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Schreibschrank, sog. ´Cantourgen´

Die hervorragende Qualität der Mainzer Möbelkunst des 18. Jahrhunderts ist der Forschung nicht nur durch die erhaltenen Möbel bekannt, sondern ist in besonderem Maße auch durch die ungewöhnliche Tatsache belegt, dass eine umfangreiche Reihe von Meisterrissen der Mainzer Schreinerzunft erhalten ist. Sie geben in lückenloser Folge die Formen der Meisterstücke der Zeit von 1676 bis 1816 wieder. In diese Abfolge lässt sich der dreiteilige Schreibschrank einordnen, der aus einem dreischübigen Kommodenunterteil, einem Schreibfach mit schräg liegender Schreibplatte und einem Aufsatzschrank besteht. Der Aufbau des Schrankes entspricht in allen Details dem Typ des Mainzer Schreibschranks. Weitere spezifische Stilmerkmale sind die kleinen Volutenfüße, die über Eck gesetzten und teils vom Korpus gelösten Lisenen und die gebauchte Schreibplatte. Wie bereits in der Bildunterschrift genannt, wurden Schreibschränke in Mainz auch als "Cantourgen" bezeichnet. Weil es sich hierbei um eine typisch mainzische Benennung handelt, die dem Mainzer Dialekt entspringt, bedarf dieser Name einer Erklärung. Die Nachsilbe "gen" ist eine Verkleinerungsform, entsprechend dem hochdeutschen "chen". Den Hauptteil des Wortes "Cantour" darf man in Kontor oder Comptoir übersetzen. Sinngemäß übersetzt heißt das Wort also "kleines Büro". Die Zuschreibung des "Cantourgens" nach Mainz und seine Datierung gelang zweifelsfrei, einem Schreinermeister lässt er sich mangels gesicherter Vergleichsstücke nicht eindeutig zuordnen. Die sorgfältige Abwägung aller stilistischen Übereinstimmungen und die Berücksichtigung der Verwendung von Elfenbein in Marketerien, die für Mainz selten ist, schränkt den Kreis der möglichen Hersteller auf folgende drei Umfelder ein: Der Schreibschrank zeigt Ähnlichkeiten zu dem Umkreis der Möbel von Kilian Bender (Mainz), Heinrich Ludwig Rohde (Mainz) und dem Chorgestühl der Kartause in Mainz (heute im Dom zu Trier). Zusätzliche besondere Bedeutung erfährt dieses Möbel durch seine figürlichen Darstellungen. Auf der Schreibplatte ist die Verkündigung an Maria, auf der oberen Tür die Himmelfahrt Mariens dargestellt. Die Darstellung von biblischen Themen darf als sicheres Zeugnis dafür gelten, dass der Schreibschrank für einen geistlichen Würdenträger angefertigt worden ist. Da es aber in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Mainz sehr viele ranghohe Geistliche gegeben hat, ist es mangels weiterer konkreter Hinweise nicht möglich, einen bestimmten Auftraggeber zu nennen, besonders wenn man berücksichtigt, dass in der Zeit um 1750 mit dem Osteiner- und Bassenheimer Hof am heutigen Schillerplatz und mit dem Bau des Nordflügels des kurfürstlichen Schlosses gewichtige Bauvorhaben von dem Kurfürsten Johann Friedrich von Ostein (1743-1764) beziehungsweise von seiner Familie ausgeführt wurden. Für eine höfische Auftragsarbeit spricht übrigens auch der detailreiche Marketerieschmuck, der in die Nähe des Schreinermeisters Heinrich Ludwig Rohde führte. Denn solche überaus feinen Arbeiten hatten ihren Preis. Damals wie heute wurde neben dem Material auch der zeitliche Arbeitsaufwand in Rechnung gestellt. Für letzteres hatte manch höfischer Auftraggeber gelegentlich nicht das nötige Verständnis oder die notwendige Geduld. Ein Brief des Erzbischofs Lothar Franz aus dem Jahre 1724 läßt dies erahnen. In Hinblick auf die Fertigstellung eines Schreibschrankes sieht er davon ab, "dann solchen dem hiesigen hofschreiner [Rohde] zur Ausfertigung anzuvertrauen, dörfte ich seiner natürlichen Langsamkeit halber davon schwerlich ein end erleben." Die früher in der Sammlung des Museums vorhanden Möbel mit Mainzer Provenienz sind im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Umso erfreulicher ist es, dass 1990 und jetzt 1999 jeweils ein bedeutendes Mainzer Möbel erworben werden konnte. Nach über einem halben Jahrhundert ist damit wieder ein Grundstein gelegt. Das Landesmuseum Mainz kann mit der Neuerwerbung des zweiten Mainzer Schreibschrankes nun wieder beginnen, die besondere Bedeutung der Tradition der Mainzer Möbelbaukunst des 18. Jahrhunderts zu dokumentieren. Der Erwerb des Mainzer Schreibschrankes wurde ermöglicht mit freundlicher Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur.

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