Der Verlauf der Flutkatastrophe

Erlebnisbericht A. Holzapfel / M. Gasper

Altenburg
22. September 2022
Annette Holzapfel, Maternus Gasper

Annette Holzapfel sprach mehrfach mit dem Ehepaar Gasper:

Der Ortsteil von Altenahr war eines der am schlimmsten betroffenen Gebiete. Die meisten Häuser wurden beschädigt, die Ahrtalschule so schwer, dass dort bis heute kein Unterricht stattfindet. Ohne den 1832 - 1834 erbauten Straßentunnel von Altenahr, durch den etwa zehn Prozent des Gesamtabflusses entwich, wäre die Situation in Altenahr noch dramatischer gewesen; möglicherweise wäre Altenburg sogar im Wasser versunken.

Nach der Flut saß das Ehepaar Gaby und Maternus Gasper mit Maternus’ geistig behindertem Bruder Peter jeden Samstag im Versorgungszentrum von Altenburg, um die für Flutopfer kostenlose Mahlzeit einzunehmen. Maternus Gasper, 59, hatte bis zur Flut die Dinkelbäckerei seiner Eltern geführt. Am 14. Juli wurde ein Teil des Wohnhauses, in dem sich auch die Bäckerei befunden hatte, zerstört. Gaby und Maternus verloren alles. Dennoch strahlte Maternus’ Gesicht Fröhlichkeit und Lebensfreude aus. Gaby hingegen wirkte traurig, niedergeschlagen und sprach langsam. Beide beteuerten, es gehe ihnen gut, weil sie überlebt hatten und vorübergehend in einer schönen Wohnung in Houverath untergekommen waren. Maternus zeigte auf seinem Handy ein Foto des Dachfensters, hinter dem sie in der Flutnacht elf Stunden ausgeharrt hatten. Als das Wasser stieg, hatte Gaby überlegt, noch einmal ins Untergeschoss zu gehen, wo sie eine große Summe Bargeld in einem Umschlag aufbewahrte, hatte es jedoch wegen des Starkstroms unterlassen.

Bild: Maternus Gasper

Wie fühlt man sich, wenn man in einer Nacht alles verloren hat und weiß, dass das eigene Haus abgerissen werden muss? „Beschenkt“ antwortete Gaby ohne Zögern, „von Gott beschenkt, weil wir noch leben.“ Der Glaube habe ihr sehr geholfen.
Maternus erzählte, wie ein Nachbar ihnen am nächsten Morgen von seinem Kanu aus zugerufen hätte, er könnte sie vorerst nicht evakuieren, weil die Strömung noch zu stark sei. Erst viel später wurden Gaby und Peter mit dem Kanu gerettet. Maternus blieb im nicht mehr standfesten Haus.
Trotz ihrer Depressionen schien Gaby den Verlust zu verkraften und dank ihres Glaubens stark zu bleiben. Ein Jahr nach der Flut ist sie gestorben. Maternus kümmert sich weiter um seinen behinderten Bruder, ohne den er nirgendwohin geht. Manchmal besucht er seine Kinder im Ruhrgebiet. Inzwischen ist er damit beschäftigt, den Wiederaufbau seines Hauses zu überwachen.

Bild: Maternus Gasper

Vom Tag, an dem die Flut kam und den Tagen danach erzählt Maternus:

„Am 12. Juli habe ich die Kreisverwaltung in Ahrweiler angerufen, weil Bäume in der Ahr schwammen und der Regen so lange über der Ahr stand. Ich bat darum, die Bäume aus dem Fluss zu entfernen. Man vertröstete mich. Ich solle keine Panik machen. Am 14. Juli um 15:00 Uhr werde man kommen.
Aber am Nachmittag des 14. Juli kam das Wasser. In Laach hatte die Mayschosser Feuerwehr schon Spundwände aufgestellt und die Straße zwischen Altenburg und Ahrweiler war gesperrt worden.
Trotz des heftigen Regens tranken wir bis 15:30 Uhr in unserem Hof Kaffee. Um 16:30 Uhr floss Wasser durch die Straßen von Altenburg. Noch dachten wir, es werde nur so hoch wie 2016 steigen. Dann konnten wir unsere Nachbarn nicht mehr besuchen und auch nicht mehr mit ihnen sprechen. Wir riefen immer wieder die Internetseite des Umweltministeriums auf. Dort wurde ein Pegelstand von 5,50 Metern angegeben. Wäre die Ahr auf sieben Meter angestiegen, hätten wir das verkraftet. Das Wasser stieg dann aber höher, während das Ministerium auf vier Meter reduzierte. Ich sagte: „Das kann nicht sein“. Wir gingen in den hinteren Teil unseres Hauses und wägten uns in Sicherheit.
Um 19:30 Uhr flog ein ADAC-Rettungshubschrauber über uns, aus Richtung Koblenz. Ich habe ihm vom Fenster aus Zeichen gegeben und versucht, ihm zu erklären, wir seien drei Personen, wir lebten und man solle sich um diejenigen kümmern, die tiefer wohnten.
Danach stieg das Wasser noch drei Meter.
Wir waren nun völlig abgeschnitten und wussten nicht, wie es unseren Nachbarn ging. Allerdings konnte ich noch mit meinem Patensohn telefonieren, dem Fahrer eines Notarztes vom DRK. Man hatte den Arzt ins benachbarte Kreuzberg gerufen, wo er sich um einen Patienten mit Herzstillstand kümmern sollte. Da durch die Wassermassen jedoch kein Durchkommen mehr war, konnte mein Patensohn den Patienten in kein Krankenhaus bringen.
Am nächsten Morgen war das Wasser noch da, aber es war gesunken. Ich sah, dass eine Außenwand unseres Hauses weggebrochen war und dass zwei Zimmer voll Treibgut waren.
Kurz darauf wurden meine Frau und mein kranker Bruder mit dem Kanu gerettet. Ich blieb im Haus, denn im Boot war nur Platz für zwei. Ich hatte eine schlaflose Nacht verbracht, war erschöpft und kletterte durch Treibgut.

Bild: Maternus Gasper

Um 08:30 Uhr traf ein Rettungswagen der Bonner Feuerwehr ein. Ein Notarzt untersuchte mich. Feuerwehrleute luden mich später auf irgendeiner Straße in ein anderes Fahrzeug um. Wir brauchten viele Stunden, bis wir endlich im Krankenhaus von Bad Neuenahr ankamen, eine Fahrt, die normalerweise höchstens 25 Minuten dauert. Im Krankenhaus gab es weder Strom noch Wasser. Als ich am nächsten Tag entlassen wurde, nahm meine Schwester in Lantershofen mich auf, zusammen mit meinem Bruder. Eine Woche später durfte ich nach Altenburg zurück. Dort sah ich viele Rettungskräfte, aber keine Bewohner. Ich las in einer Ausgabe in der Rheinzeitung: „Bäcker aus Altenburg ist tot“. Ich rief bei der Zeitung an, um zu erklären, dass ich lebte und schrieb meiner Tochter im Ruhrgebiet sofort eine SMS.
Unser Haus wurde vom THW wegen Einsturzgefahr abgerissen. Da kam eine hochschwangere dünne Frau zu mir, eine Psychologin aus Bonn. Die Altenahrer Feuerwehr hatte sie zu mir geschickt. Ich habe ihr lange erzählt, während unser Haus abgerissen wurde. Der Baggerführer fand den Umschlag mit dem Bargeld, das Gaby in der Flutnacht nicht mehr retten konnte, und gab es ihr.
Am Anfang ist man im Tunnel, man funktioniert nur. Meine Frau wollte gar nicht zum eingestürzten Haus.
Von uns hat es Berichte in Fokus online, Bildzeitung, Tagesthemen, SWR und ARTE gegeben. Meine Frau hat den Fernsehteams erzählt, ohne Ende, um das Erlebte loszuwerden.
Bei der Gedenkfeier in Altenburg hatte ich ein Gespräch mit einem Journalisten. Abends stand das, was ich erzählt hatte in Focus Online. Danach wurde ein Film über uns gemacht.“

Bild: Maternus Gasper