miteinander unterschiedlicher Kulturen und gesellschaftlicher Gruppen bemühen, wie das „Café friends“ in Simmern und das „Café International“ in Büchenbeuren. Weniger anzeigen
Ausstellung: Hunsrück-Museum Simmern und Stadtmuseum Kaiserslautern (Theodor-Zink-Museum | Wadgasserhof)
Gestaltung der physischen Ausstellung: blickheben | Nane Weber
Gestaltung der virtuellen Ausstellung: SCHUMACHER Brand + Interaction Design GmbH
Sprecherin der Texte: Hannelore Bähr
Veröffentlichung: 04.12.2024
Letzte Änderung: 17.12.2024