Der Verlauf der Flutkatastrophe
Erlebnisbericht Freiwillige Feuerwehr Bad Bodendorf
Bad Bodendorf
Februar 2022
Freiwillige Feuerwehr Bad Bodendorf, Annette Holzapfel
Die Ahr-Flut vom 14./15. Juli 2021 und die Tage und Wochen danach
gekürzt von Annette Holzapfel aus der „Flutchronik“ der Freiwilligen Feuerwehr Bad Bodendorf
Der größte Teil des folgenden Berichts basiert auf der Flutchronik der Freiwilligen Feuerwehr Bad Bodendorf zu den Ereignissen des 14. und 15. Juli 2021. Mit ihrem Bericht widersprach die Bodendorfer Feuerwehr pauschalen Vorwürfen, die Bewohner im Ahrtal seien nicht gewarnt und in der Katastrophe allein gelassen worden. Wie auch die Wehrführer vieler anderer Orte im Ahrtal berichteten, seien vielmehr, soweit das noch möglich war, Warnungen, Durchsagen, Schutzmaßnahmen und Evakuierungen erfolgt. Allerdings hätten Kameraden, die durch die Flut abgeschnitten worden waren, mancherorts nichts mehr tun können. Wie in Bad Bodendorf hätten Wehrleute während der Flut und an den darauffolgenden Tagen überall unzählige Einsatzstunden geleistet. Sie zukünftig als gleichberechtigte Partner in Vorwarnsystem und Krisenmanagement mit einzubeziehen, könnte eine verantwortungsvolle Reaktion der Politik auf den Umgang mit der Katastrophe sein. Ein umfassenderer Zugang zu Vorhersagen sowie bessere Ressourcen hätten sicherlich vielen Wehren mehr Möglichkeiten für Hilfsmaßnahmen eröffnet. Hierüber finden sich im folgenden Bericht und auch in den Aussagen anderer Wehrführer jedoch keine Klagen. Im Gegenteil, man habe in jedem Moment alles getan, was noch möglich war.
Der Tag vor der Flut
Am 13. Juli ließen weder die Unwetterwarnung des Deutschen Wetterdienstes noch der seit Tagen anhaltende Regen die Menschen im Ahrtal ahnen, welche Katastrophe sich anbahnte. Mögliche Schutzziele waren niemals definiert worden, und viele rechneten sogar damit, dass es schon nicht schlimmer kommen würde als 2016, auch Politiker und Einsatzkräfte nicht, die sich über die Internetportale des Deutschen Wetterdienstes und des Landesamts für Umwelt Rheinland-Pfalz über potenzielle Gefahren informieren konnten. Dies lag vor allem auch daran, dass die Prognosen des Pegels Altenahr mehrfach hin- und hersprangen. So wurde die Pegelprognose von 5,50 Meter gegen 18.00 Uhr auf vier Meter gesenkt. Tatsächlich wurden aber um 21.15 Uhr bereits 5,05 Meter erreicht und der Pegel fiel aus. Die endgültige Höhe lag dann nach Schätzungen bei über zehn Metern.
So standen die ersten Warnungen in Bad Bodendorf wie in vielen anderen Orten im Ahrtal in keinem Verhältnis zu dem, was man hätte tun müssen, um der heranrollenden Flut wirkungsvoll zu begegnen.
Die Flutnacht
Am 14. Juli 2021 um 16.20 Uhr forderte die Feuerwehr von Bad Bodendorf die Einwohner auf, Keller und Garagen leer zu räumen, weil ein schweres Hochwasser zu erwarten sei, welches die Pegelstände von 2016 deutlich überschreiten würde. Um 20.00 Uhr wurden alle Verkehrswege zur Ahr gesperrt und Pkw-Besitzer wurden aufgefordert, ihre Autos in höher gelegene Gebiete umzuparken. Um 21.00 Uhr, um 22.55 Uhr und danach warnte die Feuerwehr erneut vor dem weiteren Anstieg der Ahr und transportierte Autos und Wohnwagen weiter weg von der Ahr. Um 21.05 Uhr wurde die über die Ahr führende, aber nicht mehr passierbare Freiherr-vom-Stein-Brücke gesperrt. Gleichzeitig bereitete die Feuerwehr Evakuierungen vor. Noch am Abend richtete das DRK Notunterkünfte, Auffanglager und Betreuungszentren ein.
Bald waren auch hilfsbereite Bewohnerinnen und Bewohner zur Stelle. Die St.-Sebastianus-Grundschule wurde zur Notunterkunft umgerüstet. Dorthin kamen rasch immer mehr Menschen. Kurz nach Mitternacht wurden die Bewohner der „Ahr Park Residenz“ in der Josef-Hardt-Allee in höher gelegene Gebäude verlegt. Danach evakuierte die Feuerwehr zunehmend Anwohner bzw. forderte sie zum Verlassen ihrer Häuser auf. Um 01.10 Uhr wurden mit einem Unimog letzte Personen, darunter ein bettlägeriger Mann aus einem der Bungalows vor dem Wohnkomplex „Schreckenstein“, gerettet. Danach wurde der Unimog wegen der zu starken Strömung und der für alle Beteiligten bestehenden Lebensgefahr nicht wieder zum Wohnkomplex zurückbeordert. Die zurückgebliebenen Einsatzkräfte übernahmen nun die Evakuierung des Untergeschosses, da das Wasser durch die Treppenhäuser in die unteren Etagen lief. Allein in diesem Komplex wohnten mehr als 230 Menschen. Sie alle überstanden die Nacht körperlich unversehrt. Danach sind noch Menschen mit einem Rollboot evakuiert worden, unter ihnen ein 100-jähriger Mann, der in einem Mehrfamilienhaus lebte. Die Feuerwehr forderte die Bewohner von Häusern in Ahrnähe auf, sich in die höheren Stockwerke zu begeben. Aufzüge wurden gesperrt, weil ein Stromausfall absehbar war.
Um 01.45 Uhr betrug der Pegelstand 3,60 Meter. Innerhalb von nur einer Stunde stieg er dann auf fünf Meter an, womit er fast zwei Meter über dem Hochwasser des Jahres 2016 lag. Das Wasser drang in Garagen, Keller, Souterrainwohnungen und in die Erdgeschosse zahlreicher Wohnhäuser ein. Um 04.00 Uhr fielen Funk- und Handyempfang aus. Der Gestank von Heizöl breitete sich aus. Immer wieder donnerten Bäume und andere schwere Gegenstände laut gegen die Freiherr-vom-Stein-Brücke.
Der Tag nach der Flut
In Bad Bodendorf erreichte die Ahr nach 04.00 Uhr am Morgen des 15. Juli ihren Höchststand. Als es um 04.30 Uhr hell zu werden begann, wurde das gesamte Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Große Teile des Kurviertels und des Bereichs zwischen Ahr und Bundesstraße waren überflutet. Menschen starben in Bad Bodendorf nicht.
Entlang der Bäderstraße reichte das Hochwasser bis zur 460 Meter von der Flussmitte entfernten Kreuzung Schillerstraße. Die Schillerstraße selbst wurde auf nahezu ihrer gesamten Länge überflutet, außerdem die Pastor-Fey- und Schubert-Straße sowie der Goldguldenweg. Auf der Südseite der Ahr beschädigte die Flut insbesondere auf der Flussseite der Josef-Hardt-Allee Häuser, ebenso am westlichen Ende der Rosenstraße. Auch das Wohngebiet Heinrich-Lersch-Weg wurde nicht verschont.
Schwanenteich-Gelände, Bogenschießplatz und die Tennisplätze samt Clubheim wurden schwer zerstört oder völlig verwüstet. Das galt auch für den Sportplatz, dessen Umgestaltung vom Hart- zum Kunstrasenplatz gerade vorbereitet wurde, und das SC-Clubheim sowie für die Schutz- und Grillhütte des Heimat- und Bürgervereins und den unterhalb stehenden Ahr-Pegel. Die Reste des schon Jahre zuvor aus Sicherheitsgründen gesperrten Quellenstegs wurden von der Flut aus den Lagern gerissen; nach dem Hochwasser lagen sie einige Meter unterhalb am Südufer der Ahr.
Die Freiherr-vom-Stein-Brücke hielt der Flut stand; lediglich ihr Geländer auf der ahraufwärts gelegenen Seite wurde lädiert. In den ersten Tagen nach der Flut war diese Brücke deshalb eine wichtige Verkehrsverbindung zum Ahrtal. Minigolfplatz und Clubheim am Südufer der Ahr wurden schwer beschädigt. Die Bungalows auf der Südseite von „Schloss Schreckenstein“ standen komplett unter Wasser. Beschädigt wurden auch der Kurpavillon mit Bäckerei-Verkaufsstelle, die Trinkhalle, das als Museum dienende ehemalige Kohlensäurewerk und das zuvor schon marode ehemalige Kurmittelhaus. Das Gelände des Thermalfreibades ist vollständig überflutet worden. Das Hochwasser drang auch in Keller und Erdgeschoss des Hotels „Haus am Weiher“ ein, das aber ohnehin bereits geschlossen war, weil es durch einen Neubau ersetzt werden sollte.
Viele Menschen verloren durch das Einströmen des Wassers in ihre Wohnungen, aber auch in Keller, Garagen und Gartenhäuser, Hab und Gut. Das DRK nahm 60 Menschen in seiner Betreuungsstelle auf. Von diesen Flutbetroffenen kehrten nach Sonnenuntergang viele zu ihren Wohnungen zurück. Nachdem sie gesehen hatten, welche Schäden die Flut angerichtet und was sie ihnen alles genommen hatte, gingen viele von ihnen verzweifelt zur Notaufnahme zurück. Die Notunterkunftsplätze dort reichten aber bei weitem nicht aus. Die Zentrale Einrichtung des Katastrophenschutzes von Rheinland-Pfalz half deshalb, weitere Notunterkünfte einzurichten. Mit Verwandten und Freunden wurde im Tagesverlauf geklärt, wo Flutbetroffene, deren Wohnungen zerstört worden waren, kurzfristig oder auch langfristig eine Bleibe finden konnten. Beim Abtransport pflegebedürftiger Menschen unterstützen Krankenwagen aus umliegenden Bundesländern.
Bad Bodendorfer, die noch über ein Auto verfügten, fuhren mehrmals nach Remagen, wo sie in einem Supermarkt kostenlos Lebensmittel erhielten, während Bäcker aus der Region die Menschen versorgten. Brötchenschmieren im Akkord war angesagt. Drogerie- und Getränkemärkte der Umgebung brachten ebenfalls Sachspenden. Verpflegungsstationen mit warmen Mahlzeiten entwickelten sich rasch zu wichtigen Treffpunkten für Begegnungen und zu Umschlagplätzen für Informationen. Im beheizten KurpAHRkzelt, das als Begegnungs-Café diente, wurden bis Mai 2022 warme Mahlzeiten ausgegeben. Zum Hilfezentrum am Kurpavillon gehörten aber zum Beispiel auch Sanitär-Container. In den ersten Tagen nach der Flut gab es außerdem Hilfsangebote am Wasserhäuschen an der Einmündung des Goldguldenwegs in die Bäderstraße.
Weil die Flut auch die Trinkwasserversorgung und das Abwasser-Entsorgungssystem stark beschädigt hatte, waren Trink- und Brauchwasser in den ersten Tagen knapp. Trinkwasser wurde aus der Umgebung in Containertanks in die betroffenen Orte gebracht; das Schwimmbad in Remagen bot Duschmöglichkeiten an. Die Feuerwehren von Remagen und Sinzig lieferten mit Tanklöschfahrzeugen hunderttausende Liter Brauchwasser. Im Grundschulgebäude wurde eine Kleiderkammer eingerichtet, die später aus Platzgründen in die Schützenhalle verlagert wurde. Mit der Zeit kamen Menschen aus weiter ahraufwärts gelegenen Orten zu Fuß zur Kleiderkammer nach Bodendorf, um sich mit dringend benötigten Schuhen und Kleidung zu versorgen. Viele brauchten mehrere Stunden für den Fußweg und einige weinten, wenn sie ihre Geschichte erzählten.
Gleichzeitig trafen immer mehr Menschen aus allen Teilen Deutschlands sowie aus Nachbarländern ein, um zu helfen. Zudem erreichten Spenden aus der gesamten Bundesrepublik die Betroffenen. Bei einer Ladung Schaufeln aus Chemnitz hatten die Spender auf jeden Schaufelstiel eine Durchhalteparole geschrieben. Aufrufe über WhatsApp und Facebook sorgten dafür, dass etwas Fehlendes kurz darauf wie von Zauberhand geliefert wurde. Aus anderen Teilen Deutschlands reisten Feuerwehren an, um zu helfen. Als die Feuerwehrleute aus Leipzig Bad Bodendorf wieder verließen, malten sie für die Schulkinder ein großes Bild als Dank dafür, dass die Kinder ihnen die Schule als Quartier überlassen hatten.
Das Hochwasser hatte die Umspannanlage am Kuhbachweg in Sinzig, ein Knotenpunkt für die Stromversorgung der Region, zerstört. Die Pumpen zum Leeren der Keller, Notbeleuchtung, Hochdruckreiniger und andere Elektrogeräte wurden deshalb in den ersten Tagen nach der Flut über Notstromaggregate mit Energie versorgt. 36 Einsatzkräfte eines Stromversorgers arbeiteten mehrere Tage lang daran, die Region wieder ans Netz zu bringen. Bei der Wiederherstellung der Versorgung der einzelnen Häuser mit Elektrizität waren sie auf die Hilfe der Polizei angewiesen, die ihnen immer wieder Zutritt zu Häusern verschaffte, in die sie nicht hineinkamen. Von der rechten Rheinseite waren Feuerwehren eingetroffen, die mit ihren Booten halfen. Die Kameraden der Bad Bodendorfer Feuerwehr kehrten nach einem 29-stündigen Dauereinsatz nach Hause zurück.
In den Tagen nach der Flut funktionierte die Dorfgemeinschaft. Bewohner übernahmen Verantwortung füreinander, und es bildeten sich Hilfsstrukturen. Durch die riesige Zahl freiwilliger Helfer spürten die Betroffenen, dass sie nicht im Stich gelassen wurden. Die Helfer waren eine wesentliche Unterstützung bei den Aufräumarbeiten. Ihre Mitarbeit, ihre Anwesenheit und Gespräche mit den Betroffenen halfen diesen, wieder Zuversicht zu schöpfen und daran zu glauben, dass sie fähig waren, das Zerstörte wieder aufzubauen.
51 Soldaten des 2. Panzerpionierbataillons 1 aus Holzminden beseitigten Tonnen von Schlamm, Unrat und Totholz von den Gräbern des Soldatenfriedhofs, der mehr als 2,50 Meter hoch überflutet worden war und richteten die Gräber wieder her. So konnte die Kriegsgräberstätte am 26. Juli 2021 von einem Militärpfarrer aus Höxter-Holzminden wieder eingesegnet werden.
Drohneneinsatz der Bodendorfer Feuerwehr
Drei Drohnenpiloten der Bodendorfer Feuerwehr waren am 14. Juli um 23.30 Uhr zu einem Einsatz nach Schuld aufgebrochen. Angesichts dessen, was sie dort sahen, erschraken sie, heißt es in der Chronik der Wehr. Es war, als strömten die Niagarafälle mitten durch Schuld. Menschen winkten mit Taschenlampen um Hilfe, das Wasser hatte bereits Häuser weggerissen. Den Kameraden aus Bad Bodendorf war klar, dass sie dort nicht helfen konnten, und sie ahnten zu dem Zeitpunkt, was geschehen würde, wenn die Wassermassen Bad Bodendorf erreichen. Warnen konnten sie ihre Kameraden dort jedoch nicht, denn Mobil- und Digitalfunk waren ausgefallen, und der Analogfunk war mit Alarmierungen völlig überlastet.