Der Verlauf der Flutkatastrophe

Erlebnisbericht M. Schneider

Kreuzberg
November 2022
Martina Schneider

Die aus Kreuzberg stammende Journalistin Martina Schneider schreibt:


Meterhoch toste der Bach durch den Ort


Alarm am frühen Nachmittag des 14. Juli 2021: Ein Baum an der Münstereifeler Straße war umgestürzt, die Löschgruppe Kreuzberg rückte aus. Einige Stunden später war diese Straße wie die meisten Häuser, die an ihr standen, überflutet, verwüstet, zerstört.
Der Baum wurde gesichert, Löschgruppenführer Rudolf Schneider blickte auf die Pegelstände: „Es wird vielleicht so schlimm wie 2016“, als die Ahr von normalen 50 Zentimetern auf knapp vier Meter gestiegen war. Kurze Zeit später hörte er Sprachfetzen über Funk: Die Feuerwehr Kirchsahr meldete große Wassermassen, Sahrbach und Ahr würden wohl enorm anschwellen.

Dann die schreckliche Gewissheit: Der Sahrbach war zum Fluss geworden, der Bäume, Autos, Traktoren, Garagen mitriss – und Menschen. Wieder kam Alarm: Eine Frau in einem Haus am Sahrbach war kollabiert, die Wehrleute mussten von hinten über den Berg preschen, um sie herauszuholen. Vergebens warteten sie auf einen Notarzt, denn der Funkverkehr war längst zusammengebrochen. Vergeblich versuchten sie, die Frau zu reanimieren: Sie wurde das erste von vier Todesopfern, die die Katastrophe in Kreuzberg und auf dem nahen Campingpatz Sahrbachtal forderte.

Am späten Nachmittag mussten die Wehrleute vor den Wassermassen kapitulieren. Kaum hatte Schneider dies seinem Wehrleiter gemeldet, stand er ohne Netz da. Der Sahrbach, von 30 Zentimetern gegen 22 Uhr auf sechs Meter angeschwollen, toste durch den Ort. Ein Brausen, das an- und abschwoll, sich im Ohr festsetzte und die Angst nährte: Kommt er wieder zurück oder fließt er endlich ab? Der Sahrbach kam zurück, da er nicht in die inzwischen acht Meter hohe Ahr abfließen konnte, schon gar nicht gegen deren Strömungsrichtung, so dass Rückwellen entstanden, die sich ins halbe Dorf ergossen.

245 Gebäude hat Kreuzberg – am Ende waren 200 beschädigt, die meisten davon so schwer, dass in ihnen keiner mehr wohnen konnte; einige mussten sogar abgerissen werden. Die Fluten schwemmten zwei Wohngebäude und einige Nutzgebäude fort. Von den Brücken über Ahr und Sahrbach waren die meisten zerstört. Wasser und Strom gab es keinen mehr. Wegen drohender Seuchengefahr wurden am Sonntag nach der Flut die meisten der 650 Einwohner aus dem Ort in Notunterkünfte gebracht. Die Wehrleute indes versorgten diejenigen, die noch nicht aus ihrem Haus herauskommen konnten, und begannen, die Zufahrtsbrücke über die Ahr freizuräumen, damit die Bundeswehr später eine Behelfsbrücke bauen konnte, so dass Kreuzberg wenigstens nicht mehr von der Welt abgeschnitten war.

Bis auf sechs Meter schwoll der Sahrbach in der Nacht zum 15. Juli 2021 an – und flutete als erstes die Straße, die nach ihm benannt ist, ehe er durch den halben Ort toste.


Vertreibung aus dem Paradies

Es waren schreckliche Bilder, die sich wie eingebrannt hatten: Dutzende von Campingwagen, ineinander verkeilt und übereinandergestapelt, überzogen die Eisenbahnbrücke über der Ahr und türmten sich hoch, zerbeult und zerquetscht, am Felsen der Hohen Ley. Das Ende des Campingplatzes Viktoria-Station. Die Ahr hatte ihn, als sie sich wieder in ihr Bett zurückzog, vollständig dem Erdboden gleichgemacht. Gott sei Dank war hier kein Mensch zu Schaden gekommen, zeigten sich Inhaberin Viktoria Linden und Pächter Christoph Zerwas zutiefst erleichtert.

Der Campingplatz wird wieder nachhaltig aufgebaut, die neue Wiese wurde schon eingesät und gedeiht bereits. In ambitionierten Projekten sind Linden und Zerwas geübt: 2001 wurde auf dem etwa 50.000 Quadratmeter großen Campingplatz ein Neubau in ökologischer Bauweise und mit neuester Technik errichtet, der Restaurant, Kiosk, Rezeption und sanitäre Anlagen beherbergte. Oben drauf stand die bis dahin größte Solaranlage des Kreises Ahrweiler. Belohnung für die gelungene nachhaltige Arbeit war die Auszeichnung mit dem Holzbaupreis Rheinland-Pfalz.

Das Areal des angrenzenden Platzes Europa-Camping wird verwaist bleiben: Margarethe und Hubert Carnott bauen den Campingplatz nicht wieder auf. Nach 45 Jahren harter Arbeit und längst eigentlich Rentner wollen die beiden den Ruhestand genießen, sobald sie den Schock verarbeitet haben.

Danke für die vergangenen 14 Jahre sagte Ute Vaßmer, die bis 13. Juli 2021 glücklich mit dem Betrieb auf ihrem Campingplatz Sahrbachtal war. Und es nie wieder sein wird. Der Sahrbach hatte keinen Stein auf dem anderen gelassen. Und das war nicht das Schlimmste: Zwei Tote waren zu beklagen, ein Camper wurde vermisst.

Nur langsam fanden die Mitstreiter des Freundeskreises Sahrbachtal e.V. in die Normalität zurück. Denn auch die Wanderwege im Tal von, um und nach Kreuzberg hatte der Sahrbach zerstört. Das in unzähligen Arbeitsstunden wunderschön und weitläufig ausgebaute „Wanderparadies Sahrbachtal“ war in vielen Teilen versunken, soll aber einst wieder in voller Blüte stehen. Das allerdings gelingt nur, wenn viele Hände anpacken.

Bis zur Wiedereröffnung des Campingplatzes Viktoria Station gibt es auf dem Fundament das einstigen Vorzeigebaus Platz zum Entspannen.
Auf bereits frischem Wiesengrün lässt sich schon gut kicken und in eine schöne Gegend blicken.


Viele Köchinnen kreierten leckeren Brei


Es brodelte, duftete und machte hungrig: Sieben Köchinnen vereinte die Küchenbrigade Kreuzberg im Container am zerstörten Bürgerhaus – sie waren rührend dabei und zauberten 2022 in Eigenregie montags bis samstags Mittagessen auf die Tische. Um bis zu 60 Kreuzberger und Handwerker satt zu bekommen und mit frischen Zutaten fit zu halten. Diese Unterstützung brauchte auch jeder: „Unsere Arbeitsstellen waren gesichert“, sagte Küchenchefin Mathilde Zimmer angesichts des schleppenden Wiederaufbaus.

In Engagement und Ehrenamt stand sie nicht alleine am Herd: Beiköchinnen Edith Asbach, Chris Hertel, Beate Hoffmann, Gisela Nelles und Jolanta Schulz hackten, schnitten, putzten oder rieben, deckten ein und räumten auf, kauften ein, sortierten und dekorierten. Die Gäste freute es, zumal es dank einer Spende mit edlen Landhausmöbeln ohnehin aussah wie im Restaurant. Souschefin Martina Ertz war die Einzige, die nicht komplett ehrenamtlich arbeitete, sondern einen Mini-Job über die Gemeinde Altenahr hatte.

„Mathilde entschied, was es gab“, erzählte Ertz, „Und ich wusste, was sie brauchte, sie musste gar nichts sagen!“ Seit 10 Uhr hackte sie klein und rührte in Töpfen, „da war Gisela schon da und hatte den ganzen Raum geputzt!“

Es war eine Menge zu tun, sagte die Chefin, mit viel frischem Gemüse, das genauso vorbereitet sein wollte wie fünf Sorten Salat. Während die Damen für kleines Geld Essen, Nachtisch und Getränke boten, warteten Kreuzberger auf das große Geld, um ihre Häuser sanieren zu können. Den Aufbau ihres zerstörten Hauses überließ Mathilde Zimmer ihrem Sohn – und genoss das Dasein im Tiny House in Krälingen.

16.30 Uhr: Feierabend. Gisela Nelles war noch da. Zurzeit stoppte ihre Hausbaustelle, „da konnte ich nichts tun, also war ich hier!“ Schon packte sie zu und sortierte ein: Einmal im Monat kam ein Spendenmobil vom Niederrhein und brachte Lebensmittel und Drogerieprodukte. Ein paar Deko-Artikel waren auch dabei – so dass das Container-Restaurant mit jedem Tag gemütlicher wurde.

Flutmuseum schenkte Licht in dunklen Zeiten

Viele kaputte Reifen der Helfer, die als erste in ihren Privatwagen über Kreuzbergs zerstörte Straßen fuhren, stapelten sich im Raum. Schaufeln und Besen hingen von der Decke über Treibholz, während eine Feuerwehrleiter das Fenster zierte. Dreckige Handschuhe an den Wänden, Helme, Atemmasken, alle verstaubt. Daneben und davor Fotos, Fotos, Fotos aus fast jeder Ecke des Dorfes, eben wo Ahr und Sahrbach Menschen und Häuser heimgesucht hatten. Der Lack war ab, die Fassade weggebrochen: Der Blick fiel direkt in ein Wohnzimmer. Wo zerbrochene Möbel nun übereinander standen und lagen, an die Wand gequetscht waren, oder Scherben den verschlammten Dielenboden überzogen.

„Willkommen im Kreuzberger Flutmuseum“, sagte Katharina Bernhardt leise, sobald Gäste eintraten in eine Welt, die so unsäglich traurig machte, dass es vieler Informationstafeln bedurfte, um die Katastrophe wenigstens ansatzweise in Worte zu fassen. Damit niemand und nichts vergessen wird. Die Idee zum Flutmuseum hatte Ortsvorsteherin Anke Hupperich, Katharina Bernhardt setzte sie mit viel Fleißarbeit um. „Und hier steht unser größtes Exponat: das kaputte Feuerwehrauto!“

Das Flutmuseum war in einem Zelt vor dem Bürgerhaus untergebracht, bevor es ins Gebäude davor wanderte, das von sich aus von der Katastrophe kündete. Wo sein endgültiger Platz dereinst ist, wird die Zukunft weisen. Bis dahin dürften sicher auch weitere Exponate aufgetaucht sein: Haarbüschel, die der ein oder andere Gutachter sich ausgerauft hat, um die komplizierten Formulare für Wiederaufbau-Gelder nun ja komplett richtig auszufüllen, und der Bescheid mit der längsten Wartezeit, bis die ISB das Geld bewilligt hat. Denn genau wie überall im Ahrtal lief es auch in Kreuzberg beim Wiederaufbau nicht rund. Etwas leichter machte da der Verein „Fluthilfe Kreuzberg“ den Dorfeinwohnern das Leben, der unter der Regie von Albrecht Freiherr von Boeselager eine hohe Spendensumme zusammengetragen hatte und weiterhin bundesweit sammelt.

In Raum 2 standen Sessel und ein Monitor – um irgendwann in Dauerschleife die Dokumentationen von Zeitzeugen zeigen zu können. „Hier fehlte auch noch das Totengedenken“, erzählte Bernhardt von ihrem Herzenswunsch: „Jede Familie sollte entscheiden, mit welchen Fotos sie an ihre Lieben erinnern will und mit welchen Gegenständen.“ Denn liebevolle Erinnerungen wärmen das Herz und schenken Licht in dunklen Zeiten.

Nicht nur Reifen gingen kaputt, auch ein ganzes Feuerwehrauto.
Ohne Worte.


Freie Fahrt ins Sahrbachtal


Mit dem Frühling 2023 kehrte die Idylle ins Sahrbachtal zurück – nach einem Jahr umfangreicher Sanierungsarbeiten. Mehr als sieben Kilometer Landesstraße hatte der Sahrbach im Juli 2021 zwischen Kreuzberg und Kirchsahr geflutet und in weiten Teilen zerstört. Manch ein Sahrtaler empfand die folgenden Wochen gespenstisch, kam er doch kaum in seinen Ort hinein oder heraus. Mitunter war er komplett von der Außenwelt abgeschnitten.

Im März 2022 begann der erste von vier Abschnitten des Wiederaufbaus der L 76, die Fertigstellung des letzten war ein Weihnachtsgeschenk. Umfangreich und aufwändig hatten Mitarbeiter des Landesbetriebes Mobilität Cochem-Koblenz Straße und Umfeld saniert: Die neue Fahrbahn war auf 5,50 Meter verbreitert, dazu kamen Erweiterungen in Kurvenbereichen. Entwässerungsgräben und Seitenbereiche sind neu angelegt und besser gegen Hochwasser eingerichtet worden. Zudem wurden Ver- und Entsorgungsleitungen sowie Leerrohre für die Breitbandversorgung gelegt.

Damit das Oberflächenwasser der Straße nicht mehr direkt in den Sahrbach fließt, sind Schotterriegel und Stauschwellen in die Gräben eingebaut worden. Dadurch ist neuer Rückhalteraum gewonnen und Wasser kann besser versickern. 2,4 Millionen Euro kostete die komplette Sanierung – bezahlt wurde sie aus dem Wiederaufbaufonds.